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TU intern 11-2016

TU intern · Nr. 11/2016 Seite 3 Bauakademie – ein Plädoyer S eit zwölf Jahren schon wirbt eine Simula- tion aus bedruckten Folien für denWieder- aufbau der Bauakademie am Schinkelplatz. Inmitten einer Wüste bietet sie als buntes Zelt Raum für allerlei Ausstellungen und Tagungen, die das Potenzial des Ortes für die Vermittlung vonArchitektur undWissenschaft ausloten. Nun hat sich die Wüste – schwups! – versteinert. Mit der nahenden Eröffnung des Humboldt Forums zur einen und einem edlen Wohnkarree zur an- deren Seite mag das seinerVollendung entgegen- eilende Berlin die Poesie des Provisoriums nicht mehr leiden. Nun will der Bund mit 62 Millionen schaffen, was Berlin seit zwei Jahrzehnten nicht vermochte. Das ist gut und die Zahl realistisch. Aber mit Ideen von gestern werden wir der Bau- akademie von morgen nicht gerecht. Als die Bauakademie vor 180 Jahren eröff- net wurde, war ihrem Schöpfer Karl Friedrich Schinkel sein modernstesWerk gelungen. Städ- tebaulich, indem sie als markanter Eckstein das offene Verhältnis von königlichem Schloss und Lustgarten zum bürgerlichen Friedrichswerder vermittelnd klärte. Konzeptionell, indem sie Bauverwaltung und Bauschule unter ein Dach brachte und so den von Schinkel gepflegten und erfolgreichen Pragmatismus der preußischen Architektur nachhaltig sicherte.Vor allem aber architektonisch: Über quadratischem Grundriss mit acht auf achtAchsen errichtet, bildeten ihre vier gleichen Fassaden die innere Struktur un- mittelbar ab. Das war ebenso neu, wie es mutig war, ein öffentliches Gebäude in Backstein zu errichten. Die perfekte Anwendung des roten Ziegels und seine Verfeinerung durch Terrakot- ta-Elemente, die als plastisches Bildprogramm zugleich die Bestimmung für die technischen Künste ausdrückten, wurden wegweisend für die Baukunst der folgenden Jahrzehnte in Preu- ßen und weit darüber hinaus. Die Konsequenz, mit der Schinkel Material und Konstruktion, Nutzung und Gestalt, Sparsamkeit und Nach- haltigkeit verband, ließ die Bauakademie zur Inkunabel und Ikone der Moderne werden – und zumVorbild undAnspruch aller, die darin arbei- teten, lehrten und lernten. Aus der Bauakademie ging 1879 die Techni- sche Hochschule Berlin hervor und blieb dort bis zur Eröffnung ihres heutigen Hauptgebäudes 1884. Auch das Schinkel-Museum, das 1844 in Schinkels ehemaligerWohnung im Dachgeschoss eingerichtet worden war, zog mit um und blieb lange Zeit Teil des Architekturmuseums, das als ältestes seiner Art bis heute an der Technischen Universität Berlin gepflegt wird. Das verwaiste Gebäude erhielt in der Folgezeit wechselnde Be- wohner, die mit Architektur allerdings wenig zu tun hatten. Die programmatische Übereinstim- mung von Bau und Nutzung war dahin. Mit Ideen von gestern werden wir der ­ Bauakademie von morgen nicht gerecht. Auch deshalb begann die DDR dieWiederher- stellung des im Krieg beschädigten Gebäudes als „Deutsche Bauakademie“, die mit bewuss- tem Bezug auf Schinkel wieder Forschung und Planung zugleich dienen sollte. 1953 wurde Richtfest gefeiert, doch bald darauf im Zuge der sozialistischen Zentrumsplanungen der weitere Ausbau gestoppt. 1962 wurde die Bauakademie unter internationalem Protest dem Neubau des Außenministeriums geopfert. Sie blieb in den Herzen. Seit dem Abriss des Ministeriums 1995 wird ihrWiederaufbau gefor- dert. Und darum gestritten: Die Frage nach der Legitimität von Rekonstruktionen stellt sich auch und gerade an einem herausragenden, aber eben doch auf immer verlorenen Bauwerk – weg ist weg, und wiederho- len ist gestohlen? Un- zählige Pläne wurden seitdem gemacht.Von einerVereinigung der vielen Berliner Ar- chitektursammlun- gen zu einem großen, vielleicht nationalen Architekturmuse- um war die Rede, von einem von der Bauwirtschaft getragenen Zentrum für Baukul- tur oder von einer privaten Bauschule, die den Geist Schinkels von Meister zu Schüler reichen will, ohne dabei von den Unbequemlichkeiten oder demWiderspruchsgeist