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Juni 2005
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Wie viele Master braucht das Land?

Eine Diskussion um die Verteilung von Lehrkapazitäten im Bologna-Prozess

In die Diskussion, wie viel der universitären Lehrkapazität den Bachelor- und den Masterstudiengängen zur Verfügung stehen soll, war Bewegung gekommen, als Nordrhein-Westfalen einen Erlass herausgab, nach dem 80 Prozent der Lehrkapazitäten auf die Bachelorausbildung entfallen sollte. Der Zusammenschluss der technischen Hochschulen (TU 9) aber hatte herausgefunden, dass die Studierenden zwischen 45 und 65 Prozent des Lehrbedarfs in den letzten drei Semestern des Diplomstudienganges benötigen. Sie sehen daher in dem Erlass eine Quoteneinführung für den Zugang zum Master durch die Hintertür sowie eine Gefährdung der Masterabsolventenzahlen. Sie befürchten außerdem, dass andere Länder sich dem Modell Nordrhein-Westfalen anschließen. Nach dem Regierungswechsel am Rhein ist allerdings der Bestand des Erlasses nicht mehr gesichert. Niedersachsen wiederum hat mit seinen Hochschulen so genannte Zielgrößen vereinbart und baut darauf, dass ohnehin nur die Hälfte der Bachelorabsolventen unmittelbar einen Master "draufsatteln" wollen. Hier nehmen drei Experten aus Berlin, aus Karlsruhe und aus Hannover zu dem Problem Stellung.

Der Universitätsmaster - bald ein Kandidat für das Artenschutzabkommen?

Leeren sich die Hörsäle, leeren sich auch bald die Büros, Labore und Werkstätten, wo Deutschland innovativ ist
Foto: TU-Pressestelle, Collage: dtf

Die neueste Untersuchung der Kultusministerkonferenz (KMK) stellte fest, dass sich die Einführung der gestuften Studiengänge in Deutschland zu einer Erfolgsstory entwickelt. Die Zahl der Studienanfänger, die sich in einem Bachelor- oder Masterstudiengang immatrikuliert haben, stieg von 2002 auf 2003 um 47 Prozent. Die meisten dieser Studierenden haben sich in Bachelorstudiengänge eingeschrieben, und sie sehen in diesem ersten Abschluss auch ihr Studienziel. Diese Einstellung deckt sich mit dem Anliegen der Politik, den Bachelor als Einstieg in das Berufsleben zu präferieren.

Die Masterausbildung spielte in den politischen Diskussionen um die Einführung der gestuften Studiengänge bislang eine eher untergeordnete Rolle. So sieht zum Beispiel das neue Berliner Hochschulzulassungsgesetz keine abschließende Regelung für den Master vor. KMK und Hochschulrektorenkonferenz (HRK) haben sich Ende 2004 auf eine eher vage Formulierung verständigt: Die Höhe des Masterbereichs solle sich an den Bedürfnissen aus Wirtschaft und Wissenschaft orientieren. Die Hochschulen wurden aufgefordert, Studienplätze im Rahmen ihrer Gesamtkapazität zur Verfügung zu stellen. Von einer Quote war keine Rede mehr.

Wenig beeindruckt von diesen Vorgaben zeigte sich im Februar 2005 das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium, als es in einem Erlass zum ersten Mal konkrete Zahlen im Hinblick auf die Verteilung der Lehrkapazitäten für die beiden Zyklen nannte. Die Universitäten wurden aufgefordert, 80 Prozent ihrer Kapazitäten für die Bachelorphase und 20 Prozent für die Masterausbildung vorzuhalten. Die Folgen einer solchen Aufteilung sind absehbar: Die Anzahl der Masterabsolventen würde sich - unter Berücksichtigung der Vorgaben der Kapazitäten-Verordnung und im Gegensatz zu den Berechnungen aus Düsseldorf - im Vergleich zu den aktuellen Diplomabsolventenzahlen um 75 Prozent reduzieren. Der Mangel an Ingenieuren auf universitärem Diplomniveau - schon heute ein Problem - würde sich noch einmal dramatisch verschärfen. Die Universitäten verlören ihren wissenschaftlichen Nachwuchs und müssten ihre Forschungstätigkeit und Drittmitteleinwerbung weitgehend einstellen. Die Studierenden müssten sich nicht nur mit Studienbedingungen ohne Forschungsanbindung abfinden, der Masse würde auch die Option eines Masterabschlusses verwehrt bleiben.

