TU intern+plus · Nr. 3/Februar 2019 ZEITENwende Seite B13 Vom Bölkstoff zum Power-Drink Sieben Bier sind auch ein Schnitzel! Einerseits gilt der Gerstensaft als das Getränk der Bauarbeiter, anderer- seits soll dem Gebräu der Ruf eines Wellness-Cocktails verliehen werden. Frank-Jürgen Methner erklärt die wundersame Wandlung rankommt, und halten darauf derzeit ein Patent. Eine große Brauerei nutzt eine Lizenz von uns, und in Tests schneiden deren alkoholfreie Biere immer recht gut ab, was Geschmack und Senso- rik betrifft. Alkoholfreie Biersorten sind der eine große Trend, ein anderer sind Craftbiere, also Biere, die von unabhängigen Brauereien gebraut werden. Wann hat eigentlich jede Studenten- WG damit angefangen, ihr eigenes Bier zu brauen? Das ist eine Bewegung, die aus den USA kommt. Ihre Ursachen hat sie wohl in den 1980er- und 1990er-Jahren, als die großen Konzerne immer mehr kleine Brauereien aufkauften und durch Rationalisierungsprozesse die Biervielfalt im- mer uniformer wurde. Die Wahrnehmung war, dass zwar viele Sorten auf dem Markt waren, die aber alle irgendwie gleich schmeckten. Wer etwas Besonderes haben wollte, musste selbst Hand anlegen. So sind die ersten kleinen Craft- bier-Brauereien entstanden. Und die Besonder- heit ist wichtig, wenn ein Lebensmittel überhaupt im Feinschmecker-Bereich ankommen will. Dem Bier scheint das mittlerweile gelungen zu sein … Alkoholfreies Bier hat weniger Kalorien als ein Liter Smoothie, vom Zuckergehalt mal ganz abge- sehen. Dass alkoholfreies Bier deshalb als Wellness-Getränk beworben wird, findet Frank-Jürgen Methner nicht abwegig k a o N x i l e F / R P / n i l r e B U T © Herr Prof. Methner, alkoholfreies Bier will das neue Getränk für Sportler*innen werden. Hersteller werben mit den Mineralstoffen und der Isotonie. Ist das nicht absurd? Ausgerechnet Bier, das Getränk, das angeblich dick und krank macht, wird neuerdings als Wellness-Drink beworben. So abwegig ist das nicht! Wenn Sie sich die Werte von Bier anschauen, sind die gar nicht so schlecht. Ein Liter Bier hat wesentlich weniger Kalorien als ein Liter Smoothie, vom Zuckergehalt ganz zu schweigen. Was Bier so ungesund macht, ist in der Tat bei übermäßigem Konsum der Alkohol – und der kommt in alkoholfreiem Bier so gut wie nicht vor. Und dass Bier dick macht, ist ein Gerücht. Bedingt durch den Hopfen, wird beim Bierkon- sum die Magensaft-Sekretion angeregt, dadurch findet eine Appetitanregung statt. Man denkt, dass man hungrig ist, und greift zur Tüte Chips. Der Bierbauch müsste also Chipsbauch heißen. Wieso werden in letzter Zeit so viel alkoholfreie Biere auf den Markt gebracht? Früher gab es Clausthaler, und das war‘s auch schon. Es gibt einen gesellschaftlichen Wandel. Men- schen werden älter und wollen gesünder leben. Generell nimmt in unserer Zeit der Alkoholkon- sum ab, aber vor allem ältere Menschen suchen nach Alternativen zum Feierabend-Bier, die trotzdem noch wie Bier schmecken. Alkohol ist ja nicht nur ein Gift, sondern auch ein Geschmacksträger. Alkoholfreie Biersorten waren lange dafür verschrien, dass sie fad und wässrig schmecken würden. Die Zeiten sind vorbei. Da hat sich technisch ei- niges getan. An meinem Fachgebiet Brauwesen haben wir mit einem speziellen Hefestamm und Verfahren ein alkoholfreies Bier entwickelt, das sensorisch sehr nahe an herkömmliche Biere he- Absolut! Auch dank der Craftbier-Bewegung ist Bier als ernstzunehmendes Genussmittel aner- kannt. Es gibt erste Restaurants, die neben einer Weinkarte auch eine Bierkarte zum Essen rei- chen. Das ist echt erstaunlich. Prof. Dr.