universitärer Niede- rungen behelligt zu sein. Zwei Vereine wurden gegründet und private Investoren und Förderer gesucht. Zwischenzeitlich erwog das Auswärtige Amt, hier zu expandieren. Doch es blieb wie oft in Berlin: Nutzungsvisionen ohne Bauherren mangelt es an Blut, Bauvisionen ohne Bewoh- nern an Seele. Es gibt gute Argumente für ein Gebäude an diesem Ort: Der Stadtgrundriss würde verständ- licher und das Stadtbild komplett.Wer einen fei- scheidungen, die in der digitalen und globalisier- ten Stadt 4.0 rasant an Komplexität gewinnen. Wie wollen und können wir wohnen unter den Vorzeichen von demografischemWandel und Zu- wanderung?Wie dasVerhältnis von Privatem und Öffentlichem in einer vernetzten Stadt gestalten? Wie vertragen sich Nachhaltigkeit, Gestaltung und Wertschöpfung im Bauen? Wie Eigensinn, Vernunft und Mitbestimmung? Wie viel Eigen- tum verpflichtet wen? Wie smart ist ein smartes Home? Diese und viele andere sind Fragen der Architektur und ihrer Nachbarwissenschaften, die längst dieWirklichkeit bestimmen. Sie gehen alle an. Sie neugierig zu denken und sie über Fachkreise hinaus sichtbar und transparent wer- den zu lassen, halten wir für die Bestimmung der Bauakademie: inVorträgen, Diskussionen,Tagun- gen,Workshops und anderen partizipativen For- maten, mit querdenkendenAkteuren und analog zum Humboldt Forum mit Partnern aus Bund, Land und derTechnischen Universität Berlin, die damit an ihren Ursprung zurückkehrte. Bauen gewinnt in der digital und ­ globalisierten Stadt 4.0 rasant an ­ Komplexität und geht alle an. Und das groSSe Architekturmuseum, das immer wieder durch die Debatten geistert? Die Stadt beherbergt einige hochkarätige Samm- lungen, nicht aber jenes eine Haus von internati- onaler Strahlkraft, so wie es sich mancher als wei- tere Perle am Rande der Museumsinsel vielleicht wünscht. Doch an eineVerschmelzung aller oder auch nur einiger dieser Sammlungen ist schon aus rechtlichen und inhaltlichen, erst recht aus praktischen Gründen nicht zu denken. Sie sind zu verschieden und das Haus viel zu klein. So reicht es aus, wenn neben einem Schinkel-Kabinett und einem Bereich zu aktuellen Themen Berlins nur eine Sammlung den Ort besetzt und zugleich of- fen hält für alle anderen. DasArchitekturmuseum derTechnischen Universität Berlin ist dazu bereit und in der Lage. Seine Bestände sind es allemal wert, seine Ausstellungen und seine digitalen Offensiven der vergangenen Jahre belegen seine Kompetenz und seine Bereitschaft fürVernetzung und Kooperation. Ausstellungen zu Architektur und Städtebau können Publikumsmagnete sein, aber sie müssen es nicht. Unverzichtbar sind sie für das Verständnis und den Dialog. Ausstellun- gen historischer Themen erklären, wo wir her- kommen. Sie weiten unsere Wahrnehmung und lösen uns aus unserer Befangenheit im Jetzt. Ausstellungen mit aktuellem Fokus weisen von der Gegenwart in die Zukunft hinein. Um über Bau- und Stadtbaukunst, um über Raumplanung undTechnik zu sprechen, muss man sie sehen.Ar- chitekturausstellungen leben weniger von Ikonen denn von Fragen. Sie sind nicht museal. Dialo- gisch ergänzen und erweitern sie das offene Haus, das die Bauakademie werden soll. Tradition kann man sich nicht aussuchen – sie ist oder sie ist nicht mehr. Schinkel war sich des geschichtlichen Bruchs bewusst, den Indus- trie 1.0 für sein Zeitalter bedeutete. So erhielt die Bauakademie ihr Gesicht: „Historisch han- deln ist das, welches das Neue herbeiführt und wodurch die Geschichte fortgesetzt wird. Aber dadurch, dass die Geschichte fortgesetzt werden soll, ist sehr zu überlegen, welches Neue und wie dies in den vorhandenen Kreis eintreten soll.