TU intern · Nr. 2/April 2020 AUS DEN FORSCHUNGSLABOREN Seite 5 Was in den Laboren als Erstes auffällt: Leere. Da, wo sonst Kühlschränke summen, Reagenzgläser geschüttelt werden, das Rauschen der CleanBench oder das Klicken von Pipetten zu hören ist, herrscht jetzt vor allem eins: Stil- le. Ein Bio-Labor im Präsenznot- betrieb ist eine eher trostlose Angelegenheit. Das findet auch Prof. Dr. Hajo Haase, Leiter des Fach- gebiets Lebensmittelchemie und Toxikologie an der TU Berlin, der am Freitag, 20. März 2020, als Letzter seine Runden durch die Labore zog, um zu kontrol- lieren, ob alle Geräte korrekt herun- tergefahren wurden, alle Proben ver- nichtet oder eingefroren wurden und alle Türen verschlossen sind. „Wenn man dieser Situation über- haupt etwas Gutes abgewinnen kann, dann nur, dass die Informationspolitik der TU Berlin so aufgebaut war, dass man bereits mehrere Tage zuvor wuss- te, was auf einen zukommt“, so der Wissenschaftler, der in den vergan- genen Tagen zusammen mit seinem Team mit Hochdruck daran gearbeitet hat, seine Labore zu schließen. „Wir wussten seit mehreren Tagen, dass ein Notbetrieb ansteht“, lobt Hajo Haase die Kommunikation des Krisenstabs der TU Berlin. „Als die Information kam, dass die Mitarbeiter*innen ins Homeoffice sollten, da hatten wir be- reits alle Handy-Nummern gesammelt und diskutiert, wer welchen Laptop mitnimmt oder welche Daten sichert. Daneben mussten wir festlegen, wer welche Experimente abbrechen muss, welche Experimente gar nicht mehr angefangen werden und welche unbe- dingt noch beendet werden mussten.“ Ein Labor in einem derartigen Krisen- modus erlebt der Wissenschaftler auch das erste Mal. Präsenznotbetrieb mit Vorwarnung „Wir arbeiten hier unter anderem mit sogenannten GVOs. Das sind gen- technisch veränderte Organismen, in erster Linie bestimmte Zellkultu- ren und Mikroorgansimen, für die es die Zeit im Homeoffice sinnvoll zu gestalten. „Ich selber muss die On- line-Lehre für das anstehende Se- mester konzipieren und könnte alle Veröffentlichungen lesen, zu denen ich ansonsten nicht komme, Anträge vorbereiten, Gutachten oder auch Übersichtsartikel schreiben. Beson- ders schwierig dagegen ist die Lage für die Doktorand*innen. Die haben nur befristete Verträge. Im besten Fall können sie jetzt ihre Arbeit zusam- menschreiben oder eine umfassende Literaturrecherche durchführen, aber einige sind auch mitten in wichtigen Versuchsreihen und werden um Mo- nate zurückgeworfen. Bei wieder an- deren endet der Vertrag, ohne dass sie die Gelegenheit bekommen, ihre Ar- beit abzuschließen. Dafür gilt es jetzt möglichst schnell unbürokratische Unterstützungsangebote zu konzi- pieren“, so Hajo Haase. Auf die Frage, inwieweit sein komplettes Fachgebiet durch diesen erzwungenen Präsenz- notbetrieb zurückgeworfen wird, hat auch er keine Antwort: „Einen Monat können wir sicherlich überbrücken, was danach kommt, ist offen.“ Katharina Jung e s a a H o a H j © Aufgeräumt, eingefroren, in flüssigem Stickstoff gelagert oder hocherhitzt: Zellkulturen und andere Experimente sind versorgt, das Labor aufge- räumt – und wartet auf Wiedereröffnung Was machen Wissenschaftler*innen ohne Labor? Über die Herausforderung, ein aktives Bio-Labor stillzulegen strenge Richtlinien gibt, wie diese zu entsorgen oder aufzubewahren sind.