"Angebot zur freiwilligen Selbstkoordination"

Forschung der Informations- und Kommunikationstechnik soll enger zusammenrücken- Koordinierungsstelle gegründet


(rs) Schaut man sich an, was über die neuesten Errungenschaften im Bereich der Information und Kommunikation veröffentlich wird, denkt man leicht, alles sei vernetzt. Und wenn man schon nicht selber per Multimedia-Terminal "am Netz" präsent ist, scheint es klar, daß zumindest die Fachleute täglich und stündlich weltweit miteinander konferieren und kooperieren. In der Realität sieht es anders aus. Selbst in Berlin arbeiten Wissenschaftler an ähnlichen Projekten, ohne sich miteinander abzusprechen. Damit dieses Nebeneinander jetzt ein Ende hat, wurde der Interdisziplinäre Forschungsverbund (IFV) Informations- und Kommunikationstechnologie gegründet. Ihm gehören drei Professoren der TU Berlin an. Sprecher des Forschungsverbunds ist Professor Bernd Mahr vom Institut für Software und Theoretische Informatik.

Die Informations- und Kommunikationstechnik - häufig auch als I&K abgekürzt - umfaßt jene Erfindungen und Produkte, die es Menschen ermöglichen, sich mit Hilfe von Computern zu informieren und miteinander zu kommunizieren. Das sind sowohl Datenbanken und Auskunftssysteme als auch digitale Telefon- oder Computernetze. In Berlin arbeiten zahlreiche I&K-Wissenschaftler an ähnlichen Problemen; aber sie sprechen sich nicht ab, verknüpfen ihre Arbeiten zu selten. Prof. Herbert Weber vom Institut für Software und Theoretische Informatik an der TU Berlin, schätzt beispielsweise, daß in Berlin rund sieben Informatik-Lehrstühle im Gebiet Datenhaltung und Datenbanken arbeiten. Seine Beobachtung: "Die treffen sich zwar immer wieder bei Konferenzen, dann aber eher aus Zufall, und nicht um sich zu koordinieren."

"Wir müssen enger zusammenrücken"

Für Prof. Weber heißt die Konsequenz aus diesen Beobachtungen: "Wir müssen enger zusammenrücken." Das gilt etwa für das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik, dessen Direktor er außerdem ist. Mit modernster Multimediatechnik sollen die Fraunhofer-Mitarbeiter, die in Berlin über drei Standorte verteilt sind, enger zusammenrücken.

Solche Entwicklungen mit ähnlichen Forschungsanstrengungen zusammenzubringen und zu koordinieren - mit diesem Ziel wurde im Januar 1994 der Informations- und Kommunikationstechnologieverbund (IKV) e.V. gegründet. In diesem Verein arbeiten zahlreiche Spezialisten aus Berlin und Brandenburg mit, u.a. die TU Berlin, das Fraunhofer-Institut für Software -und Systemtechnik, das Forschungsinstitut für Offene Kommunikationssysteme der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung sowie Unternehmen aus der Informationstechnik. Ihre Fachgebiete umfassen Breitband-Kommunikationsnetze und Büroautomation, Multimedia-Teledienste und Telemedizin, Künstliche Intelligenz und die Entwicklung von verteilten Anwendungen.

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Der IKV e.V., der bereits Forschungs- und Beratungsprojekte für die Weltbank, die Europäische Weltraumbehörde ESA, sowie andere Institutionen und Unternehmen durchgeführt hat, wird von der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung unterstützt. So wurde im Juli 1994 der Interdisziplinäre Forschungsverbundes Informations- und Kommunikationstechnologie genehmigt, dessen Träger der IKV e.V. ist.

Aufgabe des Forschungsverbundes ist es, eine "Moderatorenrolle" für die Berliner I&K-Forschungen zu übernehmen, erklärt Bernd Mahr, Informatik-Professor an der TU Berlin, Vorstandsmitglied des IKV e.V. und Sprecher des Forschungsverbundes.

Kein Mangel an Kompetenz

Daß Berlin solch einen Moderator gut gebrauchen kann, davon ist Radu Popescu-Zeletin, Informatik-Professor an der TU Berlin und IKV-Mitglied, überzeugt. Popescu-Zeletin, der auch Direktor des Forschungsinstitut für Offene Kommunikationssysteme GMD/FOKUS) ist, definiert das Defizit so: "In Berlin mangelt es nicht an Geld, nicht an Kompetenz, nicht an Technologie. Es mangelt an Koordination."

Diese Koordination soll mit zwei Aktivitäten erreicht werden. Zum einen soll der Verbund Technologietransfer von wissenschaftlichen Einrichtungen in Richtung Wirtschaft und öffentliche Verwaltung anstoßen. Dazu sollen Projekte, Workshops und Seminare veranstaltet werden. Zum anderen soll eine Studie mit Empfehlungen zur Forschung und Entwicklung für die Informations- und Kommunikationstechnik erarbeitet werden. Vorhandene Forschungsinteressen und Schwerpunkte in Berlin-Brandenburg sollen in ihr ermittelt werden, ebenso Vorschläge für zukünftige Arbeitsfelder und Kooperationen. Die Studie wird in der ersten, zweijährigen Arbeitsphase des IFV erstellt und dann der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung vorgelegt.

