Xi xue wei yong oder zhong xue wei ti?

Vor fünfzig Jahren promovierte Prof. Zhang Wei an der TH Charlottenburg


Fünzig Jahre nach Beendigung seiner Dissertation an der ehemaligen Technischen Hochschule Charlottenburg erhielt Prof. Zhang Wei im November letzten Jahres die goldene Doktorurkunde der TU Berlin. Unter welchen Umständen der junge Chinese 1938 nach Deutschland kam und was aus dem jungen Wissenschaftler wurde, beschreibt Welf Schnell von der TU-Arbeitsstelle für Geschichte und Philosophie der chinesischen Wissenschaft und Technik:

In den 20er und 30er Jahren stritten die intellektuellen Jugendlichen Chinas leidenschaftlich um die Zukunft ihres Landes. Sollte China die westliche Naturwissenschaft und Technik annehmen, um - wie man meinte - den praktischen Nutzen für die Gesellschaft zu mehren (xi xue wei yong), aber an den traditionellen Werten der konfuzianisch geprägten Ordnung und der auf ihr fußenden Geisteswelt festhalten (zhong xue wei ti)? Oder lag das Übel der politischen Schwäche Chinas gegenüber den westlichen Kolonialmächten gerade auch im vermeintlich fehlenden Geist des Aufbruchs in eine neue Gesellschaft, der die westliche Industrialisierung und technische Revolution so nachhaltig beflügelt hatte?

Die verschiedenen Positionen der Debatte drückten sich u.a. in unterschiedlichen Ausbildungskonzepten im Hochschulbereich aus. Während sich die staatlich geführten Hochschulen in der Regel an konfuzianischen Idealen orientierten, hatten sich die privaten, deren Gründungen zum Teil auf ausländische Initiativen zurückgehen, einem eher "westlichen" Ausbildungskonzept verschrieben.

Deutschland-Tradition in der Familie

Für den jungen Zhang Wei war klar, daß er Chinas Zukunft als Ingenieurwissenschaftler mitgestalten wollte, als er sich 1938 entschied, ein Studium in Berlin aufzunehmen. Viele seiner Kommilitionen seien damals ins Ausland gegangen, die meisten in die USA, aber auch nach Frankreich und Großbritannien, denn eine gute Ingenieurausbildung habe man damals in China nicht bekommen können. "Die deutsche Ingenieurausbildung hatte in China einen hervorragenden Ruf", begründet Zhang seine Entscheidung für Berlin. Auch mag ihn eine gewisse Vertrautheit mit dem Land bewogen haben, die Reise nach Deutschland zu wagen, denn bereits Zhangs Onkel hatte über seinen Deutschlandaufenthalt berichten können. Die Tradition des Auslandsstudiums in Deutschland sollte sich in der Familie dann fortsetzen: Tochter und Enkelin studierten bzw. studieren in Deutschland.

Unter äußerst schwierigen Bedingungen absolvierte Zhang Wei sein Studium in Berlin, das er 1944 mit der Promotion abschloß. "Bombenangriffe hatten wir noch nicht, aber täglich Luftalarm", erinnert sich Zhang Wei, der Berlin noch rechtzeitig verlassen konnte. Von Göttingen aus, wo seine Frau studierte, startete Zhang seine abenteuerliche Rückreise, die ihn zunächst in die Schweiz führte, bis sich im Jahr 1946 die Gelegenheit bot, mit einem französischen Truppentransport per Schiff von Marseille nach Saigon zu gelangen. Mit einem britischen Militärflugzeug ging es weiter nach Hong Kong, und in Shanghai endete dann schließlich die beschwerliche Reise.

Gemeinsame Forschung mit der TU Berlin

Prof. Dr.-Ing. Zhang Wei war lange Zeit als erster Vizerektor der bekannten Tsinghua Universität in Peking tätig, bevor er Gründungsrektor der Shenzhen University wurde. Heute arbeitet er in Kooperation mit Prof. Wolfgang König an einer vergleichenden historischen Studie über die Entwicklung der Ingenieurausbildung in Deutschland, Frankreich, England und den USA von der Industrialisierung bis zur Gegenwart. Diese Themenstellung führt Prof. Zhang gewissermaßen zur Situation ins China der 20er und 30er Jahre zurück, als man über Ausbildungsfragen debattierte. Sie gewinnt an Aktualität, weil sich das Hochschulwesen Chinas gegenwärtig in einem umfassenden Reformprozeß befindet, ohne daß eine endgültige Konzeption erkennbar wäre. Die vergleichende Studie könnte hier durch ihren methodischen Ansatz, historische Entwicklungen im Kontext unterschiedlicher Kulturen zu betrachten, wertvolle Anregungen liefern.

Welf H. Schnell


Schreiben Sie uns Ihre Meinung:

Zurück zum Inhaltsverzeichnis