Profilbildung der Forschung

Wie kommt die Uni zu Forschungsschwerpunkten? - Einige Standpunkte der TU-Reformfraktion

Wie die Forschung an der TU Berlin in Zukunft aussehen soll, ist ein derzeit heiß diskutiertes Thema. Wo soll die Technische Universität zum Beispiel ihre Schwerpunkte setzen? Eine übereilte Antwort auf diese Frage - sozusagen aus dem Stand heraus - sollte man vermeiden. Wichtig ist ein vernünftiges Verfahren, um mögliche Schwerpunkte im Gespräch mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zu bestimmen. Das betonen Kuratoriums-Mitglied Harald Kolrep und sein Stellvertreter Frank Reitzig. Beide sind Mitglieder der Mittelbau-Initiative und der TU-Reformfraktion und schreiben im folgenden Beitrag, wie ein solches Vorgehen aussehen kann. Ihren Ausführungen liegen die "Hochschulpolitischen Leitlinien" zugrunde, die die TU-Reformfraktion kürzlich vorgelegt hat.

"Profilbildung sollte sich an Leitlinien orientieren, die Raum lassen für Weiterentwicklungen"

Ein zentraler Forschungsgegenstand an einer Technischen Universität ist ohne Zweifel die Technikentwicklung. Eine Technische Universität versteht Technikentwicklung gleichermaßen als technischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Entwicklungsprozeß und gestaltet sie in diesem Sinne als eine Einheit. Die Profilbildung in der Forschung an der Technischen Universität Berlin sollte sich an Leitlinien orientieren, die Raum lassen für dynamische Weiterentwicklungen der Forschungsschwerpunkte. Jeder Versuch, aus dem Stand ein Profil der TU Berlin zu zeichnen, würde ihre Entwicklungsfähigkeit hemmen und die Anpassung an die rasanten Entwicklungen in Wissenschaft und Gesellschaft behindern. Niemandem, am wenigsten den betroffenen Fächern, ist damit geholfen, wenn arbiträr Disziplinen zu Kernbereichen deklariert und damit diese und die Universität als Ganzes zur Erstarrung verurteilt werden.

Die Reformfraktion hat in ihrem Leitlinienpapier ein Vorgehen vorgeschlagen, durch welches die Angehörigen der TU Berlin dazu aufgefordert werden, im Rahmen des - zugegeben z. Z. dramatisch verengten - Finanzrahmens Schwerpunkte zu entwickeln, zu denen sie in Forschung und Lehre beitragen. Die vorgeschlagenen Schwerpunkte werden anhand eines transparenten und allen Hochschulangehörigen bekannten Kriterienkatalogs geprüft. Instrumente zur Unterstützung der Schwerpunkte sind angesichts der finanziellen Engpässe nicht sehr vielfältig: Bevorzugte Berücksichtigung der beteiligten Fachgebiete bei der Wiederzuweisung von Stellen und - im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten - eine zeitlich begrenzte Anschubfinanzierung durch TU-interne Mittelzuweisungen.

Die vorgeschlagenen Kriterien umfassen inhaltliche wie organisatorische Merkmale von möglichen Forschungsschwerpunkten. Wissenschaftliche Qualität ist selbstverständlich allererstes Kriterium und braucht hier nicht weiter ausgeführt werden. Daneben sollen Schwerpunkte an ihrem Problemlösungspotential gemessen werden, d. h. an der Aussicht, regionale oder globale, technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme einer Lösung näherzubringen. Dies bedeutet keineswegs eine Ausrichtung auf schlichte Anwendungsforschung, muß doch Grundlagenforschung ein unverzichtbares Fundament sein, für die spätere Umsetzung in Anwendungen. Die Beteiligung mehrerer Fächer sowie deren echte Integration ist ein weiteres Kriterium. Vorarbeiten und Drittmittelpotential sind klassische und seit langem bewährte Kriterien, die hier übernommen werden. Das Verhältnis zu anderen Forschungseinrichtungen sollte ebenfalls betrachtet werden, also die Frage, welche Chancen die TU Berlin bei Einrichtung eines Schwerpunktes in Konkurrenz zu anderen Einrichtungen hat oder ob Kooperationen bestehen oder in Aussicht sind. Letztes, aber nicht unwichtigstes Kriterium ist die Verzahnung der Forschung mit der Lehre und der Nachwuchsförderung. Hier sind auch längerfristige Konzepte für die Integration von Studierenden im Rahmen von Studien- und Abschlußarbeiten sowie für eigenverantwortliche Forschung von wissenschaftlichen Mitarbeitern gefragt.

Durch das vorgeschlagene Vorgehen werden Initiativen gefördert und Entwicklungspotentiale unterstützt. Die zeitliche Begrenzung der finanziellen Unterstützung schafft den Freiraum um einerseits weniger erfolgreiche Initiativen ohne Schaden für die Universität einzustellen. Erfolgreiche Initiativen werden, so wird vorausgesetzt, schon nach einigen Jahren keine finanzielle Unterstützung mehr benötigen. Andererseits kann die TU Berlin mit den freiwerdenden Mitteln jederzeit neue Initiativen berücksichtigen. Auf diese Weise wird die Grundlage geschaffen für eine anpassungsfähige und moderne Schwerpunktbildung an der Technischen Universität.

Harald Kolrep und Frank Reitzig


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