Die Bauzäune sind gefallen - das Neue Berlin zeigt sein Gesicht

parTU
Architektur
Berlin als ein Affront gegen jede existierende Definition von Stadt - so beschreibt Architektur-Student Erik Wegerhoff seine Gedanken zum Thema "Das Neue Berlin". Auch ein Hochschullehrer und ein Absolvent der Architektur äußern sich in parTU zu diesem Thema.

Architekturstudium - die Profes-
sionalisierung der Berlin-Erfahrung

Kann man in Berlin sein, ohne Architektur zu studieren? Wohl kaum! Bauzäune stehen im Weg, Sandgruben öffnen sich und Zement klebt an den Schuhsohlen. Das Architekturstudium an der TU Berlin könnte man gewissermaßen als die Professionalisierung der Berlin-Erfahrung bezeichnen. Die öffentlichen Diskussionen, sei es um das kahle Kulturforum, um das Holocaustmahnmal oder das berüchtigte Planwerk Innenstadt, hören natürlich in der Uni nicht auf. Seminare in Architekturtheorie und -soziologie, eine TU-Spezialität, geben ausgiebig Gelegenheit, die Argumente zu erkennen und zu hinterfragen. So macht eine viersemestrige Reihe zu den großen Denkern der Architekturtheorie vertraut mit dem notwendigen Vokabular und den wesentlichen Ideen zum Bauen. Und die Grundstudiumsvorlesungen in Architektursoziologie und Baugeschichte sensibilisieren die frischen Studierenden für gesellschaftliche Einflüsse auf Architektur. Hier bekommt man das Handwerkszeug zu Kritik und Analyse jenseits bloßer Polemik. Polemisieren lässt sich dennoch ganz gut, sei es beim Beck's im studenteneigenen "Café A"oder bei Diskussionen in den Zeichensälen mit Blick auf den verkehrsumkreisten Ernst-Reuter-Platz. Wenn dem Fachbereich seinerzeit anhaftete, dass dort mehr geredet als gezeichnet wurde, so ist man 30 Jahre nach '68 bei einer ganz gesunden Mischung angelangt. Heute sind es vor allem die Entwurfsseminare, in denen man als Student seinen ganz eigenen Beitrag formulieren kann. Die meisten Kurse setzen sich mit einem ganz bestimmten Ort in der Stadt auseinander und wenn nicht, so geht es doch oft um Themen, die die öffentliche Diskussion widerspiegeln. Als Student hat man schließlich noch keine Sorgen um Auftragsvergaben und so steht es jedem frei, mehr oder weniger radikale Thesen in Tusche auf Transparentpapier zu formulieren. Beton, Stahl und Backstein, auch wenn sie nur gezeichnet sind oder im Holzmodell 1:200 auftauchen, bekommen im Entwurf eine überzeugende architektonische Realität, die jedes Wort in den Schatten stellt. Eine besondere Erfahrung sind die Kurse der Gastprofessoren, die oft aus dem Ausland für zwei Jahre an die TU Berlin kommen. Der auswärtige Blick auf die Stadt und ihre Chancen, den man in der Öffentlichkeit allzu oft vermisst, hat dort schon so manchem Studenten für das, was man vorher nicht für möglich hielt, die Augen geöffnet. Nicht zu unterschätzen ist die Frische neuer Herangehensweisen. Berlins augenblickliche Situation ist ein glücklicher Affront gegen jede existierende Definition von Stadt. In der TU Berlin ist der Raum für Architekturstudenten, nach neuen Definitionen zu suchen.

Erik Wegerhoff

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Erik Wegerhoff, geboren 1974, studierte von 1996 bis 1999 an der TU Berlin Architektur bei Prof. Bernd Jansen und Prof. Diane Lewis. Seit September 1999 ist er an der Architectural Association School of Architecture in London.
E-mail: erik_wegerhoff@yahoo.de

Stadtwandel - nicht nur für Architekturtouristen

"Stadtwandel" - im Namen meines Verlages kommt zum Ausdruck, was Berlin im Moment am stärksten prägt: die bauliche Veränderung. Besonders der Potsdamer Platz ist zum Symbol für die neue Architektur geworden. Dass sie durchaus nicht nur auf Gegenliebe stößt, verdeutlichen die vielen kritischen Stimmen. Der neue Platz muss sich den Vorwurf der Sterilität und Gigantomanie gefallen lassen. Doch, so umstritten manches am Gesamtkonzept sein mag, einige Bauwerke verdienen durchaus Beachtung, wie das debis-Haus, die Info Box oder das Grand Hyatt Hotel.

