[TU Berlin] Medieninformation Nr. 168 - 23. Juli 1996
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Neues vom Quanten-Hall-Effekt

Wie Halbleiterphysiker Quantensprüngen auf die Sprünge kommen

Rund 1000 wissenschaftliche Veröffentlichungen allein in den letzten zwei Jahren zeugen davon: Auch 16 Jahre nach der Entdeckung des Quanten-Hall-Effektes durch Klaus v. Klitzing ist das Interesse der Physiker an diesem Phänomen ungebrochen.

"Man sollte sich mit Halbleitern nicht beschäftigen, das sind Dreckeffekte - wer weiß. ob sie wirklich existieren". So gab einer der Väter der Quantentheorie, Wolfgang Pauli, 1931 die Meinung vieler Fachkollegen über eine Klassen von Materialien wieder, die weder elektrisch leitend wie Metalle, noch völlig isolierend sind. Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet an Halbleitern waren 50 Jahre später mit dem Quanten-Hall-Effekt neuartige Quantenphänomene entdeckt worden. Ihnen gilt derzeit das größte Interesse der mehr als 1200 Forscher, die in dieser Woche zur 23. Weltkonferenz der Halbleiterphysik an der TU Berlin zusammenkamen.

Der Quanten-Hall-Effekt

Der klassische Hall-Effekt (1879 von dem amerikanischen Physiker Edwin Hall entdeckt) tritt auf, wenn eine Platte, durch die ein Strom fließt, zusätzlich in ein Magnetfeld gebracht wird: Unter dem Einfluß des Magnetfeldes driftet ein Teil der durch die Platte fließenden Elektronen zur Seite, und an den Seitenkanten der Platte wird eine Spannung gemessen, die sogenannte Hall-Spannung.

Den Hall-Effekt nutzten Physiker schon frühzeitig zur Untersuchung von Halbleitermaterialien aus, weil man erkannte hatte, daß die Hall-Spannungsmessungen zur Bestimmung der Beweglichkeit, Driftgeschwindigkeit und Konzentration der Ladungsträger dienen können. Bei solchen Messungen, die er im Hochmagnetfeldlaboratorium in Grenoble durchführte, das von seinem Doktorvater Gottfried Landwehr geleitet wurde, entdeckte Klaus v. Klitzing 1980 den Quanten-Hall-Effekt, als er den Leitungsmechanismus in MOSFET-Transistoren bei tiefen Temperaturen (4 Kelvin = -269°C) und unter dem Einfluß starker Magnetfelder (14 Tesla) untersuchte; 1985 erhielt er dafür den Nobelpreis.

Beim Quanten-Hall-Effekt (QHE) besteht die Probe aus einer mikroskopisch dünnen Schicht, in der die Elektronen sich wie in der Ebene eines Blatts Papier nur in zwei Dimensionen bewegen können. Wirkt nun ein starkes Magnetfeld senkrecht auf diese Ebene ein und mißt man die Hall-Spannung an den Seitenkanten, so zeigt die Hall-Spannung nicht, wie klassisch zu erwarten gewesen wäre, einen linearen Verlauf als Funktion des Magnetfeldes, sondern es treten Sprünge und Plateaus auf. Die Plateaus dieser Quantensprünge hängen erstaunlicherweise nicht, wie der klassische Hall-Effekt, vom Material oder der Geometrie der Probe ab, sondern stellten sich als das Vielfache immer derselben Zahl h/e² heraus. Diese Zahl, die Von-Klitzing-Konstante Rk=h/e²=25812,8070 , ist demnach eine universelle Naturkonstante wie h, das Plancksche Wirkungsquantum, und e, die Ladung des Elektrons; d.h. eine räumlich und zeitlich unveränderliche Größe.

Grundlagenforschung mit praktischer Bedeutung

Mit der Von-Klitzing-Konstanten hat man seither eine universelle Bezugsgröße für die Messung von Widerständen, die überall auf der Welt gleich ist. Damit wurde es erstmals möglich, die Einheit Ohm () des elektrischen Widerstandes mit hoher, jederzeit reproduzierbarer Genauigkeit an einem Halbleiter zu messen - viel exakter, als das bislang mit den Draht-Normalwiderständen der Eichämter gelang, deren Drähte im Lauf der Zeit ihre Eigenschaften ändern. Seit 1990 ist daher durch internationale Übereinkunft die elektrische Maßeinheit Ohm durch die Von-Klitzing-Konstante festgelegt.

Die aktuellen Arbeiten

Der QHE war der erste experimentelle Hinweis darauf gewesen, daß bei einer Reduzierung der Dimensionen der aktiven Schichten, in denen sich die Elektronen eines Halbleiters bewegen können, völlig neuartige physikalische Effekte auftreten Er wurde damit zum Ausgangspunkt weitreichender Untersuchungen an "dimensionsreduzierten Halbleitern". Zum einen bemühen sich die Physiker, eine genauere Vorstellung von den mikroskopischen Vorgängen und elektronischen Eigenschaften in zweidimensionalen Elektronengasen zu bekommen, in denen sich die Ladungsträger nur in einer Ebene, nicht jedoch in der Richtung senkrecht dazu frei bewegen können.

Zum anderen hat das die Neugierde an Strukturen geweckt, bei denen nicht nur die Dicke einer Halbleiterschicht auf wenige Nanometer reduziert wird, sondern diese Ebene in einem weiteren Schritt quasi in Streifen geschnitten wird - sogenannten "Quantendrähten". Und wenn man diese Quantendrähte in einem dritten Schritt noch einmal zerstückelt, erhält man "Quantenpunkte", Halbleiterkristalle von unter 100 nm Kantenlänge, die zwar noch einige hundert Atome, aber nur noch wenig "aktive" Elektronen enthalten.

Auf der International Conference on the Physics of Semiconductors (ICPS), die in dieser Woche an der TU Berlin stattfindet, gab Klaus v. Klitzing einen Überblick über die aktuellen Forschungsarbeiten zu zweidimensionalen Elektronensystemen. Die Forschung konzentriert sich u. a. auf:

Bei allem Respekt vor dem großen Physiker Pauli - auf Widerspruch stieß Klaus v. Klitzing in seinem Vortrag nicht, als er vor der versammelten Crême der internationalen Halbleiterforschung feststellte: "Vor 65 Jahren lag Wolfgang Pauli einfach falsch".


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