TU intern - Januar 2000 - Menschen

Nicht nur auf Technikakzeptanz beschränken

Technikkontroversen können nicht bewältigt werden, solange sich Politiker und Wissenschaftler auf die Diskussion von expertenorientierten Verfahren und auf Fragen der sozialen Akzeptanz beschränken. Dies ist eine der Kernaussagen der Dissertation von Dr. Gabriele Abels vom Institut für Sozialwissenschaften der TU Berlin, die für ihre Arbeit den VBKI-Preis erhielt. Mit dieser Auszeichnung prämiert der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller e. V. Arbeiten junger Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Thema ”Europa-Forschung".

Die Doktorarbeit von Gabriele Abels, die vom TU-Professor Meinolf Dierkes und Professorin Barbara Metzler von Meibom von der Universität-GHS Essen betreut wurde, beschäftigt sich am Beispiel des EU-Forschungsprogramms ”Analyse des menschlichen Genoms" mit forschungspolitischen Entscheidungsprozessen. Der erste Vorschlag für das europäische Humangenom-Programm in den 1980er Jahren folgte dem Leitbild einer sogenannten prädikativen, das heißt einer vorbeugenden Medizin. So können mit Gentests Anlagen für Krankheiten festgestellt werden, lange bevor sie ausbrechen. Allerdings bedeutet das nicht, dass man dadurch die genaue Eintrittswahrscheinlichkeit, die Schwere der Erkrankung geschweige denn eine Heilmethode kennt. Dies wirft eine Reihe von Fragen auf: Wird ein Patient durch dieses Wissen in eine seelische Krise gestürzt, muss er nach Bekanntwerden des Gentest-Ergebnisses mit Diskriminierung rechnen? Andererseits bedeutet ein negativer Befund nicht für einen Teil eine erleichternde Entwarnung, dass sie keinen Risikofaktor tragen?

Aufgrund der nicht absehbaren, sozialen, ethischen und rechtlichen Folgen stieß der Vorschlag für das EU-Programm auf erhebliche und bis dahin nie dagewesene parlamentarische und öffentliche Widerstände. Im Unterschied dazu blieben die wissenschafts- und technologiepolitischen Optionen in der Diskussion weitgehend außen vor.

Gabriele Abels untersuchte den Verhandlungsprozess in der EU mit Hilfe von Dokumentenanalysen, Auswertung von statistischem Material und Interviews mit am Politikprozess beteiligten Akteuren. Dabei stellte die Politologin unter anderem fest, dass sich Wissenschaft und Politik gegenseitig für ihre jeweils eigenen Interessen funktionalisieren können. Bei dem Genom-Programm sei dies insofern von Bedeutung, da hier erstmals die sozialwissenschaftliche Technikfolgenabschätzung integraler Bestandteil eines europäischen Forschungsprogramms wurde. Erst danach wäre dies auch auf den gesamten Bereich der biomedizinischen und biotechnologischen Forschung ausgedehnt worden; und zwar mit dem Ziel, die soziale Akzeptanz des Technikfeldes zu verbessern, wie Gabriele Abels betont. Nach ihrer Vorstellung greift dieses Verständnis von Technikfolgenabschätzung jedoch zu kurz. Der implizierte politische Kern in Technikkontroversen könne nicht realisert und die Kontroversen damit auch nicht bewältigt werden, lautet ihr Fazit.

Christian Hohlfeld


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