-Ing. Frank- Jürgen Methner, Leiter des Fachge- biets Brauwesen der TU Berlin l h a D h c i r l U / R P / n i l r e B U T © In Deutschland macht das Reinheitsgebot viele Craftbier-Experimente unmöglich, die in anderen Ländern durchaus üblich sind. Verhindert das Reinheitsgebot Innovationen? Das Gegenteil ist der Fall! Gerade weil man nach deutschem Reinheitsgebot nur drei Zutaten – Hopfen, Malz und Wasser – ins Bier mischen darf, werden die Brauereien unglaublich kreativ. Denn die Geschmacksnuancen muss man eben anders ins Bier bringen. Die Hopfenzüchtung hat enor- Nicht gerade sexy, aber nützlich Was haben Mikroorganismen mit gesunder Ernährung zu tun? Mehr, als die Werbung suggeriert m o c . o t o h p k c o t s y t l a y o r © Wer an gesunde Lebensmittel denkt, hat zumeist Bilder von glücklichen Tieren, die im Sonnenschein über Alpenwiesen springen, vor Augen. Von Wildblumen umsäumte Felder, die sich in sanftem Winde neigen. Pausbäckiges Landvolk, das vor Lebensglück strotzend die Sensen schwingt, um die pralle Kraft unserer Biosphäre naturbelassen einzubringen. Was die wenigsten vor Augen haben dürften, sind Brutschränke, Zellkulturen und biochemische Labore. Und doch sind sie für das, was wir eine „natürliche“ oder „gesunde“ Ernährung nennen, wesentlich. Was man von dem Kitsch, auf den uns die Werbeindustrie so erfolgreich konditioniert hat, nicht sagen kann. Der Grund dafür ist einfach: Ohne Hilfe der Mik- roorganismen reichte die Qualität der „natürlich“ produzierten Kalorien nicht aus, um die Masse an Menschen zu ernähren, die auf der Erde leben. Zumindest nicht, wenn die fast 7,68 Milliarden Menschen sich gesund ernähren wollen, wie Prof. Dr. Christine Lang sagt. Die Biologin habilitierte an der TU Berlin, bevor sie die Firma Organoba- lance gründete. Seit 2018 arbeitet sie als freie Beraterin, unter anderem auch für die Firma No- vozymes, die wie Organobalance Enzyme und Mikroorganismen für die Lebensmittelindustrie produziert. Gerade in den Industrieländern stelle gesunde Ernährung ein Problem dar: „Den Le- bensmitteln fehlen oft Mineralstoffe, Vitamine oder bestimmte hochwertige Aminosäuren.“ Diesen Mangel auszugleichen sei der Beitrag, den Enzyme und Mikroorganismen für die Ernährung leisten könnten. Das Stichwort sei „Mikrobiom des Darms“, so die Biologin. „Wir wissen schon lange, dass Bakterien im Darm uns mit ihren enzymatischen Aktivitäten bei der Verdauung unterstützen. Aber heute lernen wir, dass das Mikrobiom, also die Gesamtheit der in uns leben- den Mikroorganismen, einen wesentlichen Teil unseres Immunsystems ausmacht.“ Die kleinen Passagiere sind keine Schmarotzer, im Gegenteil. Sie zahlen Miete, indem sie uns mit Vitaminen und anderen Substanzen versorgen, die unsere Körper nicht alleine herstellen können. Manche der Kleinstlebewesen produzieren auch Milchsäure, Essig-, Butter- oder Propionsäure, die für ein saures Milieu im Darm sorgen. Genau das schützt uns vor Krankheitserregern wie Salmo- nellen oder E.coli, die in saurer Umgebung nicht gut wachsen. Im Gegensatz zu den Erregern agie- ren etwa die Milchsäurebakterien also „für unser Leben“, was auf Latein „probiotisch“ heißt. Christine Lang fragte sich vor 20 Jahren, was dahintersteckt: „Was genau ist eigentlich dieses ,Pro‘-Biotische an den Organismen?