Seite 12 BÜCHER FÜR DEN GABENTISCH TU intern · Nr. 5/Dezember 2019 Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen Fotografien von Werkstätten des Wissens Der TU-Garten und die Geschichte Berlins Aufklärung und Kolonialismus pp „Kindheit ohne Gott“, „Offene Bezie- hungen“, „Politische Schlachtfelder“ oder „Globale Interessen“ und „Kräfte messen“ heißen die Kapitel etwa, die die ganze Reich- weite der viel beachteten Ausstellung über Wilhelm und Alexander von Humboldt im Deutschen Historischen Museum einfan- gen. Im Katalog zur Ausstellung, kuratiert von Prof. Dr. Bénédicte Savoy, Leiterin des Fachgebiets Kunstgeschichte der Moderne der TU Berlin, und TU-Alumnus David Blan- kenstein und eröffnete am 20. November 2019 (s. Seite 1), entfaltet sich nicht nur ein bildhaftes Panorama der 350 Exponate aus den wertvollsten Sammlungen der Welt, die Herausgeber*innen verstehen es auch, in sorgfältig recherchierten Texten die Brüder Humboldt, die historischen Lichtgestalten öffentlicher Bildung und Naturforschung, als Europäer im Kontext der Herausforde- rungen, Entwicklungen und Chancen ihrer Zeit zu zeigen. Wie ein roter Faden ziehen sich dabei durch die vielfältigen Themenbe- reiche Fragen nach der Aktualität und der gestrigen wie heutigen Bewertung ihrer Haltungen und Handlungen. Denn dem Bild der Gleichheit der Menschen, das in der Aufklärung entworfen wurde, steht die zeitgleiche Existenz von Kolonialismus und Sklaverei entgegen. David Blankenstein, Raphael Gross, Bé- nédicte Savoy und Arnulf Scriba (Hrsg.): Wilhelm und Alexander von Humboldt, Deutsches Historisches Museum, Berlin 2019, 28,– € (Ladenpreis 35,– €) ISBN 978-3-86102-217-6 Restitution von Kulturgütern Berlin: Grünfrage und Stadtentwicklung sn Als Groß-Berlin vor fast 100 Jahren durch den Zusammenschluss mehrerer Kommunen entstand, wurde schnell offensichtlich, dass eine Stadt, deren Bevölkerung plötzlich von 1,9 auf 3,9 Millionen Einwohner angewach- sen war, Grünflächen benötigen würde. Wie sich diese Entwicklung vollzog, wie Garten- städte in Berlin entstanden, Straßen begrünt und Volksparks angelegt wurden und welche Protagonisten für ein grünes Berlin maßgeb- lich waren, damit beschäftigt sich die neue Publikation „100 Jahre Groß-Berlin. Grünfra- ge und Stadtentwicklung“, herausgegeben von den TU-Professoren Dr. Dorothee Brantz und Dr. Harald Bodenschatz. Die historischen Analysen decken den ge- samten Zeitraum von 1920, über die nati- onalsozialistische Diktatur und die Nach- kriegszeit, als Berlin geteilt war, bis heute ab. Angesichts des Wachstums von Berlin und der sich zuspitzenden Herausforderungen durch Klimawandel, Arten- und Ressourcen- schutz beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren auch mit der Frage nach einer wün- schenswerten Balance von Stein und Grün in neuer Weise. Harald Bodenschatz, Dorothee Brantz (Hrsg.): 100 Jahre Groß-Berlin/Band 3: Grünfrage und Stadtentwicklung, Editi- on Gegenstand und Raum, 240 Seiten, zahlreiche, teils farbige Abbildungen, Lukas Verlag, Berlin 2019, 25,– € ISBN 978-3-86732-335-2 Zur Wohnungsfrage und zur Verkehrs- frage aus dieser Reihe: www.lukasverlag.com/autoren/ autor/1752-harald-bodenschatz.html Kavaliere und Antikenhandel pp Der Germanist und leidenschaftliche akademische Lehrer Norbert Miller hat Ge- nerationen von TU-Studierenden geprägt, zahlreiche Doktoranden und Habilitanden betreut und vielen internationalen Gelehrten den Blick