TU intern - Februar/März 2000 - Menschen

Nachruf auf eine spät Geehrte

Die 1897 in Wien geborene Architektin Margarethe Schütte-Lihotzky war die erste Frau, die an der Wiener Kunstgewerbeschule (der heutigen Universität für Angewandte Kunst) studierte. 1917 gewann sie den ersten Preis in einem Wettbewerb für die beste Lösung der Peisaufgabe "Eine Wohnküche in der äußeren Vorstadt". Obwohl erst zwanzigjährig, hatte sie ihre Linie bereits gefunden: soziale Bedürfnisse und Architektur zusammenzubringen.

MUTTER DER EINBAUKÜCHE

Einen Namen erwarb sich Margarethe Schütte-Lihotzky Ende der 20er Jahre mit der sogenannten "Frankfurter Küche". Von der Mutter der Einbauküche wurden rund 10000 Stück verkauft. Auf gerade mal sechseinhalb Quadratmetern entwarf sie nach dem Vorbild der Speisewagenküche eine Art Koch-Labor für das gewandelte Rollenverständnis der Frauen im Europa der Neuen Sachlichkeit.

Die Wirren der Geschichte bedeuteten auch für sie eine unruhige Zeit. 1930 geht sie mit Ernst May nach Moskau, wo sie Kindergärten plant und später Kindermöbel entwirft. Ihre Arbeiten führen sie auch nach Japan und China. Von 1938 bis 1940 lebt Margarethe Schütte-Lihotzky in Istanbul und beschäftigt sich mit Erziehungsbauten.

In Istanbul lernt sie den Architekten Herbert Eichhölzer kennen, der eine österreichische antifaschistische Widerstandsgruppe in der Türkei aufbaut. Um Verbindung zum österreichischen Widerstand aufzunehmen, reist sie Ende 1940 nach Wien. Doch dieses Engagement wird ihr zum Verhängnis: Sie wird 1942 von der Gestapo verhaftet und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Drei Jahre später, befreit durch die amerikanischen Truppen, flüchtet sie nach Bulgarien, wo sie einige Jahre lebt und arbeitet.

Als Margarethe Schütte-Lihotzky im Januar 1947 nach Wien zurückkehrt, sieht sie sich geprellt. Beim Wiener Wiederaufbau erhält sie kaum Aufträge. So versucht sie sich auf dem internationalen Parkett und publiziert. Als ihr 1988 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst angetragen wird, lehnt sie ab - von Bundespräsident Kurt Waldheim wollte sie keine Auszeichnung entgegennehmen.

Im Sommer 1993 hat ihr das Wiener Museum für Angewandte Kunst eine große Ausstellung gewidmet. Im gleichen Jahr erhielt sie als eine der wenigen Frauen die Ehrendoktorwürde der TU Berlin. 102-jährig ist Margarethe Schütte-Lihotzky am 18. Januar in Wien gestorben.

Thomas Schulz


© 2-3/2000 TU-Pressestelle