Mathematik im Sportzentrum

Lineare Algebra kann man auch auf dem Lande lernen - Die Idee des Lindow-Projekts wird wiederbelebt

Die Idee ist einleuchtend: Während des Semesters in Vorlesungen und Seminaren pauken und danach eine Woche aufs Land gehen, mit Lernenden und Lehrenden, um den Stoff zu wiederholen und zu vertiefen. Diesen Ansatz für eine wirkungsvolle Lehre hatte Mathematik-Professor Udo Simon schon einmal verwirklicht, als er zwischen 1992 und 1994 das sogenannte Lindow-Projekt ins Leben rief, ein Kompaktseminar auf dem Land, in dem Mathematik-Veranstaltungen des Grundstudiums in Ruhe und mit Konzentration fortgeführt wurden. Eine Neuauflage des Projekts, das aus finanziellen Gründen eingestellt wurde, gab es in diesem Oktober - allerdings nicht mehr in Lindow, sondern in einem Sportleistungszentrum im Brandenburgischen Kienbaum. Was auf dem Programm stand und wie das Projekt organisiert und finanziert wurde, beschreibt Maike Henningsen, eine der Teilnehmerinnen:

Das Sportleistungszentrum in Kienbaum - zwischen Berlin und Frankfurt/Oder gelegen - ist eher durch Veranstaltungen wie "Jugend trainiert für Olympia" oder die Austragung von diversen Sportwettkämpfen bekannt. "Jugend trainiert fürs Studium" hieß es dagegen im Oktober, als ein Kompaktseminar für angehende TU-Mathematikerinnen und -Mathematiker stattfand. Gekommen waren fast alle Beteiligten der zweisemestrigen Grundstudiumsveranstaltung "Lineare Algebra", das heißt ca. 50 Studierende, zusammen mit sieben Tutoren und Tutorinnen einschließlich Assistentin und Professor.

In kleinen Gruppen von sechs bis acht Studierenden konnten wir vom 6. bis 11. Oktober unsere Kenntnisse in Linearer Algebra festigen, vertiefen oder erweitern. Dazu nutzten wir jeweils drei Stunden vormittags und nachmittags für Vorträge und deren Vorbereitung sowie Diskussionen. Ein wichtiges Ziel des Seminars war es, sich Fähigkeiten anzueignen, die über das rein Fachliche hinausgehen, wie zum Beispiel Kommunikation im Team und die Beherrschung typisch mathematischer Argumentationsweisen.

SELBSTBETEILIGUNG

Im Gegensatz zu früheren ähnlichen Kompaktseminar - dem sogenannten Lindow-Projekt - gab es diesmal keine anderen Organisatoren außer Professor Dr. Udo Simon. Daher war die Beteiligung an der Organisation Vorbedingung für alle Interessierten.

Eine weitere Neuerung war, daß die Studierenden die Kosten für Unterkunft und Verpflegung - knapp 60 DM pro Tag und Person - komplett selbst tragen mußten. Darin enthalten waren unter anderem die Seminarräume und die Nutzung der hervorragenden Sportanlagen (eine Sporthalle stand z. B. ganz zu unserer Verfügung). Professor Simon gelang es, für neun Studierende einen finanziellen Zuschuß vom Verein der Freunde der TU Berlin zu erhalten. Außerdem finanzierte die Hans-Böckler-Stiftung die Reise- und Aufenthaltskosten für vier Tutoren. Für die Assistentin und die Tutorin, die die Lehrveranstaltung Lineare Algebra im vergangenen Semester betreut hatten, finanzierte der Fachbereich die Reise über Gastdozentenmittel, da für beide ihr TU-Vertragsverhältnis bereits beendet war.

Außerhalb des mathematischen Programms erfuhren wir Interessantes über berufliche Werdegänge von Mathematikern und Mathematikerinnen. Dazu waren zwei Berufspraktiker eingeladen worden: eine FH-Professorin und ein Diplom-Mathematiker, der als Softwareentwickler arbeitet. Darüber hinaus gab es einen Informationsvormittag über Auslandsaufenthalte mit dem ERASMUS-Programm und zahlreiche Informationen zum weiteren Verlauf des Studiums. Mit einer großen Abschlußfete am letzten Abend wurde außerdem die soziale Kommunikation gefördert, die sicherlich die Studienmotivation und damit auch die Chancen, das Studium erfolgreich zu beenden, erhöht.

FORTSETZUNG FOLGT

Teilnehmer des ersten Kienbaum-Seminars planen jetzt, im nächsten Sommer eine ähnliche Fahrt anzubieten. Daran sollen dann Studierende teilnehmen, die derzeit noch die Lehrveranstaltung in Linearer Algebra besuchen. Da das Kompaktseminar in Zukunft vollständig von den Studierenden und früheren Seminarteilnehmern organisiert werden soll, besteht die Hoffnung, daß das Projekt die Sparmaßnahmen der TU überleben wird.

Maike Henningsen / rs


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