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Juni 2006
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Abschied von"typisch deutsch"

Die Chancen der Fußball-WM für Deutschland - jenseits des Sportlichen

 
  Norbert Bolz
© TU-Pressestelle/Weiß

Diese Einschätzung der Fußballweltmeisterschaft 2006 erfolgt nach fünf Spieltagen - und da muss man natürlich vorsichtig sein. Doch bisher zeigt sich die Veranstaltung so erfreulich wie das Wetter: eitel Sonnenschein. Deutschland hat im Auftaktspiel gegen Costa Rica im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten gut gespielt und jedenfalls der Euphorie keinen Abbruch getan. Dabei hat der kluge Jürgen Klinsmann mit dem Nash-Effekt überrascht, den jeder Kino-Freund aus dem Film "A Beautiful Mind" kennt: Die Party wird zum vollen Erfolg, wenn man den Mut hat, die Schönste zu streichen, auf die sich alle fixieren; die Diva des deutschen Fußballs heißt bekanntlich Michael Ballack.

Fußball ist für den Fan die heile Welt der Leistung, die Popkultur der Authentizität. Hier gibt es noch große Gefühle und Helden, die man bewundern kann. Fußball fasziniert, weil das Spiel hohe Komplexität aus einfachsten Spielregeln aufbaut. Damit ist Unvorhersehbarkeit garantiert. Das produziert nicht nur Spannung, sondern auch einen unaufhörlichen Erklärungsbedarf, der dann von den Experten im Fernsehen befriedigt wird: Netzer und Delling, Beckenbauer und Klopp. Die Medien benutzen das wiederum als Einfallstor für Talk und Entertainment. Mehr als gespielt wird geredet und inszeniert. Und genau deshalb haben auch die Fußball-Laien eine Chance, die Weltmeisterschaft zu genießen. Fußball für alle!

Was den Fernsehmachern wohl vorschwebt, ist eine Synthese von Fußballspiel und Love Parade. Damit werden sie einem neuen Fan-Typus gerecht, dem es weniger um Fachsimpelei als vielmehr um Party geht. Und es sind diese Fans, die Deutschland, wenn auch mit einem Augenzwinkern, die Favoritenrolle zuschreiben.

Auch die Politik sonnt sich im Glanz des Ereignisses - und benutzt es zugleich sehr geschickt als günstige Gelegenheit, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit unliebsame Entscheidungen zu treffen. Natürlich sehen einige Politiker besorgt auf die Weltmeisterschaft, weil sie befürchten, die braunen Idioten könnten diese Großveranstaltung als Plattform für ihre geisteskranken Aktionen missbrauchen. Man kann das natürlich bis zum letzten Tag der Spiele nicht ausschließen; aber auch hier ist Optimismus durchaus angebracht. Man kann nämlich bei den vielen Millionen deutscher Fans einen fröhlichen, gelassenen Patriotismus beobachten, der die wirksamste Waffe gegen den Nationalismus der Rechtsextremen darstellt.

Die vielen schwarz-rot-goldenen Fähnchen, die an Geschäften und Autofenstern befestigt sind, wirken wohl auch auf ausländische Beobachter nicht chauvinistisch, sondern verspielt und heiter. Die Botschaft dieses Großereignisses lautet vernehmlich: Gastfreundschaft. Wenn diese Botschaft in den nächsten Tagen nicht noch konterkariert wird, kann diese Weltmeisterschaft das Bild von Deutschland in der Welt zum Guten verändern - Abschied von "typisch deutsch".

Prof. Dr. Norbert Bolz,
Fachgebiet Medienwissenschaft, Medienberatung

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