TU intern - Juli 2001

Rede des Präsidenten der TU Berlin, Hans-Jürgen Ewers, zur Enthüllung der Gedenktafel

Sehr geehrter Herr Kanafi,
sehr geehrte Gäste,
sehr geehrte Gremienmitglieder der TU Berlin,
sehr geehrte Dekane,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitglieder unserer Universität,

ich freue mich, dass Sie der Einladung gefolgt sind, an der Enthüllung der Gedenktafel für die verfolgten und vertriebenen Mitglieder unserer Vorläuferinstitution während des Nazi-Regimes teilzunehmen. Eine besondere Freude ist für mich, dass Sie, Herr Kanafi, als Erster Sekretär der israelischen Botschaft den Weg hierher gefunden haben. Herzlich willkommen! Begrüßen möchte ich auch den Repräsentanten des Technion Haifa, Herrn Stoffers. Ihre Anwesenheit dokumentiert die enge Verbindung mit dem Technion Haifa, dessen Aufbau durch einige der vertriebenen Wissenschaftler der TH Berlin wesentlich befördert wurde.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit ist der Technischen Universität Berlin ein wichtiges Anliegen. Dass unsere Universität sich der Aufgabe stellt, auch die dunklen Kapitel ihrer Geschichte kritisch aufzuarbeiten, haben die Enthüllung der Schlesinger-Gedenktafel und die 200-Jahrfeier unserer Universität vor zwei Jahren deutlich gemacht, um hier nur zwei Beispiele zu nennen.

Die Ausstellung im Rahmen des Jubiläums hat dieses Bemühen eingehend dokumentiert, offene Diskussionen angestoßen und der universitätsinternen Auseinandersetzung wichtige Impulse vermittelt. Die Diskussionen zeigten zum einen sehr deutlich, dass in der Universität Konsens darüber herrscht, die Verantwortung, die sich aus den dunklen Kapiteln ergibt, zu übernehmen. Zum anderen entwickelte sich der Wunsch, die Erinnerung an alle diejenigen, die während des nationalsozialistischen Regimes von ihrer Hochschule vertrieben wurden, bleibend zu dokumentieren.

Aus diesem Wunsch heraus hat sich das Projekt einer Gedenktafel entwickelt, die dauerhaft an dieses dunkle Kapitel und zugleich auf die Verpflichtung unserer Universität hinweisen soll, Lehre und Forschung innerhalb und für eine demokratische und humane Gesellschaft zu betreiben. Mein besonderer Dank geht an dieser Stelle an die Mitglieder der Arbeitsgruppe: an Herrn Vizepräsidenten Sahm, der die Arbeitsgruppe geleitet hat, die Kollegen Benz, Cramer, Koeppel, Rass und an Herrn Hünicken und Herrn Schwarz. Ohne sie gäbe es keine Gedenktafel.

Wie viele Mitglieder der Hochschule aus Amt und Würden vertrieben wurden, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Namentlich bekannt sind 94 Mitglieder des Lehrkörpers, also knapp einem Viertel bei einer Gesamtzahl von ca. 410 Professoren und Assistenten. Allerdings steht zu vermuten, dass einige der Hochschullehrer und Privatdozenten, die "freiwillig" die TH Berlin verlassen haben, dazu massiv unter Druck gesetzt wurden.

Andersdenkende, insbesondere Republikaner, Marxisten und Pazifisten, wurden in ihrer Arbeit behindert und von der Hochschule ausgeschlossen. Die Aufforderung des Führers der Deutschen Studentenschaft, "sämtliche Hochschullehrer, deren wissenschaftliche Methode ihrer liberalen, insbesondere pazifistischen Einstellung entspricht, die daher für die Erziehung der deutschen Studenten im Staat nicht in Frage kommen" mit diskriminierenden Auskünften zu denunzieren und deren Lehrveranstaltungen zu boykottieren bzw. zu stören, fiel an der TH Berlin auf fruchtbaren Boden.

Viele erlitten das gleiche Schicksal aus rassistischen Gründen. Prominente Beispiele dafür sind Georg Schlesinger oder Gustav Hertz, der 1926 zusammen mit James Franck den Nobelpreis für Physik erhalten hatte. Er war üblen Anwürfen ausgesetzt, die versuchten, sein wissenschaftliches Renommee zu zerstören. So wurde im Wintersemester 1935/36 gemeldet, dass die "Säuberung der Hochschule von jüdischen Lehrern" abgeschlossen sei.

Aber auch nichtjüdische Kollegen mussten mit scharfen Sanktionen rechnen, wenn sie für ihre jüdischen Kollegen eintraten. So beantragte die Dozentenschaft den Entzug der Lehrbefugnis für Privatdozent Waldemar Koch, weil er für den bereits verhafteten Schlesinger Partei ergriffen hatte. Als sich Koch auf anderem Gebiet für einen jüdischen Industriellen einsetzte und die Gegenseite ihn bezichtigte, "stinkende jüdische Interessen allerschlimmster Art" zu vertreten, machte sich das die Dozentenschaft zunutze, um den Rektor der TH Berlin von der dringenden Entlassung Kochs zu überzeugen.

