[TU Berlin] Medieninformation Nr. 64 - 30. März 1998
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Nicht Beginn einer Epoche, sondern Höhepunkt einer Entwicklung

TU-Wissenschaftlerin Dr. Dina De Rentiis erhält Nachwuchsförderungspreis für kontrovers diskutierte Dissertation über die "imitatio auctorum"

Die TU-Wissenschaftlerin Dr. Dina De Rentiis ist mit dem "Nachwuchsförderpreis für Romanistische Literaturwissenschaft zu Ehren von Hugo Friedrich und Erich Köhler" der Universität Freiburg ausgezeichnet worden. Der Preis wird zusammen mit dem Forschungspreis für Romanistische Literaturwissenschaft seit 1985 alle fünf Jahre vergeben. Frau Dr. De Rentiis erhält den Preis in Höhe von 5.000 DM für ihre Dissertation "Die Zeit der Nachfolge. Zur Interdependenz von ‚imitatio Christi' und ‚imitatio auctorum' im 12. bis 16. Jahrhundert".

In ihrer Arbeit kommt die TU-Wissenschaftlerin zu dem Schluß, daß das gängige Bild der Entstehung des bis heute geltenden, modernen literarischen Nachahmungsverständnisses nicht zu halten sei. Die renaissancehumanistische "imitatio auctorum", die Nachahmung der Autoren, markiert nach Ansicht von Dina De Rentiis nicht den Beginn einer neuen geisteshistorischen Epoche, sondern den Höhepunkt einer langzeitlichen Entwicklung. In der Fachwelt löste sie damit eine Kontroverse aus.

Unter "imitatio auctorum" versteht man in weitestem Sinne den Umgang mit fremden Werken bei der Erschaffung von eigenen Schriften bzw. Kunstwerken. Die Forschung betrachtet bisher die "Wiederentdeckung" der antiken Autoren zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert, vor allem durch Francesco Petrarca, als Grundlage des modernen literarischen Nachahmungsverständnisses. Dina De Rentiis hat dagegen festgestellt, daß sich diese Vorstellung der Nachahmung von Autoren über einen langen Zeitraum herausgebildet hätte und bereits früher zu erkennen sei: "Schon im sogenannten Mittelalter wird die Nachahmung im Leben und in der Dichtung zum zentralen Wert und Maßstab erhoben. Durch sie erhalten das Leben und die Person, die Taten und die Worte des Nachahmers bereits auf Erden, und nicht erst im Jenseits, einen Sinn und einen Wert."

Für die TU-Wissenschaftlerin ist es klar erkennbar, daß eine enge Beziehung zwischen der Nachahmung von Autoren und der Nachahmung sittlicher Haltungen und Verhaltensweisen besteht. Im Zeitraum vom 11./12. zum 16. Jahrhundert, mit dem Aufkommen eines historisch spezifischen Ideals der ‚Nachahmung Christi', nimmt diese Beziehung besondere Formen an. "Zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert ist die Nachfolge/Nachahmung allgemein eine der stärksten treibenden und fördernden Kräfte für Neuerungen im Alltag, in der Wissenschaft und in der Literatur gewesen. Maßgebend dafür war das Lebens- und Glaubensideal der imitatio Christi und seine wechselseitige Beziehung mit dem allgemeinen Verständnis der imitatio auctorum", betont Frau De Rentiis.

Ursache für die Fehleinschätzung in der heutigen Forschung sei unter anderem die Behandlung der "imitatio auctorum" aus vorwiegend rhetorikgeschichtlicher, literaturwissenschaftlicher Sicht. Dr. De Rentiis fordert nun keine isolierte Betrachtung des Forschungsgegenstands, sondern eine inter- und transdisziplinäre Untersuchung. Sie geht sogar noch weiter und stellt das gängige Periodisierungsmodell Antike/Mittelalter/Neuzeit grundsätzlich in Frage. "Diese Einteilung ist kein unverzichtbares Fundament historischer Forschung, sondern ein vergängliches Denkkonstrukt. Meine Arbeit zeigt, wie gewinnbringend der Verzicht darauf sein kann", stellt sie klar. Die ihr nun verliehene Auszeichnung versteht Dina De Rentiis als Ermutigung, ihren Standpunkt weiter zu vertreten.

Dina De Rentiis, geboren 1964, studierte von 1984 bis 1989 Romanische Literaturwissenschaft an der TU Berlin. Anschließend war sie fünf Jahre als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanische Philologie der FU Berlin tätig, wo sie 1994 auch promovierte. Zur Zeit ist sie als Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Romanische Literaturwissenschaft der TU Berlin bei Professor Dr. Michael Nerlich beschäftigt.