Gefördert vom Wissenschaftssenator

Die Senatsverwaltung unterstützt das Projekt als einen von derzeit acht Interdisziplinären Forschungsverbunden. Sie beschäftigen sich mit etwa mit Geowissenschaften, Materialforschung oder Sozialanthropologie der Industriegesellschaft. Für die Arbeit der neueingerichteten IFV-Geschäftsstelle wird die Senatsverwaltung mindestens drei und längstens fünf Jahre lang zwischen 150.000 und 180.000 DM jährlich zahlen. Peter Schuhe, Senatsrat aus der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung, versteht den Forschungsverbund als "Angebot zur freiwilligen Selbstkoordinierung der Wissenschaft". Er soll dazu beitragen, daß im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik eine eigene "community" entsteht.

Ein interdisziplinäres Trio

Aus der Informatik sollen im Forschungsverbund Hardware-Spezialisten, Netzwerk-Entwickler, Software-Ingenieure und Theoretische Informatiker zusammenkommen. Allein für das Fach Informatik könne man da bereits von Interdisziplinarität sprechen, meint Bernd Mahr, "denn die verschiedenen Spezialisten denken alle ganz unterschiedlich." Ein Beispiel ist das Trio der beteiligten TU-Informatik-Professoren Mahr, Weber und Popescu-Zeletin; sie kommen jeweils aus den Bereichen Theoretische Informatik, Computergestützte Informationssysteme und Offene Kommunikationssysteme.

Das ist aber nur der Anfang der Interdisziplinarität, die den Forschungsverbund auszeichnet. Damit die Forscher ein klares Ziel vor Augen haben, sind die späteren Anwender ebenfalls im Forschungsverbund dabei. "Die Wissenschaftler müssen über ein Anwendungsfeld zusammengeführt werden, für das gemeinsam ein Diensteangebot entwickelt wird," betont Mahr, "sonst wird alles nur ein Wasserkopf."

Herausforderungen im Anwendungsfeld Medizin

Ein Anwendungsfeld par excellence für den Forschungsverbund ist die Medizin. "Sie ist einer der besten Kunden für die Informatik", betont Prof. Eckart Fleck vom Deutschen Herz-Zentrum. Rund um die Vision der "elektronischen Patientenakte" gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Informatik-Probleme zu lösen. Beispielsweise werden Rechner für Krankenhäuser häufig über weite Entfernungen miteinander verbunden, in großen Gebäuden, auf weitläufigen Geländen, sogar von Stadt zu Stadt - eine Arbeit für Netzwerkspezialisten. Der Datenschutz für die persönlichen medizinischen Daten der Patienten ist eine weitere Herausforderung für die I&K-Wissenschaftler. Gleiches gilt für die Kompression der umfangreichen Bilddaten, die über Kabel oder gar Satellit übertragen werden, oder die Bildbearbeitung von Computertomographien.

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Ein anderes Anwendungsfeld, dem sich der Interdiziplinäre Forschungsverbund annehmen will, ist etwa das elektronische Publizieren. Aber auch die Vernetzung von Verwaltungen ist eine der aktuellen Themen im I&K-Bereich. Die Bonn-Berliner Arbeitsteilung von Bundesregierung und Ministerien ist ein Beispiel. Aber auch die Vernetzung der Berliner Senats- und Bezirksverwaltungen stellt neue Anforderungen an Technik und Organisation.

Forschungsanstrengungen müssen "geschärft" werden

Programme und Rechnerarbeitsplätze, mit denen Mitarbeiter von auseinanderliegenden Arbeitsplätzen gemeinsam diskutieren und beraten können, werden bereits seit einigen Jahren mit dem Etikett "Telekooperation" vorgestellt. Die bisherigen Forschungsanstrengungen in diesem Bereich müßten nun allerdings "geschärft" werden, damit "Brauchbares" entstehe, so Prof. Fleck vom Herz-Zentrum. Wie in der Autoindustrie, muß man die bisher entworfenen Prototypen nun zur Serienreife bringen. "Das ist jetzt ein ganzer schwerer Schritt vom Experiment, das im Einzelfall läuft, hin zu den Anwendungen, die in der Praxis laufen", erklärt Prof. Mahr. Eine "Transition von der Grundlagenforschung zur Anwendungsreife" sei dies, so Fleck.

Drei Jahre hat der IFV-IKT jetzt Zeit, um diese Transition zu unterstützen und die Forscher "enger zusammenrücken" zu lassen. Dann wird Bilanz gezogen und bewertet, was geleistet wurde. Und es wird über die längerfristige Zukunft des Projekts gesprochen. Das kann bedeuten, daß es in einen größeren Zusammenhang einfließt, etwa in ein bereits bestehendes Institut, oder daß es sich finanziell selbst trägt. Auf keinen Fall, so Senatsrat Schuhe, soll es auf Dauer ein öffentlich gefördertes Projekt bleiben.


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