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Dezember 2006
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Europäischer Weg nicht gewünscht

Eine Befragung zur deutschen Hochschullandschaft im Jahr 2030 förderte viel Pessimismus zutage

"Viele erwarten einen hohen finanziellen Druck auf die Hochschulen."
Andreas Poltermann, Heinrich-Böll-Stiftung
© TU-Pressestelle

Die Heinrich-Böll-Stiftung führte im Sommer dieses Jahres zusammen mit der Freien Universität Berlin unter 800 Hochschulforschern, -politikern und -leitungen eine Befragung zur deutschen Hochschullandschaft im Jahr 2030 durch. TU intern sprach mit Dr. Andreas Poltermann, Leiter des Bereichs Bildung und Wissenschaft bei der Heinrich-Böll-Stiftung, über die Studie.

Herr Dr. Poltermann, was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Wir haben nach Erwartungen und Wünschen für die deutsche Hochschullandschaft gefragt, und das Ergebnis ist, dass diese sehr weit auseinandergehen. Die Befragten erwarten, dass sich die Hochschulen sehr stark marktorientiert verhalten und stark auf Industrieforschung angewiesen sein werden. Der Stellenwert der Geistes- und Sozialwissenschaften wird aufgrund der Abhängigkeit von externen Finanzierungsquellen abnehmen. Durch diesen Bedeutungsverlust wird befürchtet, dass die Universitäten nicht in dem Maße werden Antworten geben können auf die drängenden gesellschaftlichen Fragen wie zum Beispiel zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft. Dies würde aber von einer Universität in einer Wissensgesellschaft erwartet. Ein anderes wichtiges Ergebnis ist, dass die Mehrzahl der Befragten die Europäisierung der Hochschulpolitik gar nicht wünscht und auch nicht erwartet. Das hat mich sehr erstaunt. Vor allem vor dem Hintergrund, dass ein europäisches Institute of Technology, ein europäischer wissenschaftlicher Rat und auf mittlere Sicht auch europäische Alternativen zum deutschen System der Forschungsförderung entstehen werden.

Hochinteressant ist auch, dass ein Grundeinkommen für alle europäischen Studierenden von vielen Befragten gewünscht wird, aber die wenigsten rechnen damit. Alles in allem ist ein ziemlicher Pessimismus zu spüren.

Es verwundert, dass gerade die Akteure im Hochschulbereich ein pessimistisches Zukunftsbild entwerfen, sind sie es doch, die Zukunft gestalten sollen.

Ja, wir waren überrascht, dass die Zukunftsszenarien so pessimistisch ausfallen. Viele erwarten einen hohen finanziellen Druck auf die Hochschulen und eine starke Marktabhängigkeit. Sicher ist das eine mögliche Zukunft, doch in der Demokratie gibt es viele Möglichkeiten, die Weichen anders zu stellen. Diesen Pessimismus haben wir so nicht vorausgesehen. Wir dachten, die Hochschulen würden an diese Themen selbstbewusster herangehen.

Wie erklärt sich dieser Pessimismus?

Die gegenwärtig schlechten Erfahrungen werden in die Zukunft projiziert. Außerdem ist mit dem Exzellenzwettbewerb der Weg zu einer starken Differenzierung der deutschen Hochschullandschaft gewiesen worden. Die Differenzierung zwischen forschungsstarken Universitäten, Hochschulen, die eine stärkere regionale Bedeutung, und Hochschulen, die eine stärker lehrende Funktion haben, muss angenommen werden. Viele empfinden diese Differenzierung jedoch als verheerend, weil sie um ihren Status als Professor fürchten. Solange das so ist, werden sie wenig kreativ - um nicht zu sagen, depressiv - sein. Ich denke, die Differenzierung wird den Hochschulen guttun, weil ja schon lange nicht mehr alle alles gleich gut bewältigen. Die Hochschulen müssen die Aufgabe darin sehen, das Segment, das ihnen in der nationalen und europäischen Arbeitsteilung zufällt, exzellent auszufüllen, dass sie das, was sie leisten können, gut leisten. Das wäre die Grundlage für ein offensiveres Umgehen mit den eigenen Möglichkeiten und mit der Gestaltung der eigenen wie auch unserer gesellschaftlichen Zukunft.

Was erwarten Sie von den Universitäten hinsichtlich der Gestaltung ihrer eigenen Zukunft?

... dass sie eben nicht ausschließlich marktabhängig und marktgetrieben sein werden, vor allem die Eliteuniversitäten nicht. Eliteuniversitäten werden wegen ihres hohen Prestiges viele Ressourcen am Markt erschließen können. Sie müssen diese Ressourcen so einsetzen, dass sie sowohl Marktbedürfnisse befriedigen als auch strategische Initiativen an der eigenen Hochschule finanzieren können, die für die Zukunft einer Gesellschaft bedeutsam sind. Wir brauchen die Universitäten als normsetzende Akteure für die Gestaltung der Zukunft.

Das Gespräch führte Sybille Nitsche

 

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