Natürlich vollzieht sich der Wandel Berlins nicht nur in der Architektur einzelner Bauten, sondern auch im Hinblick auf die gesamte Stadt. Diese Veränderungen sind es, die ich für wesentlich gravierender halte. Was auf der einen Seite auf die Kritiker des Potsdamer Platzes wie ein kleines Wunder wirkt, die Tatsache nämlich, dass diese künstliche Stadt in der Stadt von den Berlinern erstaunlich schnell angenommen wurde, verursacht auf der anderen Seite die langsame Verödung der Berliner Kieze: Wer zum Bummeln in die "Arkaden am Potsdamer Platz" fährt, erledigt seinen Wocheneinkauf dort und nicht im Wohnbezirk. Auch die vielen Besucher, deren sich die großen neuen Kinosäle am Potsdamer Platz erfreuen, gehen den kleinen, traditionsreichen Bezirkskinos verloren.

Kiezleben - bald tot?
Trotz meines privaten und natürlich auch verlegerischen Interesses an der neuen Architektur, hoffe ich doch, dass die Berliner ihrem Kiez treu bleiben. Von der Stadtplanung erwarte ich, dass nicht nur weitere aufsehenerregende Bauten entstehen, sondern dass diese überwiegend dem Wohnen dienen - ein Stadtwandel nicht nur für Architekturtouristen, sondern auch für die Menschen der Stadt.

Daniel Fuhrhop

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Daniel Fuhrhop ist Verleger und studierte Architektur (1989-92, Vordiplom) und BWL (Diplom 1998) an der TU Berlin. 1998 gründete er den Stadtwandel Verlag. Solmsstraße 22, 10961 Berlin, Tel.: 030/69504812, E-Mail: stadtwandel@t-online.de.

Abseits der Schaukämpfe - ein Platz ist noch unberührt

Im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit, der grossen städtebaulichen Schaukämpfe und der auftrumpfenden Architekturbilder des Neuen Berlin erstreckt sich ein nicht bebauter weiter Raum auf dem Gelände des ehemaligen Alt-Berlin: der Freiraum zwischen S-Bahnhof Alexanderplatz und Palast der Republik. Diese Hinterlassenschaft der DDR bietet heute eine einzigartige Chance, das grüne Herz der Stadt zu gestalten.

Der Freiraum vor dem Rathaus ist wesentlich ein Produkt der 60er Jahre. Der räumliche Dreisprung Marx-Engels-Platz-Freiraum - Alexanderplatz markierte das Zentrum der Hauptstadt der DDR, ja der DDR überhaupt. Ausgangs- und Angelpunkt ist der Fernsehturm (1965-69). Die Südseite wird durch den Rathausturm beherrscht. In den Freiraum hinein wirken im Westen der Berliner Dom (1975-81 äußerlich rekonstruiert) und im Osten das Hochhaus am Alexanderplatz (1967-70).


Marx-Engels-Forum mit dem Palast der Republik im Hintergrund
Die Umbauung des Fernsehturms (1969-72) diktierte die Gestaltung des Freiraums bis zur Spandauer Straße. Seine einprägsame Gestalt erhält er durch die strenge Form eines riesigen Rechtecks. Jenseits der Spandauer Straße erstreckt sich das Marx-Engels-Forum (1985-86). Dieses "Forum" ohne besondere Aufenthaltsqualität entstand zeitgleich mit dem benachbarten Nikolaiviertel (1980-87). Nikolaiviertel plus Forum bilden - nach den Bauten des Palastes der Republik und des Palasthotels aus den 70er Jahren - den letzten Großbaustein des Freiraums. Vor dem Hintergrund der beabsichtigten radikalen Verkleinerung des Schloß- wie des Alexanderplatzes, der wünschenswerten kritischen Rekonstruktion des Bereichs zwischen

Marx-Engels-
Denkmal und Rotes Rathaus
der Karl-Liebknecht-Straße und der S-Bahn-Trasse im Norden sowie der ergänzenden Reparatur im südlichen Bereich Alt-Berlins kann der Freiraum einen wirkungsvollen Kontrast zur angestrebten verdichteten Bebauung im Umfeld darstellen. Allerdings wäre eine gestalterische Weiterentwicklung wünschenswert. Die vorhandenen Fixpunkte wie Fernsehturm, Marienkirche, Neptunbrunnen (1969 restauriert aufgestellt),Terrassenbrunnen und Marx-Engels-Denkmal sind nicht in der Lage, den Großraum ausreichend zu strukturieren.

Ein Konzept für einen neuen Freiraum braucht einen programmatischen Namen. Bisher wurden "Centralpark" oder "Zentralpark", "Altstadtpark" oder "Forum Berolini" ins Spiel gebracht. Da der künftige Freiraum auch deutlicher an das alte Berlin erinnern sollte, passt "Altstadtpark" noch am besten.

Prof. Dr. Harald Bodenschatz

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Prof. Dr. Harald Bodenschatz, TU-Fachbereich Umwelt und Gesellschaft, Institut für Sozialwissenschaft, beschäftigt sich mit Planungs- und Architektursoziologie.
Tel.: 030/314-25433, E-Mail: habo@gp.tu-berlin.de.

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