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Nr. 2-3, Februar/März 2004
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Visionen des sozialistischen Alltags

DDR-Stadtentwicklung zwischen großen Entwürfen und zentralstaatlichen Zwängen

Industriekulisse des Stahl- und Walzwerkes Eisenhütten-Kombinat Ost (EKO) in Eisenhüttenstadt

Als Ludwigsfelde 1965 Stadt wurde, war der Anlass dafür, dass im VEB IFA-Automobilwerk der erste Lkw vom Band lief. Dieser Zusammenhang widerspiegelt die Abhängigkeit städtischer Entwicklung in der DDR von der Industriepolitik der SED. In dem nun abgeschlossenen Forschungsprojekt "Industriestädte in der SBZ/DDR 1945 bis 1989/90. Stadtentwicklung, Kommunalpolitik und urbanes Leben" wurden anhand von drei Stadttypen die Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen sowie die Lebensrealitäten in den Industriestädten der DDR untersucht. Die von der "Arbeitsstelle für europäische Stadtgeschichte" des Instituts für Geschichte und Kunstgeschichte der TU Berlin und vom Leibnizinstitut für Regionalentwicklung und Strukturplanung Erkner (IRS) durchgeführte Forschungsarbeit war von der Volkswagenstiftung von 2001 bis 2004 finanziert worden.

Zum Abschluss des Projekts veranstalteten Prof. Dr. Heinz Reif (TU Berlin) und Dr. Christoph Bernhardt (IRS Erkner), unter deren Leitung das Forschungsvorhaben durchgeführt worden ist, am 6. und 7. Februar in Berlin eine Konferenz "Städte im Sozialismus", auf der mehr als 20 Wissenschaftler deutscher und internationaler Forschungseinrichtungen über Stand und Perspektiven der Forschung sprachen. Diskutiert wurden Themen wie die Kommunalpolitik zwischen zentralstaatlichen Zwängen und lokalen Handlungsressourcen, die Stadtplanung zwischen sozialistischen Visionen und defizitärer Urbanisierung sowie Alltag und Öffentlichkeit in der sozialistischen Stadtgesellschaft. Gegenstand der Konferenz war auch der Vergleich von Forschungsergebnissen zu mittel- und osteuropäischen Städten. TU-Professor Harald Bodenschatz referierte über die Ergebnisse seines Forschungsprojekts zur stalinistischen Stadtplanung in der Sowjetunion in den 1930er-Jahren.

Das Projekt "Industriestädte in der SBZ/DDR" richtete mit seinen Schwerpunkten "Stadtentwicklung", "Kommunalpolitik" und "Qualität des urbanen Lebens" den Fokus auf einen Bereich der DDR-Stadtforschung, der bisher kaum im Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses stand. Da die SED nach Krieg und Reparationszahlungen an die Sowjetunion in der DDR neue Industrien aufbauen musste, folgte die Entwicklung der Städte "vorrangig wirtschaftspolitischen Zwängen", schreiben Carsten Benke und Thomas Wolfes. Benke (TU Berlin) untersuchte die Entwicklung der industriellen Kleinstadt Ludwigsfelde, Wolfes (TU Berlin/IRS Erkner) den Weg Rostocks von der bürgerlichen Hansestadt zu einer großen sozialistischen Industriestadt und Philipp Springer (TU Berlin) die industrielle Mittelstadt Schwedt.

Anhand der drei Fallbeispiele analysierten die Forscher die "Entstehung der physischen Stadtstrukturen ... als Produkt der Wechselwirkung zwischen einer zentralistisch geleiteten Politik und der lokalen Ebene". Über eine "differenzierte und vergleichende Analyse der Industriestädte werden Leistungen und Blockaden, Loyalitätsgewinne und -verluste des gesellschaftlichen und des politischen Systems in der DDR erfasst", heißt es. Damit habe das Forschungsprojekt Grundlagenwissen über zentrale Funktionsmechanismen der DDR-Diktatur auf der lokalen Ebene erarbeitet, trage zur historischen Einordnung und Bewertung sowie zur Etablierung der Stadtgeschichte innerhalb der DDR-Geschichtsforschung bei und habe darüber hinaus aktuelle Relevanz. "In Hinblick auf die Perspektiven nach 1990", schreiben die Wissenschaftler, "können durch die historische Analyse auch die unterschiedlichen Entwicklungsoptionen gegenwärtiger Stadtentwicklung in Ostdeutschland - Deindustrialisierung, Stagnation, Schrumpfung oder Reindustrialisierung - besser erfasst werden."

sn

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