Das Kleine ist groß im Kommen

Mobil und vernetzt - Die Mikrosystemtechnik wird unseren Alltag verändern

parTU
Forschung & Entwicklung
Die Technik hat uns im Laufe dieses Jahrhunderts von schweren Tätigkeiten befreit. Die des nächsten Jahrhunderts wird uns mobil machen. TU-Wissenschaftler arbeiten daran, winzige Bauteile zu verkleinern und sie mit zahlreichen Funktionen zu bestücken. Ein Ausblick in unseren schnurlosen Alltag.

Mal spitz, mal rund, kariert oder knallrot - Schuhe sind ein schmückendes Beiwerk unserer Kleidung. Doch schon in einigen Jahrzehnten könnten sie zum Motor unseres "body area networks" werden. Dann befindet sich in den Sohlen ein winziger Chip, mit dem wir über unsere Tritte so viel Energie erzeugen, um all die anderen Geräte am Körper in Funktion zu halten. Der Uhr steht vielleicht eine Karriere als mobile Empfangsstation bevor. In ihr werden ein kleiner Kopfhörer und ein Mikrofon integriert sein. Das Handy der 90er Jahre ist out. Werden Faxe mit dem ehemaligen Zeitmesser empfangen, so können wir sie über unsere Brillengläser lesen. Ein Chip macht es möglich - schnell und schnurlos. Eine faltbare Folie, die unsere Sprache erkennt, ersetzt den Rechner. Die über ein Minidisplay bestellten Tickets werden automatisch von der Multi-Chipkarte abgebucht. Funkt der Kühlschrank dann auch noch SOS, und steht die Verbindung zum Kaufhaus, werden die nötigen Bierflaschen mit elektronischem Code per Knopfdruck geordert. Nur trinken muß man selbst - auch in Zukunft.

Eine Technik, die immer mehr Gegenstände kleiner macht, erlaubt uns diesen Blick in das nächste Jahrtausend. "Der Trend zur Miniaturisierung bewirkt, dass schon im Jahr 2003 rund 60 Prozent unserer Produkte mobil sein werden", erklärt Prof. Herbert Reichl vom Institut für Mikroelektronik. Aber nicht nur die Ortsungebundenheit ist eine Folge dieser Entwicklung. "Verkleinern sich die Funktionselemente, so erreicht man eine höhere Zuverlässigkeit. Fehlerquellen wie Kontaktstellen und Bauteile mit hoher Anfälligkeit verringern sich", so der Wissenschaftler. Und der Material- und Energieverbrauch sinken. Die Produkte werden nicht nur kleiner, sondern auch vernetzt sein. "Darin liegt die eigentliche Wertschöpfung", betont Prof. Reichl. "Sie wird uns von langweiligen Arbeitsplätzen befreien, genauso wie es die Technik im Laufe unseres Jahrhunderts geschafft hat, uns von schweren Tätigkeiten zu entbinden."

Die TU Berlin hat mit dem größten universitären Reinraumlabor, das sich auf dem ehemaligen AEG-Gelände an der Gustav-Meyer-Allee befindet, beste Forschungsbedingungen.

Ein Schwerpunkt ist die Entwicklung von Mikrokontakten auf den Chips. "Wir bestücken integrierte Schaltungen mit Kontaktstrukturen oder winzigen Spulen. Sie funktionieren wie eine Antenne und ermöglichen drahtlose Kommunikation", erklärt er. Langfristiges Ziel ist es, einen Mini-Chip herzustellen, der über 5000 Anschlüsse verfügt. Momentan liegt der Standard bei 250.

Die Mitarbeiter untersuchen Löt- oder Siebdruckverfahren, erproben die Lebensdauer von Kontaktstellen oder Materialien und messen den Stromfluss sowie das thermische Verhalten in den winzigen Bauteilen.

Die Liste der außeruniversitären Kooperationspartner ist lang. Sie reicht vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration über das Ferdinand-Braun-Institut, der Bessy GmbH in Berlin-Adlershof bis zum Europäischen Teilchenphysik-Labor "Cern" in Genf. "Unsere Chips werden im Teilchen-Beschleuniger eingesetzt", berichtet Prof. Reichl. Ein weiteres Projekt befasst sich mit Herzschrittmachern: "Unser Ziel ist es, sie so zu verkleinern, dass nur noch ein Mikrosystem in die Haut verpflanzt werden muss, und der Arzt kann es mit einem Gerät jederzeit prüfen."

Das menschliche Auge ist Ideengeber für einen anderen Forschungsauftrag. Der Aufbau des Organs dient als Vorlage für die Konstruktion eines dreidimensional gestalteten Systems. Auch haben die Mitarbeiter einen "Mikrosystem-Baukasten" für die Autoindustrie entwickelt. Der Abnehmer kann damit Chips je nach Bedarf kombinieren. "Die vielen Verkabelungen im Auto werden künftig durch multifunktionale Bauteile ersetzt", beschreibt der TU-Professor das Anwendungsfeld.

Doch bei all den Erfolgen zeigt die Mikrosystemtechnik uns auch Grenzen auf. "Man kann viele Produkte kleiner bauen. Die Frage ist nur, ob sie akzeptiert werden", überlegt Prof. Reichl. "Wir können beispielsweise heute schon online von zu Hause aus einkaufen. Werden die Waren mit elektronischen Codes bestückt, brauchen wir vielleicht keine Kassiererin mehr. Doch das Einkaufen hat auch eine soziale Funktion, bei der menschliche Kontakte wichtig sind. Daran sollten Ingenieure und Wissenschaftler denken."

Datenbank:

Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Herbert Reichl vom Institut für Mikroelektronik ist Leiter des Forschungsschwerpunktes "Technologien der Mikroperipherik" an der TU Berlin.
Im Zentrum steht das Verkleinern der Kontaktgeometrien auf Chips.
Prof. Reichl leitet zudem das Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration der Fraunhofer-Gesellschaft und erhielt kürzlich die Ehrendoktorwürde der TU Chemnitz-Zwickau.

Inhalt   Impressum   © TU-Pressestelle 10/'99