Selbstbesinnung und Selbstvergewisserung

Die Herausforderung des Jubiläums "50 Jahre TU Berlin" - von TU-Präsident Dieter Schumann


Die Technische Universität Berlin begeht das Jubiläum der 50. Wiederkehr des Tages ihrer Neubegründung nach dem zweiten Weltkrieg in einer Situation äußerster Bedrängnis. Der finanzielle Druck der Haushaltssituation des Landes Berlin erzwingt Entscheidungen, die tief in die gewachsenen Strukturen der Universität eingreifen. Wir sind der Überzeugung, daß in dieser Situation dieses Jubiläum eine besondere Bedeutung erhält. Nicht als Anlaß für ein großes selbst-bestätigendes Fest, aber als Herausforderung zum grundsätzlichen Bedenken unseres Selbstverständnisses vor dem Hintergrund der neuen Situation Berlins und seiner Universitäten. Entsprechend wollen wir dieses Jubiläum begehen.

Auseinanderzusetzen haben wir uns mit der Aktualität des Gründungsauftrages von 1946: Von der Technischen Hochschule zur Technischen Universität!

Hinter diesen Anspruch können und wollen wir nicht zurückfallen, aber wir müssen ihn zeitgemäß interpretieren. Im Hinblick auf die Lehre, die Forschung und die Entwicklung des Fächerprofils der Universität. Wir müssen dabei zugleich der besonderen Bestimmung der Hochschule als einer "Technischen" Universität genügen. Wir müssen dafür die Aufgaben bedenken, die dieser Technischen Universität Berlin aus ihrer Einbettung in die Region Berlin-Brandenburg zukommen und die ihr auch im Verhältnis zu den anderen Universitäten und Hochschulen der Region eine besondere Rolle zuweisen.

LEITBILD: UNIVERSALE AUSBILDUNG

Das Leitbild einer "universalen Ausbildung" auch und gerade für Ingenieure und Naturwissenschaftler - uns von dem britischen General Nares in seiner Eröffnungsansprache 1946 mit auf den Weg gegeben - verlangt unter den Bedingungen allgemeiner Einsparungen besonders nachdringliches Bedenken und bewußte Prioritätensetzungen. Eine Forschungsförderung, die mangels Mittel nicht mehr "flächendeckend" angelegt sein kann, muß Schwerpunktaufgaben definieren. Die Fächer der Geistes- und Sozialwissenschaften müssen sich - in Lehre wie Forschung - auf Schnittstellenprobleme im Verhältnis zu den Ingenieur- und Naturwissenschaften konzentrieren.

Bei allem muß die Universität darum besorgt sein, daß ihre wissenschaftliche Qualität über die Anpassung an die von Außen vorgegebenen Sparzwänge nicht Schaden nimmt. Die bloße Sicherung eines Mindestlehrangebotes für die vorhandenen Studiengänge und eine entsprechende Verteilung der Mittel wären als Handlungsmaxime der sicherste Weg in den Niedergang. Wir brauchen "centers of excellence" in der Forschung. Wir brauchen herausragende Lehre. Wir brauchen daher Differenzierungen in der Bereitstellung von Ausstattungen. Wir brauchen Investitionen in "strategische" Berufungen. Wir brauchen Animation zur und Belohnung von Qualität und Leistung.

MEHR AUSTAUSCH MIT DEM UMFELD

Wir müssen die Beziehungen und den Austausch mit unserem gesellschaftlichen Umfeld intensivieren: Die Technische Universität Berlin als Motor der Bewegung und Erneuerung der Region Berlin-Brandenburg. Das betrifft die Instrumente des Wissens- und Technologietransfers. Das verlangt die umfassende Pflege unserer Kooperationsbeziehungen zur Industrie. Das meint den Anspruch der Universität, mit ihrem Expertenwissen gehört zu werden, wo immer über grundlegende Entwicklungsprobleme der Region entschieden wird. Das muß sich niederschlagen in einem besonderen Praxisbezug der Lehre und in einer langfristigen Orientierung der Forschung an komplexen Problemfeldern von Bedeutung für die Region.

Wir müssen den häufig eher plakativ geltend gemachten Anspruch, eine internationale Universität zu sein, noch nachdrücklicher mit Leben füllen. Durch inhaltliche Anstrengungen bei der Entwicklung von Curricula und internationalen Kooperationsprojekten, aber auch durch die verstärkte Bereitstellung von Mitteln für internationale Kooperationen. Die Technische Universität wird bei der Berlin zufallenden Aufgabe der Unterstützung der Entwicklungen in Osteuropa und Rußlands eine wichtige Rolle auf dem Felder der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zu übernehmen haben. Vorausgesetzt, sie ist innerlich hierauf vorbereitet und sie ist bereit, sich hierfür zu engagieren.

GRUNDSÄTZLICHES UMDENKEN

Dies alles verlangt von der Universität ein grundsätzliches Umdenken im Hinblick auf die Instrumente und die Praxis ihrer bisherigen Entwicklungsplanung. Eine Entwicklungsplanung, die die Universität in die Lage versetzen soll, mit den Zumutungen der neuen Situation fertig zu werden, muß eine Planung sein,

Es ist dies eine Planung, die ganz auf qualitative Kriterien gestellt ist und die damit die Förderung qualitativer Anstrengungen erlaubt, wo immer diese anstehen. Es ist dies aber auch eine Planung, die mit einer bisherigen Praxis bricht, eine Planung, für die es an der Universität keine Erfahrungen gibt und eine Planung, die außerordentlich hohe Anforderung an die Entscheidungsfähigkeit der Gremien stellt.

Sollte dieses Jubiläum des 50. Gründungstages dieser Technischen Universität Berlin uns etwas von dem Mut geben, der für einen derartigen Schritt in Neuland erforderlich ist, hätte es einen großen Beitrag zur Überwindung der Krise geleistet, in der die Universität sich gegenwärtig - im Ergebnis der Krise des Landes Berlin - befindet.

Prof. Dr. Dieter Schumann, Präsident der TU Berlin


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