TU intern - November 2001 - Menschen
Mathematik erhält jung
Shiing-Shen Chern ist Mathematik-Ehrendoktor der TU Berlin
EIN BESONDERER EHRENDOKTOR
Shiing-Shen Chern |
Der Mathematiker Shiing-Shen Chern ist am 9. Oktober mit der Ehrendoktorwürde
der TU Berlin ausgezeichnet worden. Das ist nicht nur für die
neue Fakultät
II die erste Ehrenpromotion - es ist auch der erste Mathematik-Ehrendoktor
seit Gründung der TU Berlin im Jahr 1946. Eine Ehrendoktorwürde
ist die höchste akademische Ehrung, die eine Universität
vergeben kann.
EIN BESONDERER GEOMETER
Die TU Berlin ehrt einen herausragenden Menschen, Lehrer und Wissenschaftler.
Chern gilt weltweit als bedeutendster Geometer der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts. Die TU Berlin würdigt mit dem Ehrendoktorat
seine überragenden mathematischen Leistungen, seine hohe mathematische
Intuition und Kreativität, seinen nachhaltigen Einfluss auf
die Entwicklung der Mathematik, seine vorbildliche Förderung
des mathematischen Nachwuchses aus vielen Ländern (er hatte
mehr als 40 Doktoranden, eine in der Mathematik unglaublich große
Zahl) und seine Förderung internationaler Kooperationen.
PROMOTION IN HAMBURG
1936 Cherns Internationalität spiegelt sich in
seinem Lebenslauf: Er wurde 1911 in Kashing/China geboren, erhielt
1930 seinen BSc von der Nankai University in Tianjin und 1934 seinen
MSc von der Tsinghua University - heute eine TU-Partner-Universität.
Er studierte von 1934 bis zu seiner Promotion 1936 in Hamburg, sein
Doktorvater war Wilhelm Blaschke, einer der führenden Geometer
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Anschließend
ging Chern über die Sorbonne (1936/37) und Zwischenstationen
in China (1937-1943 Tsinghua U, 1946-1948 Direktor des von ihm aufgebauten
Mathematischen Instituts in der Academia Sinica) in die USA, wo
er 1961 die US-Staatsbürgerschaft annahm; seine Stationen:
1943-1945 Princeton, 1949-1960 Chicago und ab 1960 Berkeley. Dort
wurde 1981 das erste universitätsunabhängige mathematische
US-Forschungsinstitut gegründet, dessen Direktor er wurde.
1984 gründete er ein zweites Forschungsinstitut in Tianjin,
wo er 1930 seinen BSc erworben hatte und wo er seit etwa einem Jahr
wieder ständig wohnt. Beide Forschungsinstitute gehören
zu den weltweit ersten Adressen in Mathematik.
CHERNS BEZIEHUNGEN ZU DEUTSCHLAND
Cherns Hamburger Jahre sind die Grundlage seiner speziellen Beziehungen
zu Deutschland. Er kam mehrfach zurück, 1982 weilte er als
Humboldtpreisträger in Bonn; er schickte Schüler zur Promotion
nach Deutschland, speziell nach Hamburg und an die TU Berlin, er
empfahl junge Mathematikerinnen als Humboldt-Fellows. Cherns wissenschaftliche
Kooperation mit Erich Kähler, ebenfalls ein weltbekannter Mathematiker,
der von 1958-1965 als Professor, danach als Honorarprofessor an
der TU lehrte, geht noch auf die frühen Hamburger Jahre zurück;
in den 50er Jahren begann Cherns bis heute anhaltende Kooperation
mit Friedrich Hirzebruch, dem Primus unter den deutschen Mathematikern.
Die Mathematik-Partnerschaft Berkeley/TU Berlin wurde von Chern
nachdrücklich unterstützt. Zwischen der Peking U und der
TU Berlin besteht seit 2000 eine Mathematik-Partnerschaft, die auf
chinesischer Seite getragen wird von TU-Alumni, die Chern seinerzeit
an die TU empfohlen hatte.