“ Zelllinien oder Organismen, die man nicht tiefgefroren aufbewahren kann, müssen autoklaviert werden. Das be- deutet, dass diese in einem großen Schnellkochtopf stark erhitzt werden. „Die Proben, die wir aufbewahren können, werden teilweise in flüssigem Stickstoff gelagert. Dieser muss regel- mäßig nachgefüllt werden“, weiß der Chemiker. Um das zu gewährleisten, haben die Institute Listen mit soge- nannten systemrelevanten Personen erstellt. Diese erhalten auch während des Präsenznotbetriebs die Möglich- keit, in regelmäßigen Abständen die Labore zu kontrollieren und zum Bei- spiel Stickstoff nachzufüllen. In einem e s a a H o a H j © manche Geräte müssen sogar weiter- laufen und der Betriebszustand regel- mäßig überprüft werden. Betreuung der Mitarbeiter*innen ist die größte Herausforderung Hajo Haase Hightech-Labor sind nicht nur leben- de Organismen betreuungsbedürftig. Verschiedene, in der Regel besonders kostspielige Geräte wie Massenspekt- rometer laufen mit einem sogenannten Hochvakuum und werden normaler- weise nie abgeschaltet. Sie wurden jetzt kontrolliert heruntergefahren; Neben diesen hochspezialisierten The- men bringt der Lockdown aber auch eher triviale Probleme mit sich: „Das fängt beim Säubern des Sozialraumes an, geht über den Hinweis, alle Wert- sachen aus den Büros zu entfernen, bis zu einer umfangreichen Datensi- cherung“, so Hajo Haase. Für ihn als Vorgesetzten geht es jetzt vor allem darum, seine Mi tar- beite r*in nen dabei zu unterstützen, Schnell und verantwortungsbewusst entscheiden kj „Vorbereitet für den Präsenznot- betrieb waren wir nicht. Ich glaube auch nicht, dass man darauf vorbe- reitet sein kann“, sagt Dr. Lars Mer- kel, Leiter der Zentralverwaltung des Instituts für Chemie. Er war in die Organisation des Notbetriebes für das Institut mit eingebunden. „Vielleicht war es unsere Stärke, dass alle gefordert waren, schnell und verantwortungsbewusst für die eigene Arbeitsgruppe zu entschei- den. Eine große Herausforderung für die Gruppenleiter*innen sehe ich darin, auch den sozialen Zusam- menhalt innerhalb der Fachgebiete zu erhalten. Da müssen wir uns für die kommenden Wochen neue For- mate einfallen lassen.“ TU-Forschung zu Corona Analyse, Medizin, Immunität: Bio-Labore forschen weiter kj/pp Die Corona-Pandemie traf die Welt unvorbereitet. Nun ist es wich- tig, Forschung zu Virus und möglichen Therapien schnell auszubauen und zu intensivieren. So erhielten drei Labore an der TU Berlin mit entsprechender Expertise eine Sondergenehmigung, um bestimmte Experimente durchzu- führen, natürlich unter Einhaltung ent- sprechender Schutzmaßnahmen für die Mitarbeiter*innen. Das Labor für MEDI- ZINISCHE BIOTECHNOLOGIE von Prof. Dr. Roland Lauster arbeitet gemeinsam mit dem Labor für BIOVERFAHRENS- TECHNIK von Prof. Dr. Peter Neubauer und der Charité – Universitätsmedizin Berlin an einem Test, um den Immun- status der Bevölkerung zu ermitteln. Die Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass das Immunsystem vieler, wenn auch nicht aller Europäer eine gewisse Immu- nität gegen COVID-19 zeigt. Ihr Ziel ist ein Testsystem, das diesen Immunstatus ermittelt. Auch können die Bioverfah- renstechniker ihre Unterstützung bei der Produktion von Polymerasen in größe- rem Maßstab anbieten. Das sind Enzy- me, die für die Corona-Tests notwendig sind. Die Wissenschaftler*innen sind be- reits mit einer Berliner Firma in Kontakt und bereiten alles vor, falls die Hersteller selbst an ihre Grenzen stoßen. Das Labor für BIOANALYTIK von Prof. Dr. Juri Rappsilber will die Struktur viraler Proteine aufklären. Sie versuchen zudem, Bindungspartner für die verschiedenen Proteine des Virus aufzufinden, die damit Grundlage für die Medikamentenher- stellung sein könnten. Auch das Robert- Koch-Institut ist involviert. www.biotech.tu-berlin.de Herr Prof. Rötting, vom 16. bis 18. März fand der 66. Frühjahrskongress der Gesellschaft für Arbeitswissen- schaft e. V. statt – ausschließlich digital. Wie kam es dazu? Der Kongress war im Hauptgebäude der TU Berlin mit über 400 Anmeldungen geplant, Titel: „Digitaler Wandel, digitale Arbeit, digitaler Mensch?