“ Sieht die neue Bauakademie aus wie 1836?Trägt sie diesen Namen? Nein, das muss sie nicht. Doch ja: Sie darf. Kubatur und Geschossfolge sind pass- genau. Im Innern modern und in ihrer Bestim- mung zukünftig, wäre sie souverän genug, mit dieser Referenz umzugehen. Die letzte Lücke Zukunft undVergangenheit der Berliner Bauakademie Von Dieter Nägelke und Bénédicte Savoy Nur die Ecke ist gemauert, der Rest (noch) Attrappe: Im Juli 2011 wurde die Ausstellung „125 Jahre Architek­ turmuseum der TU Berlin“ in den Muster­ räumen der Bauakademie eröffnet Zustand der Bauakademie vor dem Abbruch 1962 Bauakademie in der Ansicht von Eduard Gärtner, 1868 © © Achim Kleuker © © TU Berlin/Universitätsarchiv Der Architekturhistoriker DR. Dieter Nägelke ist Leiter des Architekturmuseums der Technischen Universität Berlin und Vizepräsident der Internatio­ nalen Bauakademie e.V. Leibniz-Preisträgerin Prof. Dr. Bénédicte Savoy lehrt Kunstwissenschaft an der Technischen Univer­ sität Berlin und am Collège de France in Paris. Gemeinsam mit dem Architekturkritiker Nikolaus Bernau haben beide im Provisorium der Bauakade­ mie zuletzt die vom DFG-Exzellenzcluster TOPOI getragene Ausstellung „Museumsvisionen“ kuratiert © © TU Berlin/PR/Philipp Arnoldt nen Sinn für urbane Strukturen hat, den schmerzt die Lücke. Es ist großartig und großzügig, dass der Bund sich jetzt der Sache annimmt. Einen Zwang zum schnellen Bauen begründet es nicht. Solange keine wirklich sinnvolle, zukunftswei- sende und von einer breiten Übereinkunft getra- gene öffentliche Nutzung der Bauakademie ge- funden ist, bleibt eine gut gestaltete Grün- fläche allemal besser. Den Geburtsfehler des Schlosses, zunächst das Haus und erst da- nach die Nutzung zu denken, brauchen wir nicht zu wiederholen. Es ist höchste Zeit, der neuen Bauakademie mit jener Gegenwär- tigkeit und jenem Mut zum Neuen zu begegnen, derer die alte gerühmt wird. Die Themen von Architektur, Stadt- und Raumplanung sind das Verstehen und die For- mung unserer Lebensräume – historisch, ästhe- tisch, funktional, sozial und technisch. Im 19. Jahrhundert gehörte das alles noch zusammen. Im 20. Jahrhundert sind die Fachdisziplinen weit auseinandergedriftet.An seinem Ende ließ das Ungenügen daran den Wunsch nach einer Rückbesinnung auf die Regeln und die Formen jener Zeit entstehen, in der die Welt noch ge- ordnet, dieTheorie geschlossen, das Entwerfen ganzheitlich und das Schöne gesetzt war. Schin- kel und die Bauakademie sind eine treffliche Projektionsfläche dieser Sehnsüchte. Weit jen- seits solcher nostalgischen Bedürfnisse indes sind Forschung, Lehre und Entwurf längst neu, anders und fließend vernetzt, ist eine trans- und interdisziplinäre Praxis selbstverständlich geworden. Die Gegenwart als unübersichtlich zu erleben ist ein Privileg der Älteren. Junge Menschen bewegen sich darin wie Fische im Wasser. Mit ihren Aus- und Weiterbildungen, Studienmodulen und -abschlüssen konfekti- onieren sie sich passgerechte Qualifikationen selbst. Sie wissen, dass weder Gegenwart noch Zukunft fertige Lösungen für sie bereithalten. Eine Bauakademie, die als Museum, Bauschule oder Bibliothek auf Konzepte des vergangenen oder vorvergangenen Jahrhunderts zurück- greift, hieße, ihrer Generation eine Mottenkiste hinzustellen. Unbequem muss sie sein, ein Ort derWidersprüche, frei und, im Sinne Schinkels, der ein visionärer Pragmatiker war: poetisch. Unbedingt muss das Grundstück Schinkel- platz 1 einem Haus für Architektur, Stadt- und Raumplanung, ihrer Anschauung und ihrer Ver- mittlung gewidmet sein. Das Anknüpfen an die Geschichte des Ortes bietet dafür nur denAnlass. Das Humboldt Forum möchte eine Schnittstelle zwischen Kultur,Wissenschaft und Öffentlichkeit bilden.Architektur als öffentlichste aller Künste, als Kristallisation sozialer Prozesse, technologi- scher Möglichkeiten und kultureller Anschau- ungen aber hat darin kaum Raum. Auch Bauen reflektiert die Vergangenheit, sein Wirkungsfeld aber ist die Zukunft. Bauen handelt von Erfor- dernissen, Möglichkeiten, Prozessen und Ent- So reicht es aus, wenn neben einem Schin- kel-Kabinett und einem Bereich zu aktuellen Themen Berlins nur eine Sammlung den Ort besetzt und zugleich offen hält für alle anderen. Das Architekturmuseum der TU Berlin ist dazu bereit und in der Lage. Seine Bestände sind es allemal wert. Dieter Nägelke und Bénédicte Savoy

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