"Sie glaubten an Frankreich"

Das erste Kolloquium des zukünftigen Zentrums für Frankreichforschung


Ein historisches und zugleich aktuelles
Thema hat sich das in Gründung befind-
liche Zentrum für Frankreichforschung an
der TU Berlin für seine erste große Veran-
staltung ausgesucht, die im Juli stattfand.
Unter dem Titel "Ils croyaient à la France -
Sie glaubten an Frankreich" ging es um
ein Kapitel deutsch-französischer Ge-
schichte, das in Deutschland so gut wie
unbekannt ist und in Frankreich bis in
jüngste Zeit durchaus als ein Tabuthema
galt: die Deutschen und Österreicher, die
während des Zweiten Weltkriegs in der
französischen Résistance gegen das na-
tionalsozialistische Deutschland kämpften.

Wieviele es waren, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 nach Frankreich emigrierten und später im Widerstand kämpften, ist heute nicht mehr exakt zu ermitteln. Denn zum einen gab es die offiziell erfaßten Immigranten, zum anderen aber auch zahlreiche illegal Eingereiste. Man schätzt, daß es über 20.000 Menschen waren, die jenseits des Rheins Zuflucht vor dem nationalsozialistischen Deutschland suchten.

Warum aber gingen diese Menschen ausgerechnet nach Frankreich, in jenes Land, das in Deutschland als "der Erbfeind" galt? Diese Frage stand im Mittelpunkt des zweitägigen Kolloquiums, das das in Gründung befindliche Frankreichzentrum zusammen mit dem Berliner Institut francais, dem Centre Marc Bloch und der französischen Botschaft organisiert hatte.

DAS LAND DER AUFKLÄRUNG

Die jeweiligen persönlichen Gründe waren sehr unterschiedlicher Art: Einige hatten Freunde und Verwandte, die sie aufnehmen konnten, andere - zumeist Intellektuelle und Künstler - wählten Frankreich als das Land der Aufklärung und der Literatur. Andere wiederum, Sozialdemokraten und Kommunisten, hofften auf eine politische Zusammenarbeit mit den in Paris gut organisierten Schwesterparteien. Allen war jedoch eines gemeinsam: Sie glaubten an Frankreich, und zwar an das Frankreich der Aufklärung und der Revolution von 1789, an seine freiheitliche Tradition und die Proklamation der Menschen- und Bürgerrechte, wie der Pariser Professor Gilbert Badia in seinem Beitrag über die Soziologie der Emigranten erklärte.

Wer sie waren und wie sie an Frankreich glaubten, wurde in mehr als zwanzig Einzelvorträgen untersucht, etwa in Ausführungen über die deutschen Schriftsteller und Bildhauer im Exil, über Tänzer, Theater- und Filmkünstler, über Rudolf Leonhardt als Résistancedichter, aber auch umfassender über die Flüchtlinge aus Deutschland in den Pariser Vororten zwischen 1933 und 1939.

ALS "SUJETS ENNEMIS" INTERNIERT

So stark ihr Glaube an Frankreich war, wurde er doch erschüttert, als die Emigranten im September 1939 nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu "sujets ennemis", zu feindlichen Ausländern, erklärt wurden. Die politisch verdächtigen Männer und Frauen wurden in Lagern im Süden Frankreichs interniert; viele von ihnen wurden nach der deutschen Besetzung von der Kollaborationsregierung in Vichy ausgeliefert. Barbara Vormeier, Professorin für Geschichte an der Universität Lyon, berichtete von neuen Forschungsergebnissen, nach denen unter den rund 76.000 Juden, die zwischen März 1942 und August 1944 mit Hilfe der Vichy-Regierung deportiert wurden, mindestens 9000 deutsche und österreichische Exilanten jüdischer Herkunft waren.


Für viele Deutsche, die sich vor den Nazis nach Frankreich retteten, endete die Flucht in Internierungslagern, wie z.B. im südfranzösischen Le Vernet

Einige der Exilanten konnten sich nach der deutschen Besetzung 1940 in den Untergrund retten. Beispielsweise Lore Krüger, die als Zeitzeugin an dem Kolloquium teilnahm: Sie wurde 1940 in Paris verhaftet, floh einige Monate später und schloß sich der Résistance als Übersetzerin an. Oder Dora Schaul, geborene Davidsohn: Sie berichtete, wie sie 1939 interniert wurde und im August 1942 fliehen konnte, sechs Wochen vor der Deportation der Lagerinsassen in die KZs. Danach schloß sie sich der Résistance an, arbeitete mit falschen Papieren als Französin bei der deutschen Feldpost in Lyon und knüpfte Kontakte zu Wehrmachtsangehörigen.

Aber nicht nur Exilanten schlugen sich auf die Seite des französischen Widerstandes. Auch Zeitzeuge Kurt Hälker, der 1941 als Besatzer nach Paris kam und sich dort anderen Soldaten anschloß, die bereits mit der Résistance in Kontakt standen. Er gab Hinweise über geplante Razzien und Deportationen weiter, schmuggelte deutsche Waffen zum französischen Widerstand. Im August 1944 floh er und kämpfte bei der Befreiung von Paris auf seiten der Résistance-Verbände.

"BEDEUTENDER BEITRAG"

Wie aber wurde die Rolle dieser deutschen Résistance-Kämpfer nach 1945 bewertet? Diese zweite große Frage des Kolloquiums beantwortete zum Teil der französische Botschafter in Deutschland, Francois Scheer. In seiner Eröffnungsrede wies er auf den "bedeutenden Beitrag" hin, den diese Menschen zur Befreiung seines Landes geleistet habe. Jedoch räumte er ein: "Im großen und ganzen erfahren in Frankreich deutsche oder österreichische Hitlergegner nicht den Bekanntheitsgrad, der ihnen gebührt."

Und in Deutschland? Hatten die Résistance-Kämpfer eine Bedeutung für die Beziehungen der Bundesrepublik zu Frankreich? "Nein, Fehlanzeige", vermerkte der Kasseler Politologie-Professor Hans Manfred Bock. Für Adenauer und seine Nachfolger, so Bock, hätten sie keine Rolle gespielt. Mit Blick auf die ehemalige DDR erinnerte Professor Gilbert Badia daran, daß die Widerstandskämpfer, soweit sie nicht zu Oppositionellen wurden, durchaus geehrt wurden. Eine Behandlung, die ihnen in der Bundesrepublik häufig nicht zuteil wurde.

René Schönfeldt


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