Die neue TU, Sonderausgabe der TU intern - Modellfakultät

Ein innovativer und flexibler Goliath

Die Fakultät Prozesswissenschaften geht neue Wege in Lehre und Forschung

"Wir brauchen etwas Zeit, um in der Forschung die gewünschten Synergieeffekte erbringen zu können"
Prof. Dr. Jörg Steinbach, "Neuer Dekan" der Modellfakultät III

Wenn "global player" in der freien Wirtschaft fusionieren, tun sie das, um ihre Gewinne zu steigern. "Synergieeffekte nutzen" heißt die Zauberformel. Ähnliches wird nun in den Bereichen Forschung und Lehre an der TU Berlin vorexerziert: Die Fachbereiche 6 (Verfahrenstechnik, Umwelttechnik, Werkstoffwissenschaften) und 15 (Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie) fusionierten 1999, um "mit vereinten Kräften" bei den knapper werdenden Ressourcen richtungsweisende Konzepte in Lehre und Forschung in einer "Fakultät für Prozesswissenschaften" umzusetzen. Motto: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

Die technologischen Studiengänge Energie- und Verfahrenstechnik, Biotechnologie sowie Lebensmitteltechnologie werden verzahnt durch die so genannten Querschnittsstudiengänge Lebensmittelchemie, Technischer Umweltschutz, Werkstoffwissenschaften sowie Informationstechnik im Maschinenwesen. In gleicher Weise sollen die künftigen Forschungsschwerpunkte in einer Netzstruktur miteinander verbunden und in einer zweiten Ebene der Lehre überlagert werden. "Die Synergieeffekte in der Lehre gaben den Ausschlag für die Gründung der Process sciences and engineering Fakultät", erläutert Fakultätsdekan Jörg Steinbach. Mit der Verzahnung der verschiedenen Verfahrenstechniken in einem vereinheitlichten Grundstudium und einer Spezialisierung auf eine der verfahrenstechnischen Studiengänge bietet die TU Berlin ihren Studierenden eine in Deutschland einmalige Lehrpalette. Trotz knapper Kassen soll das Angebot qualitativ verbessert werden.

"Das Studienangebot wird nahezu beibehalten", so Dr. Thomas Kathöfer, der Fakultätsverwaltungsleiter. "Aber die Curricula der Studiengänge werden modularisiert und die Studienmodule synchronisiert." Das heißt unter anderem: Das Grundstudium soll für alle Studierenden der Fakultät in den ersten beiden Semestern gleich strukturiert sein. Der Wechsel in einen anderen Studiengang wird dadurch stark vereinfacht.

"Möglicherweise können wir dadurch die hohe Abbrecherquote in den Ingenieurwissenschaften von teilweise bis zu 50 Prozent senken", hofft Kathöfer. Andererseits haben Studierende, die in Boomstudiengängen wie zum Beispiel Biotechnologie nicht sofort einen Platz bekommen, in späteren Semestern die Möglichkeit, zu wechseln. Der neue Abschluss Bachelor, der im siebten Semester zwischen Vordiplom und Diplom abgelegt wird, soll vor allem als Einstiegsqualifikation dienen. Bei einem Ausländeranteil von nahezu 20 Prozent unter den Studierenden der Fakultät steht eine Internationalisierung der Studienstruktur im Vordergrund. "Ein solider Master ist dabei unser zentrales Ausbildungsziel", betont Steinbach.


Das Team des Service-Centers der Modellfakultät III
Neben den inhaltlichen Kernbereichen hat man sich auch zur Aufgabe gemacht, die "soft skills" der Studierenden stärker zu fördern. "Auch im ingenieurwissenschaftlichen Bereich sind für den späteren Bewerbungs- und Berufserfolg wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse und soziale Kompetenzen enorm wichtig", erläutert Kathöfer. Deshalb sollen neben Management- und Fremdsprachenkenntnissen auch Kompetenzen wie Team- und Konfliktfähigkeit durch die Lehre vermittelt werden. Dies wird unter anderem auch mit Hilfe von projektorientierten Studienanteilen geschehen. Um Studium und Lehre mehr Gewicht zu verschaffen, hat im Herbst 1999 auch ein "Studiendekan" (Prof. Dr. Helmut Schubert) in der neuen Fakultät seine Arbeit aufgenommen.

Auch in der Forschung werden die Prozesswissenschaftler neue Wege beschreiten: An die Stelle herkömmlicher Verwaltungsstrukturen treten "Centers of competence", die sich außerhalb der Universität mit konkreten Projekten präsentieren werden. Mit klar definierten Fokus-Themen werden die Wissenschaftler der Fakultät die Bereiche Lehre und Forschung mit dem Bedarf der freien Wirtschaft verknüpfen. "Wenn ein Unternehmen für seine Produkte zum Beispiel bestimmte neuartige Materialien benötigt, können wir bedarfsorientiert einen Verbund von Forschern initiieren und gezielt die erforderlichen Forschungs- und Entwicklungsleistungen bieten", erläutert Kathöfer. "Schlüsselbegriffe wie Biomaterialien oder Biotechnologiezentrum stehen dann öffentlichkeitswirksam für unser Service-Angebot, ohne dass wir neue Hierarchien innerhalb der Fakultät entwickeln müssen. Die Kooperationen sollen den Prozesswissenschaftlern ermöglichen, in der freien Wirtschaft noch erfolgreicher Drittmittel einzuwerben. Was an der Fakultät III derzeit in Angriff genommen wird, ist richtungsweisend für sämtliche Fachbereiche der TU Berlin.

"Wir sind nicht zuletzt im administrativen Bereich die Versuchskaninchen der Uni-Reform", sagt Kathöfer. "Um zwei gewählte Gremien wie die Fachbereichsräte gemäß dem Berliner Hochschulgesetz dazu zu bringen, ihre Arbeit einzustellen und Befugnisse zu übergeben, bedurfte es zum Beispiel eines minutiösen und ausgeklügelten Fahrplans."

Die Räte übergaben ihre Kompetenzen an eine »Gemeinsame Kommission mit Entscheidungsbefugnissen« (GkmE), bevor sie sich auflösten und die Dekane der Fachbereiche zurücktraten. Erst danach konnte die Kommission die ehemaligen Fachbereichsdekane Steinbach und Stahl zum Dekan beziehungsweise Prodekan wählen.

Jetzt, wo die Weichen zum großen Teil gestellt sind, muss sich das Flaggschiff Prozesswissenschaften in der Praxis beweisen. Im Alltag heißt das für die Mitarbeiter der Fakultät zunächst einmal, sich näher kennen zu lernen. "Bei 48 Fachgebieten kann zunächst nicht jeder genau wissen, wer in welchem Bereich forscht", erläutert Steinbach: "Wir brauchen nun ein wenig Zeit, intern Kontakte zu intensivieren, um dann auch in der Forschung die gewünschten Synergieeffekte erbringen zu können." Die Prozesswissenschaftler freuen sich schon jetzt darauf, nicht mehr in erster Linie Experimentierstätte zu sein, sondern sich wieder stärker der wissenschaftlichen Arbeit widmen zu können - das natürlich dann unter völlig neuen Voraussetzungen.

lk


Leserbriefe

  Die neue TU -
           Juni 2000


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