geöffnet für literatur-, kunst- und kulturhistorische Zusammenhänge, die sich ihnen sonst nicht erschlossen hätten. Das TU-Ehrenmitglied legte 2018 das wunder- bare, reich bebilderte Werk „Marblemania“ vor, über die Sammelleidenschaft, mit der sich englische Reisende des 18. Jahrhunderts antike Skulpturen aneigneten. Es gehörte da- mals zum guten Ton, zur Ausbildung adeli- rb Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kunst liegt der Fokus meist nur auf den Ergebnissen. Was hinter den Türen von La- boren und Ateliers geschieht, bleibt dabei so unsichtbar wie geheimnisvoll. Stefanie Bürk- le, Künstlerin und Professorin für Bildende Kunst an der TU Berlin, hat sich dieser unbe- kannten Orte des Schaffens angenommen und Berliner Labore und Künstlerateliers fotografiert. Sie erforscht die Analogien von Experiment und Prozess in Atelier und La- bor und macht diese Werkstätten des Wis- sens erstmals sichtbar. Bürkles Fotoarbeiten zeigen bühnengleiche, menschenleere Ent- wicklungs- und Denkräume voller Materiali- en, Werkzeuge, Versuchsanordnungen und Anlagen, die die Einbildungskraft der Be- trachtenden herausfordern. Die Ausstellung „Atelier als Labor“ ist noch bis 5. Januar 2020 im Haus am Lützowplatz zu sehen und ist eine Fortsetzung der Ausstellung „Atelier + Labor: Werkstätten des Wissens“ Anfang 2019 im Museum für Fotografie Berlin. Wer keine Gelegenheit für einen Ausstellungsbe- such findet, dem ist die begleitende Publi- kation mit 179 Abbildungen zu empfehlen. Stefanie Bürkle: Atelier + Labor: Werk- stätten des Wissens, Hatje Cantz Verlag, Berlin, 2019, 38,– € ISBN 978-3-7757-4509-3. Kursbuch Bioethik kj Wenn sich Studierende der Biotechno- logie, der Biologischen Chemie, der Philo- sophie, der Kulturwissenschaften und der Public Health zu einem interdisziplinären Seminar zusammenfinden, dann sind lebhaf- te Diskussionen programmiert. Nicht selten wird die Kommunikation durch die Verwen- dung fachspezifischer Termini oder implizier- ter Hintergrundannahmen erschwert, aber auch bereichert. „Einführung in die Bioethik“ hieß das Seminar, das Prof. Dr. Jens Kurreck, Fachgebiet Biotechnologie, und Prof. Dr. Birgit Beck, Fachgebiet Ethik und Technik- philosophie, im Wintersemester 2018/19 an der TU Berlin veranstalteten. Die einzelnen Vorträge der interdisziplinär besetzten Stu- dierendengruppen sind jetzt im „Kursbuch Bioethik“, erschienen im Universitätsverlag, zusammengefasst. „Die modernen Biowis- senschaften sind durch eine rasante Dynamik gekennzeichnet, die viele ethische Fragen aufwirft. Diese werden gesellschaftlich in- tensiv diskutiert und sollen in den einzelnen Kapiteln des vorliegenden Sammelbandes thematisiert werden“, so Jens Kurreck. In- haltlich reicht die Spannbreite der hochak- tuellen Themen von einer Einführung in die Bioethik über einen Beitrag zur Forschung an humanen embryonalen Stammzellen, die Keimbahntherapie und Genome-Editing bis hin zum Thema Patentrecht oder Tierethik und Tierversuche. Jens Kurreck, Birgit Beck (Hrsg.): Kurs- buch Bioethik, Universitätsverlag der TU Berlin, 2019, 12,– € ISBN 978-3798330283 pp Die Vereinten Nationen schätzen, dass bis Mitte dieses Jahrhunderts rund 70 Pro- zent der Weltbevölkerung in Städten leben. Die Bevölkerung wächst, und zusammen mit Migrationsbewegungen führt das dazu, dass die Anzahl der Menschen, die in Städten le- ben, nicht nur absolut, sondern auch anteilig steigt. Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhun- dert der Städte. Sie sind Zentren des globa- len Handels, Wirtschaftsmotoren und Spie- gel gesellschaftlicher Veränderungen. Florian Hutterer und Marcus Jeutner vom Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin haben zusammen mit Elke Pahl-Weber, die als Professorin das Fachgebiet Bestandsent- wicklung und Erneuerung von Siedlungs- einheiten leitet, aktuelle Entwicklungen im hochverdichteten Wohnungsbau vor dem Hintergrund internationaler Trends der Stadtentwicklung betrachtet. Sie zeichnen globale Entwicklungslinien und -muster der jüngeren Vergangenheit nach, beschreiben den Ist-Zustand und geben einen Ausblick auf mögliche zukünftige Tendenzen. Insbe- sondere konzentrieren sich die Autor*innen, neben den Megacitys der Welt, auf Stadt- und Metropolregionen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas und dabei auf Städte unter- schiedlicher Entwicklungsstadien nach dem mittlerweile häufig zur Klassifikation von Städten benutzten City-Tier-System. Die Ent- wicklungsdynamiken dieser Groß- und Mit- telstädte seien, so die Stadt-Expert*innen, am stärksten. Zwar wüchsen auch in Europa und Nordamerika die urbanisierte Gesamt- fläche sowie die Stadtbevölkerung, doch die Entwicklungsdynamiken und Ursachen seien höchst unterschiedlich und würden daher in dieser Studie nachrangig betrachtet bezie- hungsweise dienten vor allem der globalen Gesamteinordnung. Die Erkenntnisse dieser Studie sollen helfen, zukünftige Entwick- lungsszenarien von Städten abzuschätzen und potenzielle Handlungsfelder abzuleiten. Das Buch ist auch als PDF downloadbar und online zu lesen. Florian Hutterer, Marcus Jeutner, Elke Pahl-Weber: Globale Urbanisierungs- trends und Zukunft des Wohnens, Universitätsverlag TU Berlin, 2019 ISBN 978-3-7983-3061-0 https://depositonce.tu-berlin.de/hand- le/11303/8990 Die Stadt und der Alltag pp Was ist gute Landschaftsarchitek- tur? Undine Giseke, Norbert Kühn, Cor- dula Loidl-Reisch und Jürgen Weidin- ger, Professor*innen an der TU Berlin, setzen sich in die- sem Buch mit den Konzepten Urbaner Metabolismus, Designing Urban Nature, Alltagstauglichkeit und Atmosphäre ausei- nander. Mit den Konzepten soll etwas ver- standen und sollen zugleich Impulse für das Entwerfen gegeben werden. Sie beleuchten damit vier fachliche Perspektiven der vier Kernfachgebiete der Landschaftsarchitektur. Diese besondere Form der Reflexion wird hier als landschaftsarchitektonisches Den- ken bezeichnet. Neben dem Fachpublikum sprechen sie insbesondere auch Studierende in gestalterischen Disziplinen an. Sebastian Feldhusen (Hrsg.): Vier Pers- pektiven landschaftsarchitektonischen Denkens, Universitätsverlag der TU Berlin, 2019, 15,– € ISBN 978-3-7983-2914-0 pp Wer das Südgelände des TU-Campus mit wachem historischem Blick überquert, kann auf Schritt und Tritt Historie atmen. Viele Spolien, also Bauteile aus älterer Zeit und aus anderen Gebäuden, warten dort, teils versteckt unter Bäumen, warten auf Entdeckung. Dann erzählen sie spannende Geschichten, nicht nur über Garten und Ge- bäude der TU Berlin und ihre Vorgängerinsti- tutionen, sondern sie verraten Vergangenes aus der ganzen Stadt. Die Historikerin Do- rothea Zöbl ist diesem Vergangenen nach- gegangen, hat geforscht und gesammelt und zeigt nun ein interessantes Panorama der Hochschule in ihrer Vernetzung mit der heutigen Metropole Berlin. Die Einblicke rei- chen von der ersten Bundestagssitzung am 19. Oktober 1955, die in Ermangelung an- derer Räumlichkeiten im TU-Physikgebäude stattfand, über eine Figur Friedrich Wilhelms III. von August Kiss, die von der Bauakademie nach der Fertigstellung der TH Berlin mit in deren Lichthof nach Charlottenburg umzog, bis zu den reich ornamentierten Schmuck- platten Franz Schwechtens, die aus den Rui- nen des Anhalter Bahnhofs gerettet werden konnten. 