Hypothesen und Handwerkszeug

Die Arbeitsverteilung liegt den Bienen in den Genen

Können Sie sich eigentlich vorstellen, wieviel Bienen in einem Bienenstock leben? Keine leichte Frage, wenn man nicht zufällig Imker ist oder sich wissenschaftlich mit Bienen beschäftigt. Die Antwort lautet: Es sind in der Regel zwischen 40000 und 60000. Ein Bienenkenner, der sich nicht nur mit der Größe eines Bienenstocks, sondern auch mit dem Verhalten der kleinen Insektenwesen selbst auskennt, ist Robert Page, der als Professor für Entomologie (Insektenkunde) an der University of California in Davis lehrt und forscht.

Bienen: Sie weisen offenbar Verhaltensweisen auf, die von ihren Genen bestimmt werden
Als ihm im vergangenen Jahr ein Alexander-von-Humboldt-Stipendium verliehen wurde, entschloß er sich, den damit verbundenen Aufenthalt an der TU Berlin zu verbringen. Von Januar bis Dezember dieses Jahres untersuchte er hier gemeinsam mit seinen Gastgebern, den Biologie-Professoren und Bienen-Experten Joachim Erber und Robin Moritz, das Verhalten von Bienen - ein wissenschaftlich sehr reizvolles Thema, denn das gesellschaftliche Leben dieser Insekten ist noch lange nicht vollständig erforscht.

Nicht alle Arbeitsbienen eines Volkes sind beispielsweise identische Lebewesen, die sich gleich verhalten. Arbeitsbienen etwa spezialisieren sich, was ihr Sammelverhalten angeht: Einige sammeln nur Pollen, andere nur Nektar, andere von beidem etwas. Insektenforscher Robert Page hatte bereits früher in der Wissenschaftsgemeinde Aufsehen erregt, als er nachweisen konnte, daß es im Erbgut von Bienen genetische Unterschiede gibt, die für das unterschiedliche Sammelverhalten verantwortlich sind. Mit dieser Entdeckung konnte er aber noch nicht erklären, wie diese genetische Information in konkretes Verhalten umgesetzt wird.

Robert Page formulierte dazu folgende Hypothese: "Welche Rolle eine Biene in der Arbeitsverteilung einnimmt, wird durch Unterschiede in der Empfindlichkeit für Sinnesreize bestimmt, die von Pollen, Nektar oder Wasser ausgehen. Und diese Empfindlichkeit ist genetisch festgelegt."

Gelegenheit dieser Vermutung nachzugehen, ergab sich für Robert Page, als ihm die Alexander-von-Humboldt-Stiftung ein Stipendium für einen Forschungsaufenthalt in Deutschland verlieh. Das nutzte er, um sein Know-how mit dem der Bienenexperten der TU Berlin, dem Neurobiologen Joachim Erber und dem Genetiker Robin Moritz, zusammenzubringen. Mit Hilfe der beiden TU-Wissenschaftler konnte Page unter kontrollierten Laborbedingungen an lebenden Bienen erforschen, ob es tatsächlich individuell unterschiedliche Empfindlichkeiten für die verschiedenen Nahrungsmittel gibt.

GENE UND GESELLSCHAFT

Sie untersuchten rund 1 000 Bienen und ihre Reaktionen auf Futterreize (v. l.n.r.): Neurobiologe Joachim Erber, Genetiker Robin Moritz und ihr amerikanischer Gast, Verhaltensforscher Robert Page
"Robert Page brachte die Hypothese mit, und wir hatten das Handwerkszeug", erläutert Gastgeber Erber, der bereits seit Jahren Untersuchungen an Bienen durchführt und mit dem Hirn der kleinen Insekten gut vertraut ist. Gemeinsam untersuchten sie rund 1000 Bienen und beobachteten den Zusammenhang zwischen genetischer Anlage und ihrer Reaktion auf verschiedene Futterreize. Das Ergebnis: Die Hypothese von Robert Page konnte nicht widerlegt werden. Es scheint also, daß die drei Wissenschaftler ein soziales Verhalten gefunden haben, das sie nun von der Ebene der Erbinformation bis zur Ebene der Bienengesellschaft beschreiben können: Von den Genen, über die Vorgänge in den Neuronen des Gehirns, über das individuelle Verhalten einer Biene bis hin zu einem funktionierenden Bienenstaat aus bis zu 60000 einzelnen Lebewesen.

Das Faszinierende an dieser länder- und fächerübergreifenden Zusammenarbeit, so Joachim Erber, "ist, daß sehr unterschiedliche Denkweisen zusammenkommen". Denn Genetiker und Verhaltensforscher betrachten normalerweise große Bevölkerungszahlen und die Abfolge von Generationen, während Neurobiologen üblicherweise einzelne Zellen untersuchen und Vorgänge messen, die im Bereich von Millisekunden ablaufen. Außerdem, so Erber, gehe man einer sehr interessanten und grundsätzlichen Frage nach, nämlich "Wie organisiert man viele kleine stupide Automaten so, daß sie intelligente Dinge tun?" Eine Fragestellung, deren Antworten offensichtlich nicht nur für Verhaltensforscher interessant sind: Auch Informatiker haben, etwa bei Parallelcomputern, ähnliche Fragen.

René Schönfeldt


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