TU intern - Januar 2000 - Forschung

Metall-Atom und Endoskop - Die TU Berlin bei BESSY

Zahnrad aus einem Mikroplaneten-
getriebe mit dem Kopf einer Ameise
Auch die TU Berlin war über viele Jahre bei BESSY I engagiert. Sie wird dieses Engagement bei BESSY II fortsetzen und - besonders im Bereich der anwendungsorientierten Forschung - verstärken.

Zusammen mit der FU Berlin und der Humboldt-Uni ist die TU Berlin am Aufbau des ”Berliner Universitätsstrahlrohrs" (BUS) beteiligt. Es entsteht eine Apparatur, an der Arbeitsgruppen der Berliner Universitäten direkten Zugriff auf die Synchrotronstrahlung haben werden, unabhängig von der Messzeitverteilung durch die BESSY GmbH. Die Leitung der Aufbauarbeiten liegt beim Fachbereich Physik der FU Berlin. Eine erste Testphase beim BUS ist für den Frühsommer 2000 geplant. Die Kosten für die TU Berlin belaufen sich auf rund 450000 DM.

In einem noch größeren Rahmen ist die TU Berlin im Bereich der anwendungsorientierten Forschung bei BESSY II vertreten. Unter der Federführung von TU-Professor Heinz Lehr vom Institut für Mikrotechnik und Medizintechnik entsteht in den Räumen der Berliner Elektronenspeicherring Gesellschaft auf rund 700 m2 das Anwenderzentrum Mikrosystemtechnik. Rund 13 Millionen Mark fließen dazu aus dem Europäischen Fond für Regionale Entwicklung (EFRE). Etwa 300 000 Mark steuert die TU Berlin bei - hauptsächlich über Personalmittel. Das Planfeststellungsverfahren für den Ausbau des Anwenderzentrums läuft. Bis zum Herbst 2000 sollen etwa zwei Drittel der Mitglieder der Lehr'schen Arbeitsgruppe nach Adlershof umgezogen sein. Geplant ist außerdem, den nächsten wissenschaftlichen Direktor der BESSY GmbH über eine gemeinsame Berufung an die TU Berlin zu binden. Der Antrag zur Einrichtung dieser S-Professur ist auf dem Weg durch die TU-Instanzen, sie soll am Institut für Atomare und Analytische Physik angesiedelt werden.

FORSCHUNG

Die wissenschaftlichen Interessen der TU-Gruppen, die bei BESSY arbeiten, reichen von der reinen Grundlagenforschung bis hin zu anwendungsorientierten Arbeiten. Auch der neue TU-Sonderforschungsbereich 498 ”Protein-Kofaktor-Wechselwirkungen in biologischen Prozessen", der zum 1. Januar 2000 seine Arbeit aufgenommen hat, nutzt die neuen Messmöglichkeiten von BESSY II. Die Forscherinnen und Forscher des Sfb wollen in Adlershof vor allem Strukturaufklärungen von Proteinen durchführen.

LIGA-TECHNIK ...

... lautet das Zauberwort der Mikrosystemtechnik. Das hochenergetische Röntgenlicht von BESSY II soll dieser Methode zum Durchbruch verhelfen. In einer Kombination aus lithographischen und galvanischen Arbeitsschritten können damit dreidimensionale Strukturen von größter Genauigkeit gefertigt werden. Die Gruppe von Professor Lehr, die bereits bei BESSY I die LIGA-Technik anwendete, arbeitet zum Beispiel an der Herstellung von Produkten für die optische Kommunikationstechnik. In der Medizintechnik besteht eine Zusammenarbeit mit einer Berliner Firma, um Einzelteile für miniaturisierte Endoskope zu fertigen. Entwicklungen aus beiden Bereichen wurden patentiert bzw. sollen patentiert werden.

ATOME ...

... stehen im Mittelpunkt des Interesses der Arbeitsgruppe um Prof. Peter Zimmermann und Dr. Birgit Kanngießer vom Institut für Atomare und Analytische Physik. Zum einen erforscht sie die magnetischen Eigenschaften von Metall-Atomen. Diese werden mit Hilfe eines Laserstrahls ”ausgerichtet", ähnlich wie Eisenspäne im Magnetfeld, und durch das Synchrotronlicht ionisiert, d.h. eines Elektrons beraubt. Untersuchungen an diesen Elektronen geben Auskunft über die magnetischen Eigenschaften des Materials. Die Experimente helfen mit, die Grundlagen zu verstehen, nach denen magnetische Speichermaterialien der Zukunft funktionieren könnten. Daneben führt die Arbeitsgruppe so genannte ”Koinzidenzexperimente" durch, die die Vorgänge im Inneren eines Atoms erklären sollen. Diese Versuche sollen einerseits theoretisch abgeleitete Naturgesetze experimentell bestätigen. Sie liefern außerdem ”Konstanten", mit deren Hilfe eine genauere Auswertung anderer Messungen möglich werden. Ein Beispiel sind Messungen zur Qualitätskontrolle in der Mikrosystemtechnik.

CLUSTER ...

... untersucht die von Prof. Adalbert Ding geleitete Forschergruppe. Im Mittelpunkt stehen unter anderem so genannte Fullerene und Nanotubes. Das sind Gebilde aus Kohlenstoffatomen, die zum Beispiel die Form von mikroskopisch kleinen Fußbällen oder Röhren haben. Die Wissenschaftler untersuchen, wie diese Moleküle auf Bestrahlung reagieren, bzw. in welche Bestandteile sie zerlegt werden.

FESTKÖRPER ...

... sind der Forschungsgegenstand zweier weiterer TU-Arbeitsgruppen. Die Wissenschaftler um Prof. Mario Dähne interessieren sich dafür, was an der Grenze zwischen einem Metall und einem Halbleiter geschieht - Vorgänge, die für fast alle modernen elektronischen Bauelemente von entscheidender Bedeutung sind. Art und Zusammensetzung einer Metall-Halbleitergrenzfläche sind zum Beispiel ausschlaggebend dafür, ob eine solche Fläche wie ein elektrischer Leiter oder wie ein Schalter arbeitet. Ein anderes Einsatzgebiet solcher Grenzflächen ist die Photovoltaik.

Die Gruppe um Prof. Wolfgang Richter und Dr. Norbert Esser will herausfinden, wie sich Oberflächen oder dünne Schichten eines Materials von einem entsprechenden Bereich im Inneren des gleichen Materials unterscheiden. Im Hintergrund stehen auch hier die modernen Halbleiterbauelemente, die oft aus Schichten von nur wenigen Atomlagen Dicke aufgebaut sind. Dann kommt es nicht nur darauf an zu wissen, wie diese möglichst perfekt hergestellt werden. Es entsteht auch eine ganz neue Physik, mit neuen Effekten, die wiederum zum Bau noch kleinerer und schnellerer elektronischer Bausteine genutzt werden könnten. Außerdem untersucht die Arbeitsgruppe die optischen Eigenschaften bestimmter Halbleitermaterialien - so genannter Wide-Gap-Materialien. Besonders für den ultravioletten Bereich des Lichts wollen die Forscher herausfinden, was mit dem Licht geschieht, wenn es auf das Material auftrifft oder von ihm reflektiert wird - eine klassische Fragestellung der Physik, die in diesem Strahlungsbereich erst mit Hilfe der Synchrotronstrahlung zu beantworten sein wird.

Ursula Resch-Esser


© 1/2000 TU-Pressestelle