TU intern - Dezember 2000 - Internationales

Ein Meer aus glitzernden Plastikfolien

Hochintensive Landwirtschaft im Süden Spaniens


Landwirtschaft als industrielle Produktion - die billigen Arbeitskräfte sind ein soziales Pulverfass

Almería - bekannt als die trockenste Gegend Europas, ist sie gleichzeitig Standort für eine hochintensive landwirtschaftliche Produktion. Für 24 Studierende der Landschaftsplanung, die im Rahmen des Hauptstudienprojektes "Wasserwirtschaft in Spanien” die Region um Almería besuchten, waren nicht nur die ökologischen Auswirkungen der Intensivlandwirtschaft von Interesse, sondern auch die sozialen und gesellschaftlichen Konflikte, die sie mit sich bringt.

Die südspanische Küste, 30 km westlich von Almería. Der Blick schweift über zwei völlig gegensätzliche Landschaften. Auf einem schmalen Streifen entlang des Mittelmeers erstreckt sich das Urlaubsressort Almerimar, grün wie eine Oase, mit Palmen, Golfplatz und Ferienbungalows. Auf der anderen Seite, Richtung Landesinneres, erstreckt sich ein anderes Meer: das weiße Glitzern von Plastikfolien, die die Gewächshäuser der hiesigen Landwirte abdecken. Die Gewächshäuser stehen so dicht und in so großer Zahl nebeneinander, dass für den Betrachter aus der Ferne das Bild einer geschlossenen, sich im Wind leicht kräuselnden Fläche entsteht.

"Mar de Plástico - das Plastikmeer.” So wird die riesige Fläche von Treibhäusern genannt, deren Plastikfolienabdeckung in der Sonne glitzert. Dank moderner Anbautechniken konnte sich hier seit den 40er Jahren Europas produktivster Agrarstandort entwickeln, der heute fünf Mal im Jahr Ernte abwirft. 2,8 Millionen Tonnen Obst und Gemüse werden in der Region Almería jährlich geerntet, vor allem Paprika und Tomaten. Die Landwirtschaft gleicht industriellen Betrieben: Auf der Suche nach immer effizienteren Anbaumethoden wird der Wasserverbrauch per Tröpfchenbewässerung optimiert; die Dünger- und Pestiziddosierung wird per Computer gesteuert.

Diese Produktionsweise bringt den landwirtschaftlichen Unternehmern enormen Reichtum ein. Doch der schnelle wirtschaftliche Aufschwung wird aus ökologischer und landschaftsplanerischer Sicht teuer erkauft. Eines der größten Probleme stellt neben dem unglaublich hohen Plastikbedarf der enorme Wasserverbrauch dar. Die Grundwasserreserven vor Ort sind erschöpft. Mittlerweile werden fossile Grundwasserreserven in über 1 km Tiefe angezapft. Außerdem plant die Regierung, Wasser aus dem Río Ebro im Norden Spaniens zu den Produktionsflächen in Andalusien zu leiten. Abgesehen von großen Verlusten durch Verdunsten hätte ein solches Unterfangen weitreichende ökologische Konsequenzen für das untere Einzugsgebiet des Ebro, 700 km von Almería entfernt.

ARBEITSKRÄFTE WIE WARE

Neben dem hohen Grad der Technologisierung und den günstigen natürlichen Voraussetzungen gibt es einen weiteren wichtigen Grund, warum in dieser Region Europas so konkurrenzlos billig Gemüse produziert werden kann.

Die Form der Produktion erfordert eine große Zahl an billigen Arbeitskräften. Hier an der südlichen Grenze Europas kommen Tag für Tag Menschen aus Afrika, hauptsächlich aus Marokko, auf der Suche nach einem besseren Leben an. Sie sind der Motor, der die wirtschaftliche Maschine in Gang hält. Illegalisiert und ohne Papiere müssen sie die Arbeit und den Lohn akzeptieren, der ihnen geboten wird. Sie sind in der unmittelbaren Nähe ihrer Arbeitsstätten untergebracht, genau wie das Werkzeug und die Pflanzenschutzmittel, isoliert von ihren Schicksalsgefährten und von der "weißen” spanischen Gesellschaft. In den Gewächshäusern sind sie hohen Temperaturen und giftigen Pestiziden ausgesetzt, die oft zu Krankheiten führen.

Am 1. Februar 2000 wurde in Spanien ein neues "Ausländergesetz” erlassen. Dieses gesteht ihnen weitgehende Rechte zu und soll ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Doch Unternehmern, Landwirtschaftsverbänden und Teilen der regierenden Partido Popular geht dieses Gesetz viel zu weit. Die Partido Popular schürte diese Unzufriedenheiten, um das Thema im Wahlkampf für sich auszuschlachten.

Im Februar dieses Jahres, kurz vor den Wahlen, verstand es die örtliche Vertretung der Partido Popular nach dem Mord eines Marokkaners an einer spanischen Frau die feindselige Spannung zur Entladung zu bringen. Angestachelt vom Bürgermeister, begleitet vom lokalen Fernsehen und unter den Augen der tatenlos zusehenden Polizei hetzte der Mob drei Tage lang Marokkaner durch die Straßen, prügelte auf sie ein und verwüstete ihre Läden und Büros. Direkt im Anschluss nutzte die Partido Popular diese Vorkommnisse, um gegen eine zu liberale Einwanderungspolitik zu argumentieren - Verhältnisse, wie sie auch in Deutschland bekannt sind.

Profiteur dieser Entwicklung ist die Wirtschaft. Den Unternehmen kann nicht daran gelegen sein, dass die billigen Arbeitskräfte plötzlich einen "legalen” Status erhalten, aus dem heraus sie ihre Interessen wirkungsvoll vertreten können, oder der es ihnen ermöglicht, in Gegenden abzuwandern, wo sie bessere und würdigere Arbeitsbedingungen vorfinden. Vielmehr gehört es zur Logik ihrer Wirtschaftsweise, dass Europas Außengrenzen für viele Menschen nur illegal zu überqueren sind.

Am Ende dieser Kette struktureller und direkter Gewalt, Ausbeutung von Menschen und ökologischer Katastrophen stehen Verbraucherinnen und Verbraucher in den Supermärkten um die Ecke. Wer denkt schon an Berge zerrissener Plastikplanen und marginalisierte Menschen im Angesicht saftiger Strauchtomaten mitten im November? Die Aufschrift "El Ejido” oder "Almería” auf der Gemüsekiste kann Bände erzählen für den, der die Geschichte zu lesen weiß.

Christoph Arndt, Felix Eisele,
Christian Schultze, Isa Knauf


Leserbriefe

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