Universität in der Krise?

Anmerkungen zum Positionspapier der sieben TU-Professoren - Von Karl-Hermann Hübler



Die Stellungnahme der sieben Professoren zu mindestens zwölf Aspekten der Situation an der TU Berlin in "TU intern" vom Januar 1996 ist deshalb zu begrüßen, weil mit dieser Stellungnahme der Versuch unternommen wird, über die "Klagemauer" der Mittelkürzungen hinaus - die man so kaum noch hören und ertragen kann, weil keine neuen Argumente gebracht, die alten verbraucht und offensichtlich mit diesen Dritte nicht zu überzeugen sind - strukturelle Erscheinungen der Universität genannt werden, die von grundsätzlicher Bedeutung sein könnten.

Betroffen bin ich indes, wenn ich von der Macht- und Einflußlosigkeit der Professoren lese und die Schuld zumeist bei den anderen gesucht werden, die guten alten Zeiten beschworen (und zugleich diese Beschwörung dementiert wird) und die Unvernunft der Studenten beklagt wird.

BEMÜHUNGEN ZUR SELBSTBEDIENUNG

Die "extreme Politisierung" wird als eine wichtige Ursache der derzeitigen TU-Krise identifiziert. Meinen langjährigen Beobachtungen zufolge sind damit indes keine hochschulpolitischen Auseinandersetzungen gemeint, sondern die eher laienspielerhaften und wenig professionellen Versuche und Bemühungen der genannten zwei Gruppen (oder sind es vier oder fünf Gruppen?) zur Selbstbedienung. Bestimmte Gruppierungen in dieser Universität nennen die Bemühungen zur Erhaltung in vielen Jahren gewachsener (und jetzt überholter) Strukturen und gigantischer Disparitäten in der Ausstattung und Aufgabenerfüllung, die alle Hochschulentwicklungspläne (HEP) und Strukturreformen unbeschadet überstanden haben, Politik.

Pseudorationale und -demokratische Entscheidungsverfahren wie z. B. HEP III, wo über die grundsätzlichen Annahmen der Aufteilung der Studienplätze auf Fächergruppen "der Segen" vorab insgeheim verteilt wird und die nachfolgenden Diskussionen allenfalls noch Fliegenbeinzählerei sind, zeigen die Raffinesse der Strategie dieser Strukturkonservierung auf.

KEINE NACHHALTIGEN KONSEQUENZEN

Die Hauptschwäche der derzeitigen TU-Strukturen und Entscheidungsverfahren sind nicht die in dem Positionspapier der sieben Professoren in den Punkten 1 bis 11 genannten Sachverhalte, sondern die Tatsache, daß die in den Entscheidungsgremien der Universität Mitwirkenden im nachhinein, also wenn die Wahlperiode beendet ist, keine "nachhaltige" Verantwortung für ihr Tun tragen. Selbst bei den unsinnigsten Anträgen haben die Antragsteller beim Vollzug oder beim Scheitern im Regelfall persönliche Konsequenzen nicht zu ziehen: und das gilt für alle Gremien und auch für alle Gruppen, auch für Professoren auf beiden Seiten des Akademischen Senats! Auch wegen dieser mangelnden Verpflichtung ist eben diese sogenannte Politik in der Universität nicht zu vergleichen mit anderen Politikbereichen, wo die Politiker zu haften haben (in welcher Form auch immer).

Die Haushaltslage des Landes Berlin - und die anderer öffentlicher Körperschaften - wird für die Universitäten Reformen oder Einschnitte an "Haupt und Gliedern" zur Folge haben: auch deshalb, weil sich fast alle für die Universität relevanten Rahmenbedingungen in Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur, in der internationalen und der geografischen Situation geändert haben. Diese Einschnitte werden für die TU Berlin weiter scheibchenweise nach der Rasenmähermethode erfolgen, ohne daß die Universität von sich aus in der Lage ist, fachlich-inhaltliche und zukunftsweisende Schwerpunkte und zeitliche Prioritäten zu nennen und über Posterioritäten zu entscheiden.

