TU intern - April 2000 - Aktuelles

Weltatlas des Wissens

"Ich glaube, in solch einen Atlas als Wissensatlas müssten wir unsere Energie stecken."
Prof. Bernd Mahr

Die so genannte Informationsgesellschaft steht vor einem Problem: der Informationsflut. Psychologen haben herausgefunden, dass wir rund 80 Prozent unseres kognitiven Vermögens dafür aufwenden, Informationen auszusortieren. Informationslogistik und Wissensmanagement sind Themen, mit denen sich Wissenschaftler beschäftigen, um die Fülle an Informationen, die uns zugänglich ist, in Zukunft bewältigen zu können.

TU intern sprach mit Bernd Mahr, Professor am Institut für Kommunikations- und Softwaretechnik der TU Berlin, über die Herausforderungen der Informationsgesellschaft.

Der Begriff der "Informationsgesellschaft" ist heute verbreitet wie kaum ein anderer. Wann tauchte dieser Begriff auf, wie wurde er populär?

Der Begriff der "Informationsgesellschaft" wurde Anfang der 90er Jahre von der Europäischen Union aufgegriffen und in das Zentrum einer Initiative gestellt. Vorausgegangen war dieser Aktion eine Umfrage bei den Mitgliedsstaaten über die erwartete gesellschaftliche Entwicklung in den 90er Jahren. Daraus ist eine Studie entstanden, die dann als Weißbuch veröffentlicht worden ist. Ergebnis der Umfrage war, dass Information als zentraler Gegenstand und als zentraler Wert für die Zukunft gesehen werden muss.

Information und Wissen, sind das nicht zwei Kategorien ganz unterschiedlicher Art?

Information ist zunächst kein Wert an sich, sondern erst dann von Wert, wenn sie auf einen Bedarf stößt. Das ist ein Merkmal des Informationsbegriffs, das bis in die Technologie hinein von Bedeutung ist. Sie können Daten speichern, die aber erst dann von aktuellem Interesse sind, wenn sie abgefragt werden. Ansonsten ist mit ihnen oft wenig anzufangen. Datenfriedhöfe nennt man das treffend.

Informationen sind etwas Semantisches. Wissen ist im Gegensatz zu Information qualifiziert. Ohne Kriterien der Bewertung von Informationen können wir sie nicht zu Wissen bündeln. Kurz: Wissen ist kumulierte, bewertete Information.

Das Verhältnis von Daten, Information und Wissen wird angesichts der Informationsflut, die uns die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien bescheren, zur offenen Frage. Wir sind zunehmend außerstande, die Fülle von Informationen zu verarbeiten. Das hat eben auch Auswirkungen auf unser Wissen.

Sie beschäftigen sich mit dem Thema Wissensmanagement. Was verbirgt sich dahinter?

Beim Wissensmanagement geht es darum, Wissen professionell zu bündeln und zu teilen. Unternehmen können daraus einen Wettbewerbsvorteil ziehen, wenn sie das für sie relevante Wissen geeignet organisieren. Dies kann mit technischen Mitteln unterstützt werden. Innerhalb der Grenzen einer Organisation entsteht so proprietäres Wissen, das Geldwert besitzt.

Wenn man an eine Stadt oder auch an eine Universität denkt, hat man es mit öffentlichem Wissen zu tun, das keinen Geldwert besitzt. Das ist auch ein Problem der angesprochenen Suchmaschinen im Internet, die sich ja ausschließlich über Werbung finanzieren. Ich denke, die Frage, wie die Abgrenzung zwischen proprietärem und öffentlichem Wissen zu ziehen ist, wird immer drängender.

Gibt es Ansätze, das Problem dieser Grenzziehung zu lösen?

Mich brachte der Putzgersche Historische Weltatlas auf eine Idee. Er ist ein Wunderwerk multimedialer Wissensrepräsentation. Wenn man sich das Impressum anschaut, sind dort 60 Namen von Spezialisten aufgeführt. Diese Spezialisten haben ihr jeweiliges Wissen in das Projekt Weltatlas eingebracht über Jahre. Der Atlas kam 1997 in der 102. Auflage 120 Jahre nach seinem ersten Erscheinen heraus. Das Ergebnis ist ein Produkt, das das Wissen über die Welt, soweit es in einem Atlas darstellbar ist, präsentiert. Ich glaube, in solch einen Atlas als Wissensatlas müssten wir unsere Energie stecken. Das ist natürlich ein langfristiges Unternehmen, in dem es viel mehr Dynamik gibt als in einem historischen Atlas. Das setzt aber eine Zusammenarbeit der Wirtschaft mit der Wissenschaft voraus.

Das Gespräch führte Thomas Schulz


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