In der KMK werden die für die Bundesrepublik Deutschland im Bildungsbereich verbindlichen zwischenstaatlichen Vereinbarungen getroffen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum sich die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in dieser Art und Weise von der KMK-HRK-Erklärung vom Dezember 2004 distanziert. Es ist zu befürchten, dass andere Länder sich dem Modell anschließen. Die Folgen für den Wissenschafts- und Technologiestandort Deutschland wären katastrophal.

Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach,
1. Vizepräsident der TU Berlin

Studienplatzkapazitäten und Bologna-Prozess

Um die Studienplatzkapazität einer Hochschule zu errechnen, wird das vorhandene Lehrangebot dem Lehrbedarf aus den zugeordneten Studiengängen gegenübergestellt. Die Lehrdeputate der Dozenten stehen dabei dem so genannten Curricularnormwert (CNW) gegenüber, der den Lehrbedarf bestimmt. Er setzt sich aus den jeweiligen Werten für die unterschiedlichen Veranstaltungsformen und aus festen Werten für Studienabschlussarbeiten zusammen und ist dadurch variabel. Ein wichtiges Ziel des Bologna-Prozesses ist die Qualitätssteigerung in der Lehre, die durch eine bessere Betreuung und alternative Studienformen erreicht werden soll. Dafür muss der CNW angepasst werden, weil eine bessere Betreuung die Werte der Veranstaltungen verändert: je weniger Studierende in einem Kurs, desto höher der CNW. Eine Erhöhung des Gesamt-CNW um etwa 20 Prozent ist deshalb geplant. Diese dann etwa 120 Prozent Kapazität - verglichen mit 100 Prozent für einen Diplomstudiengang - müsste man, wenn man sich an den Absolventenzahlen des heutigen Diploms als Äquivalent für den Master orientiert, etwa zur Hälfte auf beide Studienabschlüsse verteilen. Der Master benötigt aufgrund der kleineren, weil spezialisierten Seminare einen höheren CNW, obwohl der Zyklus kürzer ist. Eine nicht zweigeteilte Verteilung hätte ein Ungleichgewicht in dem einen oder anderen Zyklus zur Folge.

tui


Problemlöser der Zukunft in Gefahr

 
  Horst Hippler
Foto: Universität Karlsruhe (TH)

Der Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern gefährdet den deutschen Industriestandort - so warnt die Industrie schon seit Jahren. Doch ihre Rufe verhallen offensichtlich ungehört, denn nun plant die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, die Anzahl wissenschaftlich ausgebildeter Ingenieure auf ein Minimum zu reduzieren. Wir haben an der Universität Karlsruhe berechnet, wie viele Masterabsolventen die Fakultät für Elektrotechnik unter den Bedingungen des nordrhein-westfälischen Erlasses ausbilden könnte - das Ergebnis ist schockierend: Die Zahl der Absolventen mit der derzeitigen Qualifikation eines deutschen universitären Diplomingenieurs würde auf ein Viertel reduziert! Die Mitgliedshochschulen der TU 9 sehen darin eine eklatante Gefährdung des Industrie- und Technologiestandortes Deutschland. Dieser Kahlschlag wird die Innovationskraft der deutschen Industrie dramatisch schwächen. Um dies zu verhindern, müssen wir sowohl Qualität als auch Quantität der Absolventen Technischer Universitäten in den Natur- und Ingenieurwissenschaften erhalten.

