TU Berlin - Medieninformation Nr. Nr. 191 - 27. November 1995

Der "Hausarbeitstag" war ein "heißes Eisen"

Studie zur vergleichenden Geschlechtergeschichte in Deutschland seit Beginn des Zweiten Weltkriegs


"Sollen denn Witwen weniger wert sein als verheiratete Frauen", beklagte sich 1958 eine Kölnerin beim Bundesarbeitsministerium. Und gegenüber der offiziellen DDR-Frauenorganisation, dem Demokratischen Frauenbund Deutschland (DFD) protestierte eine Ostberlinerin: "Wir Witwen erfüllen unsere Pflicht gerade so wie eine verheiratete Frau!"

Beide Frauen waren Arbeiterinnen, und beide mußten sie einen mehrköpfigen Haushalt mit halbwüchsigen Kindern oder pflegebedürftigen Eltern versorgen. Was beide ebenfalls gemeinsam hatten war die Tatsache, daß ihnen der monatliche bezahlte "Hausarbeitstag", der den jung verheirateten Frauen selbstverständlich gewährt wurde, vorenthalten wurde. Sie hatten einfach das Pech, daß ihre häuslichen Verhältnisse nicht dem west-östlichen Kleinfamilienideal der Nachkriegszeit entsprachen. Die Möglichkeiten, sich gegen diese Ungerechtigkeit zu wehren, waren freilich verschieden. Im Westen zogen Frauen zu Tausenden - und eine Handvoll Männer - vor die Arbeitsgerichte, im Osten überschütteten Frauen - und einige Männer - die Führungsspitzen von Partei und Staat mit Beschwerdebriefen. Auf beiden Seiten des "Eisernen Vorhangs" war der "Hausarbeitstag" besonders in den fünfziger Jahren, als sich die gesellschaftlichen Grundstrukturen beider deutschen Staaten herausbildeten, ein "heißes Eisen", wie es damals in der Presse oft hieß. Dies ist nur ein Beispiel in der schon etwas längeren Historie des "Hausarbeitstages".

Dieser Tag steht im Mittelpunkt eines Forschungsprojektes, das an dem in Gründung befindlichen Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin (Leiterin ist Prof. Dr. Karin Hausen) durchgeführt und von der Volkswagenstiftung gefördert wird. "Arbeit, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung" lautet der Titel des Projektes zur vergleichenden Geschlechtergeschichte in Deutschland seit Beginn des Zweiten Weltkriegs, geleitet wird es von der Historikerin Dr. Carola Sasse.

Am Beispiel der sozialen und politischen Auseinandersetzungen um den Hausarbeitstag sollen die unterschiedlichen gesellschaftlichen Vorstellungen über den Wert von Hausarbeit und Erwerbsarbeit und über eine gerechte soziale Plazierung von Männern und Frauen untersucht werden. Aber auch die politischen Regulierungen der daraus resultierenden Konflikte und die alltäglichen Praktiken des Ausbalancierens von Lohnarbeit, Familie und Privatleben werden beleuchtet. Im Vergleich der drei politischen Systeme in Deutschland seit 1933 werden einerseits die jeweiligen Besonderheiten in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Regulierungsversuchen untersucht und andererseits die langfristig wirksamen Strukturen, Vorstellungen und Wertungen herausgearbeitet, die die Geschlechterverhältnisse der Moderne über die politischen Einschnitte hinaus kennzeichnen.

Bereits 1939 hatten die Nationalsozialisten den unbezahlten "Waschtag" mit Blick auf die dienstverpflichteten nicht-jüdischen Frauen in der Kriegswirtschaft eingeführt. Seit 1947/48 wurde er auf Initiative der KPD in mehreren west- und ostdeutschen Ländern als bezahlter "Hausarbeitstag" gesetzlich festgeschrieben. Wollte zu Beginn des Kalten Krieges keine Seite der anderen nachstehen, wenn es darum ging, den "Trümmerfrauen" den Alltag etwas zu erleichtern, so hätten die westlichen Unternehmen ebenso wie die "volkseigenen Betriebe" die teuren und störenden Hausarbeitstage nach Währungsreform und doppelter Staatsgründung gern so schnell wie möglich wieder abgeschafft. Westliche Arbeitsmarktpolitiker warnten die Frauen vor sinkenden Arbeitsmarktchancen, die Gewerkschaften sahen ihr Ziel "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in noch weitere Ferne rücken, während die östlichen Planwirtschaftler ihren "werktätigen Muttis" mehr Wäschereien und Krippenplätze versprachen, wenn sie auf ihre Hausarbeitstage verzichteten. Aber die meisten Arbeiterinnen, Angestellten und Beamtinnen setzten ihre Prioritäten ganz anders. Im Westen konnten sie sich damit im Prinzip immerhin noch solange behaupten, bis ein alleinstehender Krankenpfleger Ende der siebziger Jahre vor dem Bundesverfassungsgericht seinen Anspruch auf Gleichberechtigung und einen monatlichen Hausarbeitstag erstreiten wollte und mit seinem Erfolg letztlich die Abschaffung dieses Sonderrechts für Frauen bewirkte. Im Osten gelang es dagegen - bis zum Ende der DDR - immer mehr Gruppen von Frauen und zum Schluß sogar einige alleinstehende Männer in den Kreis der Anspruchsberechtigten einzubeziehen.

In den Debatten um den Hausarbeitstag laufen die verschiedenen Vorstellungen verschiedener Interessensgruppen (so auch verschiedener Gruppen von Frauen) über die gerechte Verteilung von Arbeit, Freizeit, Einkommen und sozialem Status zwischen Männern und Frauen, wie in einem Brennspiegel zusammen.

Ziel des Forschungsprojektes ist es, in der Analyse dieser Debatten die sich auseinanderentwickelnden Vorstellungen über die Geschlechterverhältnisse in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften in ihrer jeweiligen Absetzung von der nationalsozialistischen Vereinnahmung des Privaten zu rekonstruieren und die verschiedenen und unterschiedlich einflußreichen Akteursgruppen in beiden Gesellschaften zu benennen.

Was den Wissenschaftlerinnen zur Vervollständigung ihrer Arbeiten jedoch noch fehlt, sind Auskünfte über die alltäglichen Handhabungen und Konflikte um den "Hausarbeitstag". Interessant sind hier Informationen über die Art der Arbeiten, die die Frauen an diesem Tag zumeist verrichtet haben und wie wichtig ihnen der Hausarbeitstag war, aber auch wie dieser Tag von seiten der Betriebe betrachtet wurde. Deshalb werden Frauen und Männer, die als Erwerbstätige, als Mitglieder von Gewerkschaften, Betriebsräten, Frauenausschüssen und anderen betrieblichen Gruppen oder als Vorgesetzte und Betriebsleiter tätig sind oder waren, gebeten, von ihren Erfahrungen mit dem Hausarbeitstag zu berichten.


Kontaktadresse: Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin, Rohrdamm 20-22, Sekr. RO 93, 13692 Berlin, Tel.: 030/38006-240 (vormittags).


[TU Berlin] [Pressestelle] [Medieninformationen]