INTERNATIONALE EHRUNGEN
Cherns großes Ansehen spiegelt sich in 7 Ehrendoktoraten,
16 Ehrenprofessuren, zahlreichen (Ehren-)Mitgliedschaften in Akademien
und wissenschaftlichen Vereinigungen vieler Länder sowie in
einer Reihe hochangesehener Preise, außer im Humboldt-Preis
u. a. im Wolf Prize und im Steel Prize (beide 1983/84).
DIE VERLEIHUNG DER TU-EHREN-DOKTORWÜRDE IN CHINA
Im Auftrage des TU-Präsidenten hat Prof. Alexander Bobenko
aus dem Mathematischen Institut der TU Berlin am 9. Oktober 2001
die Ehrendoktor-Urkunde an Professor Chern überreicht und eine
Laudatio gehalten, in der er Cherns überragenden mathematischen
Leistungen würdigte; Bobenko ging dabei auf die große
mathematische Tradition der TU Berlin und ihrer Vorläufer-Institutionen
ein, denn gerade auch auf Cherns Arbeitsgebieten schmücken
illustre Namen die TU-Geschichte. Professor Bobenkos Bericht entnehmen
wir folgendes: Zur Feier hatten sich Hunderte von Angehörigen
der Nankai University in Tianjin, Wissenschaftler aus ganz China
- darunter Nobelpreisträger - und die Teilnehmer eines Physik-Kongresses
eingefunden. Der Präsident der Nankai University, Prof. Dr.
Hou Zixin, würdigte im Anschluss an die Laudatio sowohl die
große Bedeutung der Ehrenpromotion von Professor Chern als
auch die einer Zusammenarbeit mit der TU Berlin. Während der
Feierstunde wurde Prof. Chern außerdem die Blaschke-Medaille
verliehen, die von der - nach seinem Hamburger Doktorvater benannten
- Blaschke-Stiftung in etwa 5-jährigem Turnus an herausragende
Geometer vergeben wird. Das chinesische Fernsehen zeichnete die
Zeremonie auf.
REAKTIONEN AUF DIE VERLEIHUNG
Chern selbst hatte im Sommer 2001 in einer ersten Reaktion auf
die Mitteilung der Ehrendoktorwürde ebenfalls die große
mathematische Tradition der TU Berlin hervorgehoben; er bezeichnete
kürzlich in einem Interview die TU-Mathematik als outstanding.
In Tianjin schlug er auch den Abschluss eines Kooperationsvertrages
in Mathematik zwischen der Nankai University und der TU Berlin vor.
Die chinesischen Medien haben vielfältig auf die Verleihungszeremonie
reagiert: Fernsehen und Tageszeitungen, auch die an ein internationales
Leser-Publikum gerichtete China Daily, haben über
die Zeremonie und den Wissenschaftler S. S. Chern berichtet. Positiv
gewürdigt wird die wissenschaftspolitische Bedeutung des Ehrendoktorats
von der Kultur- und Bildungsabteilung des Auswärtigen Amts
der Bundesrepublik Deutschland, wobei insbesondere auch Cherns Beziehungen
zu Deutschland und seine Internationalität gesehen werden.
Ebenso positiv äußert sich der Chairman der American
Chamber of Commerce in Bavaria, Dr. Rüpprich; er betont den
außerordentlichen Stellenwert dieser Ehrenpromotion.
CHERN WURDE 90
Mathematik ist der Mittelpunkt in Cherns Leben. Ein lebendiges
Interview von 1998, das auch ausführlich auf sein Studium in
Deutschland eingeht, ist unter http://www.ams.org/notices/199807/chern.pdf
zu lesen. Für Chern und für die Mathematik beglückend:
Trotz seines hohen Alters - Chern wurde am 26. Oktober 90 Jahre
alt - ist er wissenschaftlich aktiv. Offenbar erhält Mathematik
jung. Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Beijing,
S. E. Joachim Broudre-Gröger, sprach in einem persönlichen
Schreiben an Professor Chern seine Glückwünsche aus. International
führende mathematische Zeitschriften widmen Chern Festschriften.
Die TU Berlin und insbesondere die TU-Mathematik wünschen ihrem
Ehrendoktor, dass seine mathematische Schaffenskraft und seine Gesundheit
noch lange anhalten mögen.
Prof. Dr. Udo Simon,
Institut für Mathematik
Leserbriefe
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