“ Mittlerwei- le ist bekannt, dass manche Stämme noch mehr können, als nur Säure zu produzieren: „Einige docken an Andockstellen in der Darmwand an und aktivieren das Immunsystem.“ So verhin- dern sie, dass Krankheitserreger sich dort festset- zen können, oder anders ausgedrückt: Sie schüt- zen auf diese Art den Darm vor Infektionen. Sie beugen Entzündungen im Darm vor, von denen man heute weiß, dass sie für viele Zivilisations- krankheiten wie Diabetes oder Übergewicht mitverantwortlich sind. Denn viele dieser Krank- heiten beginnen mit einer Entzündung im Darm. „Hier könnte man eingreifen, um vorzubeugen, eventuell sogar erste Symptome lindern.“ Aller- dings weist Lang darauf hin, dass dies wohl auch die Grenze dessen sei, was mithilfe probiotischer Stämme erreicht werden könne. „Es geht um Ge- sundheitsvorsorge und nicht um Heilung“, wie Lang ausdrücklich betont. men Auftrieb bekommen, und durch alte Bierhe- festämme, die wieder reaktiviert wurden, kann ich das Bier mit Aromen versehen, ohne künstli- che Zusätze. Das ist eine riesige Spielwiese. Das Interview führte Michael Metzger 84 der Befragten % sind für WENIGER ZUCKER in Fertig- produkten, auch wenn es dann weniger süß schmeckt Mikroorganismen können Lebensmittel länger haltbar machen und chemische Konservierungs- stoffe ersetzen Ernährungsreport 2019* Lang formulierte die Hypothese, dass lediglich bestimmte Mikroorganismen eine probiotische Wirkung hätten, und gründete mit Kollegen auf dieser Hypothese die Firma Organobalance. Ge- meinsam entwickelten sie eine Sammlung von mehreren Tausend Milchsäurebakterien-Stäm- men. „Die haben wir im Labor auf ihre Eigen- schaften hin untersucht.“ Neben dem Einsatz als probiotisches Nahrungsergänzungsmittel existierten weitere Möglichkeiten, Einzeller, und die von ihnen produzierten Enzyme, für Ernäh- rungszwecke zu nutzen. So könnten Mikroorganismen Lebensmittel län- ger haltbar machen und damit chemische Konser- vierungsstoffe ersetzen. „Es gibt Fachleute, die behaupten, dass es kein Problem wäre, genug Lebensmittel für alle Menschen zur Verfügung zu stellen, wenn es gelänge, die Verderblichkeit zu reduzieren.“ Auch hierbei können säurepro- duzierende Bakterienstämme einen Beitrag leis- ten. Bekannte Beispiele dafür sind das deutsche Sauerkraut oder das koreanische Kimchi. Da entsteht bei der Herstellung aus verderblichem Weißkohl ein lang haltbares Produkt. Zusätzlich sorgen die Einzeller auf natürliche Weise dafür, dass derselbe Kohl ganz unterschiedliche Ge- schmackserlebnisse bietet. Je nachdem, mit wel- chem Bakterienstamm er fermentiert wurde. Auch die feinen Variationen unterschiedlicher Naturjoghurts verdanken wir den mikroskopi- schen Helfern. Ohne sie würde Joghurt schlicht ranzig und Brot nach Pappe schmecken. Schade, dass sich die kleinen Schützer so schlecht für die vor Romantik triefende Bildsprache der Werbebranche eignen. Verdient hätten sie es. Jochen Müller