2017 erhielten sie schließlich einen Ehrenplatz im Hauptgebäude der TU Berlin. Fündig wurde Dorothea Zöbl bei ihren Re- cherchen natürlich auch im Universitätsar- chiv der TU Berlin. Dorothea Zöbl: Der vergessene Garten der TU Berlin. Auf den Spuren der Berli- ner Stadtgeschichte, Gebr. Mann Verlag Berlin 2019, 29,– € ISBN 978-3-7861-2838-0 Geballte Philosophie pp Die Einheit der Welt und die Vielheit der Wirklichkeiten, die Pluralität von Wis- sensformen, ästhetische Zeichen in der Kunst und anderswo – hochphilosophische Fragen, die Günter Abel über Jahrzehnte beschäftigten, insbesondere die Allgemeine Zeichen- und Interpretationsphilosophie. 40 Autoren, Philosophen, Linguisten und andere weltweit haben, gegründet auf ihre eigene Forschung, ihre Gedanken zu den Forschungsansätzen des Philosophen Gün- ter Abel nun in dem Band „Abel im Dialog“ niedergelegt. Abel war von 1987 bis 2016 Professor der Theoretischen Philosophie an der TU Berlin und leitete unter anderem das Innovationszentrum Wissensforschung. Die Autoren erhielten jeweils eine fundierte Replik von ihm. Die verschiedenen Beiträge – geballte Philosophie, herausgegeben von zwei ehemaligen Assistenten Günter Abels an der TU Berlin – nehmen sein Werk konst- ruktiv auf und diskutieren es zugleich kritisch aus zahlreichen und sehr unterschiedlichen Perspektiven auf 700 Seiten. Ulrich Dirks, Astrid Wagner (Hrsg.): Abel im Dialog – Perspektiven der Zeichen- und Interpretationsphilosophie, De Gruyter-Verlag, Berlin 2018, 199,95 € ISBN 978-3110454277 pp Der 200 Seiten starke Bericht über die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter, der Ende November 2018 in Frankreich und in der ge- samten europäischen Museumslandschaft große Erschütterungen verursacht hat, ist nun auf Deutsch erschienen. „Zurückge- ben. Über die Restitution afrikanischer Kul- turgüter“ heißt die Publikation, die von der deutsch-französischen Kunsthistorikerin und TU-Professorin Dr. Bénédicte Savoy und dem senegalesischen Wirtschaftswissenschaftler und Musiker Prof. Dr. Felwine Sarr im Auf- trag von Staatspräsident Emmanuel Macron erarbeitet worden war. Sie geben darin Emp- fehlungen, die auf monatelanger Forschung basieren, über die teilweise Rückgabe der in französischen Museen befindlichen afrikani- schen Kulturschätze. Felwine Sarr, Bénédicte Savoy: Zurück- geben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter, Matthes & Seitz, Berlin 2019, 18,– € ISBN 978-3-95757-763-4 Download der englischen Version: https://www.about-africa.de/images/ sonstiges/2018/sarr_savoy_en.pdf ger junger Leute, zu reisen, sich auf „Grand Tour“ zu begeben. Natürlich kamen sie da- bei insbesondere auch nach Rom – und so florierte der Antikenhandel, ein Geschäft, das vor allem von Engländern beherrscht wurde. Geschichten und Geschichtchen, Historie und wissenschaftliche Einordnung machen dieses Buch zu einem intellektuellen Lesever- gnügen der besonderen Art. Norbert Miller: Marblemania, Deutscher Kunstverlag, Berlin 2018, 34,90 € ISBN 978-3422074439