[TU Berlin] Medieninformation Nr. 130 vom 20. Juni 2005 - Bearbeiter/-in: pp


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Macht Arbeitslosigkeit krank?

Vor allem langzeitarbeitslose Männer bewerten ihre Gesundheit schlechter als Erwerbstätige

Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik spiegelt sich nicht nur in Arbeitsmarktzahlen und desolaten Wirtschaftsdaten wider, sondern auch im Gesundheitszustand der Betroffenen. "Arbeitslose beurteilen ihre eigene Gesundheit subjektiv deutlich schlechter als Erwerbstätige." Zu diesem Schluss kommt die Sozialpädagogin Anne Kathrin Stich in ihrer Magisterarbeit, die sie im Rahmen des postgradualen Studiengangs Gesundheitswissenschaften/Public Health im DFG-Projekt OSGID (Objektive und subjektive Gesundheit in Deutschland) an der TU Berlin anfertigte. Stich analysierte Daten des Bundes-Gesundheitssurvey 1998, der ersten gesamtdeutschen repräsentativen Querschnittsstudie zu Gesundheitsfragen, an der 7.124 Frauen und Männer zwischen 18 und 79 Jahren teilnahmen – Erwerbstätige wie Arbeitslose.

Stich konzentrierte sich auf Fragen zur subjektiven Einschätzung der Gesundheit – auf einer Skala von 1 ("sehr gut") bis 5 ("schlecht") – , zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität anhand des Gesundheitsstatusfragebogens SF-36 (körperliche Fitness, Schmerzen, Gesundheitswahrnehmung, soziale und emotionale Funktionsfähigkeit etc.), Angaben zum sozioökonomischen Status (Bildung, berufliche Stellung, Einkommen), sowie gesundheitsrelevantes Verhalten, die Teil eines rund 50-Seitigen Fragebogens waren.

"Es ist ein Teufelskreis: Zum einen sind Menschen, die kränker sind, eher von Arbeitslosigkeit bedroht als Gesunde. Zum anderen wird davon ausgegangen, dass Arbeitslosigkeit Krankheit bedingt – unter anderem durch finanzielle Unsicherheit und den Wegfall der Tagesstruktur“, sagt Stich. Letzteres zeigten bereits klassische Studien vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise 1931-1933, die eine höhere Morbidität arbeitsloser Menschen ergaben. Studien in den 1970er-Jahren wiesen erstmals auch eine höhere Mortalität Arbeitsloser nach.

Die Resultate sind weitgehend unabhängig vom Alter und der Familiensituation. Es spielt also kaum eine Rolle, ob Arbeitslose allein oder in einer Familie leben. Es besteht jedoch ein Zusammenhang zwischen Wohnort und Einschätzung der eigenen Gesundheit: ostdeutsche arbeitslose Männer und Frauen schätzen ihre körperliche Funktionsfähigkeit schlechter ein. Insgesamt zeigen sich die gesundheitlichen Auswirkungen bei Männern drastischer als bei Frauen. "Ein möglicher Grund dafür ist, dass Frauen mit Lebenskrisen anders umgehen als Männer", vermutet Stich. "Zudem steht Frauen bei Arbeitslosigkeit eher die Möglichkeit offen, in die Rolle der Hausfrau und Mutter auszuweichen. Es ist jedoch unklar, ob diese Rolle tatsächlich gesundheitliche Vorteile mit sich bringt."

Ein Detail am Rande: Arbeitslose rauchen zwar mehr als Erwerbstätige und treiben weniger Sport, doch das gesundheitsrelevante Verhalten – gefragt wurde unter anderem nach Sport, Ernährung sowie Alkohol- und Tabakkonsum – zeigt im Vergleich zum Faktor Arbeitslosigkeit kaum Einfluss auf die subjektive Gesundheit. Bildung und Qualifikation dagegen schon. Die Daten sowie verschiedene andere Studien zeigen neben der Arbeitslosigkeit als Risikofaktor einen deutlichen Zusammenhang zwischen schlechter Bildung, geringer Qualifikation und schlechterer Gesundheit. Die Ursachen sind dabei schwierig zu trennen. Menschen mit geringer Bildung und Qualifikation sind eher von Arbeitslosigkeit bedroht. Aber Personen mit geringerer Bildung schätzen ihre Gesundheit eher schlechter ein.

Welche Konsequenzen sollten Politik und Wirtschaft daraus ziehen? "Mehr in Bildung zu investieren und dafür zu sorgen, dass Kranke nicht mehr so schnell ihren Arbeitsplatz verlieren", meint Anne Kathrin Stich. "Außerdem muss die gesundheitliche Versorgung von Arbeitslosen, insbesondere der Langzeitarbeitslosen, dringend verbessert werden – etwa durch finanzielle Ausnahmeregelungen." Nach der letzten Gesundheitsreform fiel beispielsweise die Zuzahlungsbefreiung für langzeitarbeitslose Patienten weg.

Bei einer derzeitigen Arbeitslosenquote von 11,6 Prozent wäre es wünschenswert, wenn diese nicht kleine Bevölkerungsgruppe in speziell für Arbeitslose ausgerichteten Einrichtungen eigene Vertreter hätte – ähnlich den Patientenvertretern – die ihre Belange adäquat vertreten. Denn es besteht eine qualitative Unterversorgung durch die professionellen Gesundheitsberufe. Speziell zugeschnittene Gesundheitsangebote für Arbeitslose, sind notwendig. äWir wissen, dass sich Beratungs- und Unterstützungsleistungen stabilisierend auf Arbeitslose ausüben“, sagt Stich. "Aber sie müssen natürlich freiwillig sein!"

Anne Kathrin Stich erhielt für ihre Magisterarbeit den Hertha Nathorff-Preis 2005 (2. Preis). Seit Februar arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) in Köln.

Catarina Pietschmann


Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Anne Kathrin Stich, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), Köln
Tel: 0221 / 356 85-502, E-Mail: annestich@yahoo.com

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