TU intern - Mai 2000 - Menschen

Neugier auf das Laboratorium Großstadt

Im Januar dieses Jahres hat Uwe-Jens Walther, Jahrgang 1948, die Professur für Stadt- und Regionalsoziologie am Institut für Sozialwissenschaften der TU Berlin übernommen. Zuvor hat er zwölf Jahre in der Forschungsabteilung des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung in Bonn gearbeitet. "Nach einem Jahrzehnt Forschungsmanagement wurde es Zeit, an die Universität zurückzukehren und wieder mehr selbst zu forschen", freut sich der Neuberufene. Den Stadtsoziologen reizt das "Laboratorium Großstadt" direkt vor der Tür.

Das Wechselspiel zwischen grundlagenorientierter Forschung und anwendungsbezogenen Fragestellungen prägte seine wissenschaftliche Biografie. Nach einem Forschungsaufenthalt am Britischen "Centre for Urban and Regional Studies" in Birmingham gründete er 1978 gemeinsam mit dem Stadtsoziologen Walter Siebel die "AG Stadtforschung" an der Universität Oldenburg.

Noch von England aus hatte er mit seinen Oldenburger Kollegen zusammen konzeptionelle Vorarbeiten für das Stadtforschungsprogramm der Robert-Bosch-Stiftung geleistet und dann für das Bundesbauministerium eine Wirkungsanalyse der ersten zehn Jahre sozialwissenschaftlicher Untersuchungen in der Stadterneuerung bearbeitet. Es folgten Forschungen zur Informellen Ökonomie und ihrer Abhängigkeit von der Wohnsituation in Stadt und Land für die Volkswagenstiftung und über die Auswirkungen einer Werksschließung auf den Arbeitsmarkt.

Ein wichtiger Bezugspunkt in Lehre und Forschung ist für ihn die Stadtplanung. In Bonn hat er sich in der wissenschaftlichen Politikberatung unter anderem auf den "Experimentellen Wohnungsbau" konzentriert. Als Stadtsoziologe interessiert ihn daran vor allem die Chance, die Qualität der Städte aus der Sicht unterschiedlicher sozialer Gruppen zu betrachten.

Ein gutes Beispiel sei die Sicht einer älter werdenden Bevölkerung, die "ergrauende Stadt": "Können wir es uns leisten, weiter an einer Spirale zu drehen, die immer homogenere Wohngebiete erzeugt?", fragt Prof. Walther. Längst hat das Ziel der Mischung von Nutzungen im städtischen Raum Eingang in den Planungsalltag gefunden. Doch es bleibt viel zu tun. "In den Städten ist die Bevölkerung inzwischen überproportional älter, heute beginnen die großen Wohnsiedlungen spürbar zu altern, morgen werden es die Ein- und Zweifamilienhausgebiete in den Vororten sein."

Am Thema der Bevölkerungsalterung macht er klar, dass es Themen geben muss, die jenseits der gerade modischen Nachfrage nach wissenschaftlichen Informationen liegen. Dazu ist Distanz von der Politik notwendig. Umgekehrt gelte, so Prof. Walther, dass Stadt- und Regionalsoziologie an Einfluss verliert, wenn sie sich allein auf ihre wissenschaftliche Distanz beruft. Das ist eine der Einsichten aus seiner bisherigen Praxis der Politikberatung.

Am wichtigsten ist ihm, dass das Thema "Soziale Stadt" nun auch von der Politik anerkannt wird. Insbesondere die Stadt- und Regionalsoziologie weist seit vielen Jahren auf die Gefahren hin, dass die zunehmende Polarisierung von Einkommens- und Lebenschancen auch einige Stadtviertel von der allgemeinen Entwicklung abzukoppeln droht.

Prof. Walther wurde gerade als Berater für ein Forschungsprojekt der Europäischen Union gewonnen, das integrierte Ansätze für sozial und ökologisch nachhaltige Revitalisierung in der Stadterneuerung in mehreren Städten und Ländern des baltischen Raums verfolgt. "Hier wird sich zeigen, wie weit wir in der Kontinuität unserer bisherigen Erneuerungspolitik in den Städten bleiben und wo wir zu ganz anderen Ansätzen kommen müssen."

tui


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