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Mai 2007
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Stigmatisierte Wohnorte der Verlierer

Studie zur Lage von Kindern aus Roma-Familien in Deutschland

Neugierig auf die Welt wie alle Kinder: Roma-Kind
© Umlauft

In Deutschland leben schätzungsweise 50 000 Roma-Flüchtlinge, 20 000 davon Kinder. Etwa ein Drittel der Familien haben eine Aufenthaltserlaubnis, Voraussetzung für eine gesellschaftliche Integration. Rund 33 000 Roma sind hingegen geduldete Flüchtlinge, sie haben "keinen rechtmäßigen Aufenthalt". Ihre Lebenswirklichkeit wird von ständiger Angst vor der Abschiebung, beengten und isolierten Wohnverhältnissen sowie eingeschränkten gesellschaftlichen Teilnahmemöglichkeiten geprägt. Im Auftrag des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, UNICEF, untersucht das Zentrum für Antisemitismusforschung unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Benz die Lage von Kindern aus Roma-Familien in Deutschland, die seit 1990 ins Land kamen. Erste Ergebnisse wurden kürzlich im Deutschen Bundestag vorgestellt.

Besonders prekär sind die Lebensbedingungen der Kinder, die in Provisorien untergebracht sind, wo sie allein schon wegen dieser Wohnsituation Ausgrenzung erfahren: schlechte Grundausstattung, desolater Erhaltungszustand und teilweise fehlende Sozialbetreuung.

Seit 2003 gewährten einige Städte auch geduldeten Flüchtlingen den Umzug in Mietwohnungen. Ein Teil der Roma hat es geschafft, diese Möglichkeiten zu nutzen: In Münster lebten über die Hälfte, in Berlin der Großteil der geduldeten Roma-Flüchtlinge in Wohnungen. In Köln, Frankfurt am Main und Hamburg dürfen Geduldete keine Privatwohnungen beziehen. Insgesamt zeichnet sich die Tendenz ab, dass sich für einen Teil der Familien der Verbleib in Flüchtlingsunterkünften verfestigt. Trifft diese Entwicklung hauptsächlich jene Unterkünfte, in denen die negativen Faktoren kumulieren, dann drohen sie zu stigmatisierten Wohnorten der Verlierer zu werden.

Der Schulbesuch und -erfolg von Kindern aus Roma-Familien unterscheidet sich regional stark. Die Länder Baden-Württemberg, Hessen und das Saarland sehen für Kinder aus geduldeten Flüchtlingsfamilien keine Schulpflicht vor. Das galt bis zum Jahr 2005 auch für Nordrhein-Westfalen. Wo Kinder aus Roma-Familien die Schule besuchten, hing ihr Erfolg zum einen vom Engagement der Eltern und der Sozialbetreuer ab, zum anderen von der Aufnahmebereitschaft der Schulverwaltungen und Lehrkräfte. Mutmaßungen über eine allgemeine, kulturell bedingte Schulferne der Roma-Kinder ließen sich nicht bestätigen.

Es zeigte sich allerdings, dass entsprechende pauschale Zuschreibungen als sich selbst erfüllende Prophezeiungen wirken können. So scheinen in einigen Zusammenhängen besonders Kinder, deren ethnische Zugehörigkeit für die Umwelt sichtbar ist, schneller als hoffnungslose Fälle bewertet zu werden, als das bei vergleichbaren Problemen Kinder aus der Mehrheitsbevölkerung erfahren. Wie die Untersuchung zeigt, kumulieren Schulprobleme bei Kindern, die im Alter von zehn bis 14 Jahren eingereist sind, deren Familien keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zu Sozialleistungen haben und in schlecht ausgestatteten Flüchtlingsheimen wohnen. Besondere Schwierigkeiten haben auch Kinder aus Großfamilien, aus unteren sozialen Schichten und solche, deren Eltern wenig eigene Schulerfahrung haben.

Als besonders problematisch erweist sich die Situation von geduldeten Jugendlichen, da sie dem Arbeits- und Ausbildungsverbot unterliegen. Diese Vorgaben verfestigen die Perspektivlosigkeit.

Während die mediale Öffentlichkeit und ein Teil der Behördenmitarbeiter Problemgruppen innerhalb der Minderheit als typisch für alle Roma wahrnehmen, bleiben die bereits teilweise integrierten Familien im toten Winkel, weil sie keine Zielgruppe lokaler Entscheidungen und Maßnahmen sind: Zu ihnen gehören diejenigen, die für die Umgebung nicht als Roma wahrnehmbar sind, die nicht auf soziale Dienste oder Selbstorganisationen angewiesen sind bzw. die in den Aufnahmekommunen eine Normalität zu erlangen versuchen, trotz der eingeschränkten administrativen Rahmenbedingungen sowie der bestehenden Ressentiments.

Dr. Peter Widmann und Dr. Brigitte Mihok,
Zentrum für Antisemitismusforschung

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