Neid war bekanntlich ein stetes Motiv im Hintergrund für diese Denunziationen. Auf die Stelle, die vorher von dem denunzierten Wissenschaftler eingenommen wurde, rückte häufig der Denunziant nach, der meist über eine wissenschaftlich wesentlich geringere Qualifikation, dafür aber über einen Ariernachweis und das richtige Parteibuch verfügte.

Die Technische Hochschule Berlin orientierte sich schnell an den neuen Richtlinien. Noch im März 1933 wollte Professor Krencker, Rektor der TH Berlin am Ende der Weimarer Republik, Professor Storm verhaften lassen, weil dieser auf dem TH-Gebäude die Hakenkreuzfahne hissen ließ. Mit dieser Haltung befand sich Krencker allerdings bald isoliert im Abseits, so dass genau dieser Professor Ernst Storm als Rektor der TH Berlin (1938-42) am Ende seiner Amtszeit stolz sagen konnte: "Die Technische Hochschule Berlin galt schon vor der Machtübernahme als eine Hochburg des Nationalsozialismus unter den deutschen Hochschulen."

Damit hatte er Recht. Den vorauseilenden Gehorsam der TH Berlin belegt auch eine andere Tatsache;. Als ein Erlass des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 29. Juni 1933 forderte, "alle Studierenden an preußischen Hochschulen, die sich in den letzten Jahren nachweislich im kommunistischen Sinne betätigt haben (auch ohne Mitglieder der KPD zu sein), ... mit sofortiger Wirkung von dem Universitätsstudium auszuschließen", so war dieser Aufruf für die TH Berlin gegenstandslos. Denn, so die Antwort der Hochschule, "seitens der Technischen Hochschule Berlin ist bereits durch Verfügung Nr. 2414 vom 15. Mai 1933 das Erforderliche veranlasst worden."

Die Verfolgung Andersdenkender innerhalb der Studierendenschaft beschränkte sich ebenfalls nicht auf politisch anders Eingestellte, sondern auch jüdische Kommilitonen. Waren die jüdischen Studenten vor ihrem endgültigen Ausschluss zermürbenden Diskriminierungen seitens ihrer "arischen" Kommilitonen ausgesetzt, so war ab dem Wintersemester 1935/36 der Ariernachweis Voraussetzung für die Immatrikulation. In diesem Zusammenhang möchte ich auch an alle diejenigen erinnern, die gar nicht mehr Mitglied unserer Vorläufereinrichtung werden konnten und denen Karriereaussichten, Aufstiegsmöglichkeiten und schließlich auch das Leben genommen wurden. Ihnen allen gilt unser Erinnern.

Auch Würdenträger blieben von den Säuberungsattacken nicht verschont. So wurde zwei herausragenden Sozialdemokraten, aber auch den beiden früheren Direktoren des Reichsrundfunkrats die Ehrensenatorwürde aberkannt. Heute noch erschütternd ist die Perfidie der Begründung von Dozentenbundführer Willing: "Beide Herren sitzen seit längerer Zeit im Konzentrationslager Oranienburg, und ich glaube, dass es mit der Würde einer Technischen Hochschule Berlin nicht vereinbar ist, dass ihre Ehrensenatoren im Konzentrationslager sitzen."

Ich denke, diese Beispiele beleuchten schlaglichtartig, woraus sich die Notwendigkeit des Erinnerns und des Gedenkens speist. Vielleicht werden Sie es etwas ungewöhnlich finden, dass die Enthüllung der Gedenktafel im Rahmen der Sitzung des Akademischen Senats stattfindet. Wir haben aber ganz bewusst diesen Zeitpunkt gewählt, um deutlich zu machen, dass wir das Erinnern und Mahnen an die demokratische Verantwortung für eine humane Gesellschaft als fundamentalen Teil des akademischen Lebens verstehen. Ich denke, dass gerade der Akademische Senat unserer Universität ein gutes Beispiel für demokratische Streitkultur darstellt und repräsentiert, wie man miteinander streiten kann, ohne sich gegenseitig auszugrenzen.

(Tafel wird enthüllt und der Text vorgelesen:)

"Dem Gedenken an die Mitglieder der Technischen Hochschule Berlin, die zwischen 1933 und 1945 unter der nationalsozialistischen Herrschaft von ihrer Wirkungsstätte vertrieben wurden. Die Technische Universität sieht sich in der bleibenden Verantwortung des Erinnerns. Forschung und Lehre sind einer demokratischen und humanen Gesellschaft verpflichtet. Aus Anlass der 200-Jahr-Feier der Technischen Universität Berlin. Der Präsident."

Universitäten sind nicht nur als Wirtschaftsfaktor von großer Bedeutung - das scheint man in Berlin immer noch besonders betonen zu müssen - , sondern leisten auch Orientierungsarbeit für wichtige Themen, die die Gesellschaft bewegen - oder bewegen sollten. In diesem Sinne ist die Gedenktafel eine Mahnung zum von Respekt getragenen Umgang und konstruktiven Miteinander als festem Bestandteil unserer Universitätskultur, die das auch überzeugend nach außen trägt.


Leserbriefe

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