Berufsfähigkeit statt Berufsfertigkeit

Konzepte der Reformfraktion für den Bereich "Lehre und Studium"

Kürzlich legte die Reformfraktion an der TU Berlin ihre "Hochschulpolitischen Leitlinien" vor. Die Aussagen zum Thema "Lehre und Studium" faßt Frank Bucher im folgenden für TU intern zusammen; er ist Vertreter der wissenschaftlichen Mitarbeiter im Akademischen Senat und Mitglied der Reformfraktion.

Für die Planung und Weiterentwicklung des Studienangebots an der TU hat die Reformfraktion Maßstäbe und Kriterien entwickelt. Zusammenfassend schlägt sie für den Bereich Lehre und Studium vor, folgende Vorgaben und Maßnahmen zu berücksichtigen:

Berufsfähigkeit statt Berufsfertigkeit: Ein Studium kann in den seltensten Fällen auf einen konkreten Beruf hin ausbilden, u.a. wegen des breiten und schnellen Veränderungen ausgesetzten Einsatzspektrums der Absolventen/innen. Deshalb muß ein Studium eine Berufsfähigkeit herstellen, d. h. neben der Vermittlung inhaltlicher und methodischer Kenntnisse müssen soziale Kompetenzen und die Fähigkeit zur eigenständigen Weiterbildung geschult werden. Studienangebote, die lediglich Berufsfertigkeiten in den Vordergrund stellen, müssen daher reformiert werden.

"Die meisten Studiengänge zeichnen sich durch eine starre, formalistische Organisation aus"

Flexibilisierung des Studiums: Die meisten Studiengänge zeichnen sich durch eine starre, formalistische Organisation des Studiums aus. Dabei sind z. B. die Prüfungsmöglichkeiten durch starre Prüfungszeiträume und ein mangelhaftes Angebot an Terminen eingeschränkt. Darüber hinaus wird die Studierbarkeit durch mehrfache Leistungskontrollen desselben Lehrinhalts beeinträchtigt. Hier muß eine flexible Studiengestaltung ermöglicht werden.

Studierende können in den vorhandenen Wahlbereichen in der Regel nur auf eine Auswahl aus Fächerkatalogen bzw. Vertiefungsrichtungen zurückgreifen. Um Ihnen die Möglichkeit einer individuellen Vorbereitung auf die immer weniger präzise beschreibbaren Berufsfelder zu geben, muß in jeder Studienordnung ein Wahlbereich eingerichtet werden, der ein Drittel des Studiums umfaßt. Dieser soll zumindest das gesamte Fächerangebot der TU Berlin beinhalten. Gleichzeitig sind überfachliche Studienanteile - wie z. B. umweltbezogene, technikreflektierende, betriebswirtschaftliche, fremdsprachliche oder interkulturelle - in die Pflicht- und Wahlpflichtanteile der Studiengänge zu integrieren.

Integration von Studium und Forschung: Lehre und Forschung finden z. Zt. getrennt voneinander statt. Studien- und Diplomarbeiten stellen die einzigen Anknüpfungspunkte für Studierende an die Forschung einer/s Professorin/s dar. Zur Abhilfe könnten die für die Organisation der Forschung zu etablierenden fächerübergreifenden Forschungsschwerpunkte in der Lehre dadurch verankert werden, daß sie Studienmodule anbieten, die Inhalte, Methoden und Arbeitsprozesse darstellen. Bei ausreichendem Angebot mehrerer Forschungsschwerpunkte an der TU Berlin kann ein "Studieren nach Themen" entstehen, das durch Standard-Lehrveranstaltungen ergänzt wird.

Didaktische Qualifikation der Lehrenden: Verbesserung von Studium und Lehre setzt die dafür notwendige Qualifizierung voraus, die durch ein flächendeckendes Weiterbildungsangebot für Lehrende erreicht werden soll. Leistungen in der Lehre müssen als Bestandteil der Qualifikation des Wissenschaftlichen Nachwuchses anerkannt werden. Die vielbeschworene Berücksichtigung der Lehre in Berufungsverfahren muß endlich realisiert werden.

Hochschulforschung, Lehrberichte, Evaluation: Eine effektive Verbesserung der Situation von Lehre und Studium wird u.a. durch eine lehrleistungsbezogene Ressourcensteuerung erreicht. Dazu muß ein Lehrberichtswesen, ein Evaluationsprogramm und darüber hinaus ein Verfahren zur Bewertung der Lehrveranstaltungen an der TU Berlin entwickelt werden. Dies soll durch Hochschulforschung unterstützt werden.

Wie soll das umgesetzt werden? Zur Förderung der notwendigen Reformmaßnahmen in Studium und Lehre setzt die Reformfraktion sowohl auf antragsgebundene Förderprogramme als auch auf die Vergabe von Mitteln über statistische Parameter bzw. Evaluationsdaten. Darüber hinaus müssen die Fachbereiche bei der Erstellung von Studien- und Prüfungsordnungen folgende Vorgaben verbindlich berücksichtigen:

  • Höchstwerte für die sogenannten Kontaktzeiten (entspricht etwa der Semesterwochenstundenzahl),
  • Beschränkung des Pflichtanteils und Ausbau von Wahlpflicht- und Wahlbereichen,
  • Verankerung überfachlicher Studienanteile,
  • Erhöhung des Anteils von Lehrveranstaltungsformen wie Projekten, Integrierten Veranstaltungen, Seminaren, etc.; Verringerung des Anteils der Vorlesungen,
  • Einsatz erfolgreicher Regelungen zur Studienzeitverkürzung,
  • Beschränkung der Zahl der Prüfungssituationen,
  • Abbau formalistischer Regelungen.

Eine zentrale Rahmenprüfungsordnung, die uni-, landes- oder gar bundesweit die Prüfungsordnungen der einzelnen Studiengänge oder Disziplinen festschreibt, lehnt die Reformfraktion ab. Der Gestaltungsspielraum der Fachbereiche oder Gemeinsamen Kommissionen bei der Erstellung von Studien- und Prüfungsordnungen muß mit den o. g. Einschränkungen erhalten bleiben.

Frank Bucher


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