“, ausge- richtet von meinem Fachgebiet Mensch-Maschine- Systeme und Prof. Dr. Linda Onnasch von der HU Berlin. Wir standen vor der Entscheidung, den Kongress aufgrund der Co- rona-Pandemie abzusagen. Einziger Ausweg: schnelle Umplanung auf digitale Formate. Dazu haben wir uns am 6. März entschie- den. Matthias Rötting h c s a L o i r a M © Digitale Arbeit – digitaler Kongress 300 Personen in virtuellen Meetingräumen Wie muss man sich den Ablauf vorstellen? Die Webseite www.gfa2020.de war unsere interakti- ve Einstiegsseite. Das Deutsche Forschungsnetzwerk stellte die Plattform Pexip zur Verfügung, die bis zu 23 Personen das Treffen in einem virtuellen Meeting- raum mit Video und Ton ermöglicht. Unbeschränkt viele Personen können das per Videostream verfol- gen und über Text-Chat kommunizieren. 50 virtuelle Meetingräume wurden eingerichtet, um die Vorträge, Poster-Sessions und Workshops stattfinden zu lassen. Von den acht geplanten Workshops konnten so im- merhin fünf stattfinden. Über 300 Personen haben an den gut 40 Vortragssessions des Kongresses vir- tuell teilgenommen. Wie beurteilen Sie den Erfolg? Wegen Überlastung der Server war die Übertragung der Vorträge anfangs nahezu unmöglich, deshalb mussten wir die Vorträge in die Randstunden des Tages legen. Danach verlief die digitale Übertra- gung akzeptabel bis gut. Insgesamt freut es mich, dass wir zeigen konnten: Auch zu Zeiten von Corona kann wissenschaftlicher Austausch stattfinden – be- sonders, wenn sich hoffentlich bald die technischen Rahmenbedingungen stabilisieren. Das Interview führte Katharina Jung „Amtshilfe“ für Europas größtes Analyselabor Alternative zum Homeoffice: Mehr als 70 Freiwillige der TU Berlin bieten ihre Expertise für Labordiagnostik an Außergewöhnliche Situationen erfor- dern außergewöhnliche Maßnahmen. Als klar war, dass auch ihr Labor für Angewandte und Molekulare Mik- robiologie auf dem TIB-Gelände im Wedding mit dem Präsenznotbetrieb für eine Weile die Türen schließen muss, sicherte Prof. Dr.-Ing. Vera Mey- er mit ihren Mitarbeiter*innen nicht nur die Stammsammlung des Fach- gebietes, sondern sie hatte auch eine zündende Idee. „Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, dass wir ausge- bildete Molekularbiolog*innen und Studierende ins Homeoffice schicken, während das Personal in den Kranken- häusern und Laboren derzeit Überlast fährt“, sagt die Geschäftsführende Di- rektorin des Instituts für Biotechnolo- gie, das zur Fakultät III Prozesswissen- schaften gehört. Spontan entschloss sie sich, dem „Labor Berlin“, zu dem ihr Team enge Kontak- te pflegt, „Amtshilfe“ anzubieten. Es ist das größte Krankenhaus- labor Europas, das im Auftrag von Charité und Vivantes 60 Milli- onen Proben jährlich analysiert, Erreger- nachweise und bioche- mische Schnelltests durchführt oder An- tibiotika-Resistenzen bestimmt. Ihr instituts- weiter Aufruf – neben ihrem eigenen gehören noch die Fachgebiete Bioverfahrens- technik, Medizinische Biotechnologie, Bioanalytik, Angewandte Biochemie und Geobiotechnologie dazu – ließ ihre Mailbox schnell überquellen. „Ich war überwältigt, als sich binnen Kur- Stammexperimente gesichert. Wann kann es weitergehen? zem 70 Freiwillige gemeldet hatten“, beschreibt sie. „Alles Personen, die DNA-Analytik und andere diagnosti- sche Methoden beherrschen. Die PCR, die Polymerase-Ketten-Reaktion, ist zum Beispiel eine Labormethode, mit der aktuell das Coronavirus mit Hochdurchsatzgeräten nachge- wiesen wird.“ Begeistert war auch das „La- bor Berlin“ von der Hilfsbe- reitschaft aus der Universität. In Absprache mit dem TU-Prä- sidium darf diese „Amtshilfe“ nun geleistet werden, sofern sie benötigt wird. Drei neue Verträ- ge mit studentischen Hilfskräf- ten gibt es bereits. Nun wird zunächst abgewartet, um spä- ter bei akutem Bedarf auf die „frei gewordene“ Expertise zurückzugreifen. „Für uns ist das auch eine Auszeichnung für unse- re Ausbildung“, so Vera Meyer, „und ein sicheres Zeichen, dass wir nicht am Markt vorbei ausbilden, sondern wissenschaftlichen Nachwuchs für die Zukunft!“ Patricia Pätzold k a o N x i l e F ©