Nur Universitäten, die eine hochwertige universitäre Lehre bieten, können exzellente Forschung betreiben - eine der Voraussetzungen, um hervorragend ausgebildete Absolventen ins Berufsleben zu entlassen. Universitäten bilden die Problemlöser der Zukunft aus. In den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Unternehmen bilden sie den Grundpfeiler des Wirtschaftsstandortes Deutschland, der sich in der globalen Konkurrenz nur dann behaupten kann, wenn er weiterhin innovationsstark bleibt. Die Anzahl der Absolventen, die eine grundlegende wissenschaftliche Ausbildung erhalten haben, darf auf keinen Fall sinken. Denn: Vor allem in den Ingenieur- und den Naturwissenschaften wächst der Bedarf der Industrie an hoch qualifizierten Absolventinnen und Absolventen der Universitäten. Die TU 9 fordert die Politik mit Nachdruck auf, den Masterabschluss für ingenieur- und naturwissenschaftliche Studiengänge an Universitäten als Regelabschluss zu akzeptieren. Der Bachelorabschluss kann als Drehscheibe fungieren, wenn Studierende sich verändern möchten, sei es durch einen Wechsel an eine andere Universität oder ins Ausland, sei es durch einen Wechsel des Studienfachs. Das Ziel jedoch bleibt der Master, denn nur diese Ausbildungsstufe kommt qualitativ dem Abschluss "Diplomingenieur" gleich.

Auf den direkten Berufseinstieg nach dem Bachelor bereiten die Fachhochschulen ihre Studierenden sehr gut vor, das Ziel der Technischen Universitäten jedoch wird immer die wissenschaftlich fundierte Ausbildung sein.

Professor Dr. sc. tech. Horst Hippler,
Rektor der Universität Karlsruhe (TH), Sprecher der TU 9


Wirtschaft braucht vor allem Bachelor

 
Lutz Stratmann
Foto: Wissenschaftsministerium Niedersachsen
 

Die niedersächsischen Hochschulen stellen ihre Studiengänge sehr zügig auf Bachelor- und Masterabschlüsse um. Bereits zum Wintersemester 2006/2007 haben einige Hochschulen ihr Studienangebot vollständig auf Bachelor- und Masterabschlüsse umgestellt. In Niedersachsen werden die Bachelor- und Masterstudien durch Zielvereinbarungen mit den Hochschulen geregelt. Die dabei angestrebten Zielgrößen für die Aufnahmekapazitäten sind Planungsgrößen der Hochschulen, starre Übertrittsquoten vom Bachelor zum Master sind in Niedersachsen nicht vorgegeben.

Die Umstellung ist aber nur dann erfolgreich, wenn tatsächlich die Mehrzahl der Studierenden bereits mit dem Bachelorabschluss eine Berufstätigkeit aufnimmt und - zunächst - nicht in ein Masterstudium eintritt. Über die Akkreditierung wird bereits bei der Zulassung der Studiengänge sichergestellt, dass die Bachelorabschlüsse berufsqualifizierend sind. Deshalb sieht die Kultusministerkonferenz (KMK) den Bachelorabschluss als "Regelabschluss eines Hochschulstudiums" an. Dies ist in den Strukturvorgaben der KMK vom Oktober 2003 geregelt worden. Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur hat in seinem Eckwerte-Papier zum Bologna-Prozess vom 18. Mai 2004 außerdem darauf hingewiesen, dass sich "die Kapazität für konsekutive Masterstudiengänge ... grundsätzlich auf höchstens 50 Prozent der Bachelor-Absolventenzahl bemessen" soll. Dies ist eine Planungsgröße, die auf der Annahme beruht, dass rund die Hälfte der Bachelorabsolventen unmittelbar in die Masterphase eintreten möchten. Auf begründete Ausnahmen von dieser Größenordnung wird bereits im Eckpunkte-Papier hingewiesen, zum Beispiel, wenn es darum geht, die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu sichern. Dies ist vor allem für die Ingenieurwissenschaften bedeutsam. Bereits seit vielen Jahren kommen, entsprechend den Erwartungen der Unternehmen als Arbeitgeber, rund zwei Drittel der Ingenieure von Fachhochschulen, ein Drittel von Universitäten und werden von den Unternehmen auch eingestellt. Diese Relation soll auch künftig im Wesentlichen erhalten bleiben und niemand in Niedersachsen denkt daran, dies grundlegend zu ändern.

In dem Zusammenhang begrüße ich die Initiative "Bachelor welcome!" der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der sich zahlreiche deutsche Unternehmen angeschlossen haben. Ich bin sicher, dass der Bachelorabschluss mittelfristig auf hohe Zustimmung auf dem Arbeitsmarkt stößt und damit die Diskussionen über Übertrittsquoten überflüssig werden.

Lutz Stratmann,
Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur (CDU)

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