Ich denke, auch deshalb sind die zwölf Problembereiche, die in dem Positionspapier genannt sind, eher Folgewirkungen der Strukturkonservierung der TU Berlin als isoliert zu betrachtende und zu lösende und in die eigenverantwortliche Zukunftsgestaltung weisende Probleme.

SECHS BEDEUTENDERE PROBLEME

Mir fallen aus dem Stand sechs Probleme dieser Universität ein, deren finale Diskussion für die mittelfristige Entwicklung der Universität bedeutsamer erscheinen als die zwölf Punkte in dem Positionspapier:

  1. Welche grundsätzliche Einstellung besteht bei den Entscheidungsträgern der Universität zum Konflikt "überlastete NC-Studiengänge" und nicht ausgelastete Studiengänge in einigen Natur- und Ingenieurwissenschaften? Wie lange soll und kann die Universität hier gesellschaftsverträglich nicht hinreichend genutzte Lehrkapazitäten vorhalten?
  2. Wenn diese nicht nachgefragten Studiengänge denn zentraler Bestandteil der TU Berlin sind (der Nachweis wäre dann jeweils sehr detailliert zu erbringen!): was wurde kurzfristig intern getan, um die Nachfrage zu verbessern? Welche Mechanismen zur Erfolgskontrolle sollten kurzfristig entscheidungsrelevant im Falle der erforderlichen Einstellung des jeweiligen Studienganges eingesetzt werden?
  3. Nach welchen Kriterien wird die Universität Doppel- und Dreifachangebote in der Region Berlin-Brandenburg in bestimmten naturwissenschaftlichen und teuren Studiengängen bewerten und deren Einstellung forcieren? Gibt es dazu nachweisliche Verflechtungsmatrizen und kurzfristig Entscheidungen über Schwerpunktbildungen? Gibt es dazu Kostenrechnungen und Prognosen?
  4. In welcher Weise wird die Universität die von der Politik formulierten wirtschaftlichen Entwicklungsziele für die Region Brandenburg-Berlin durch Schwerpunktbildung, z. B. in den Ingenieurwissenschaften, unterstützen (z. B. Medizintechnik, Biotechnologie) und dafür kostenaufwendige und nicht "standortgemäße" Studiengänge einstellen (die zumeist auch ohne Nachfrage sind) und Forschungsprojekte nicht mehr fortführen?
  5. Inwieweit wird die Universität künftig die Eingrenzung der beinahe beliebigen Forschungsvielfalt durch Schwerpunktbildung und Ausrichtung auf neue Forschungs- und Ausbildungsthemen nachdrücklich implementieren (z. B. stärkere Schwerpunktausrichtungen bei Berufungen auf gesamtuniversitäre Interessen, Verteilung von Investitionsmitteln, Zuweisung von Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter im Sinne der ursprünglichen FNK-Konzepte zur Forschungsintensivierung)?
  6. Wann wird in der Universität ein modernes kostenbewußtes Managementssystem, ein transparentes Raum- und Grundstücksmanagement und vorab zunächst ein Universitätsinformationssystem eingerichtet, mit dem es überhaupt erst möglich wird, Transparenz herzustellen und sachkundige Entscheidungen zu treffen.

Nur aus Platzgründen verzichte ich, die Liste dieser zentralen Fragen noch zu verlängern. Sie in einem angemessenen Zeitrahmen bis zu Ende zu diskutieren und über sie zu entscheiden, könnte einen Großteil der nachrangigen Probleme lösen helfen, die in dem Positionspapier der sieben Kollegen beschrieben wurde. Zugleich könnte diese inhaltliche Diskussion dazu beitragen, die in der Tat vorhandenen anachronistischen Fraktionsbildungen "auszutrocknen". Unabhängig davon sollte man auf die Drohung mit dem Staatskommissar, wie im letzten Satz des Positionspapiers angedeutet, verzichten; er könnte auch nur das ausführen, was ihm andere einflüstern. Wer indes die einzelnen bewährten Repräsentanten der TU Berlin sein sollen, bleibt rätselhaft. Hoffentlich nicht die Gestrigen!

Prof. Dr. Karl-Hermann Hübler, Fachbereich 7 Umwelt und Gesellschaft, bis 1995 Vorsitzender der Kommission für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs (FNK)


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