TU intern - Dezember 1997 - Wissenschaft

Demontieren statt deponieren

An der Technischen Universität nimmt die Demontagefabrik Gestalt an
Am Sonderforschungsbereich 281 untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie Produkte am Ende ihrer Lebenszeit sachgerecht demontiert werden, um möglichst viele ihrer Bauteile wiederzuverwenden. Das betrifft Autos, Waschmaschinen und zahlreiche andere Produkte
Seit Januar 1995 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft den Sonderforschungsbereich (Sfb) 281 "Demontagefabriken zur Rückgewinnung von Ressourcen in Produkt- und Materialkreisläufen" an der TU Berlin. Wissenschaftler aus sechs TU-Instituten sowie Architekten der Hochschule der Künste untersuchen hier, wie Produkte am Ende ihrer Lebenszeit sachgerecht demontiert werden, um möglichst viele ihrer Bauteile wiederzuverwenden. Die Begutachtung nach den ersten drei Jahren fand kürzlich in Berlin statt und lieferte ein positives Ergebnis: Der Sonderforschungsbereich wird weitere drei Jahre gefördert.

Die Themen, die die Wissenschaftler des Sfb 281 bearbeiten, sind zahlreich. Sie entwickeln beispielsweise neue Werkzeuge, die speziell für die Demontage geeignet sind. Aber auch Verfahren zur Demontage sowie Planungs- und Steuerungsmethoden von Demontagesystemen. Darüber hinaus beschäftigen sie sich mit angepaßten Logistiksystemen, und sie überlegen, wie zukünftige Fabrikbauten aussehen sollen, in denen demontiert wird. Aber die Demontagefachleute setzen sich nicht nur damit auseinander, was am Ende eines Produktlebens passiert: Sie bewerten auch die Recyclingfreundlichkeit von Produkten und suchen nach Wegen, neue Produkte von vornherein demontagefreundlich zu gestalten. Das soll auch dadurch verwirklicht werden, daß Experten aus Konstruktion und Produktion verstärkt mit Recyclingfachleuten zusammenarbeiten und durch geeignete informationstechnische Werkzeuge und Infrastrukturen unterstützt werden. Mit Hilfe von Datenbanken werden zum Beispiel demontagerelevante Informationen gesammelt.

Ein Großteil der Sfb-Forschungen befaßte sich in den vergangenen drei Jahren mit der Entwicklung von Methoden, Verfahren und Software. Handgreiflicher hingegen ist der im Sfb entwickelte "Entschrauber". Mit seiner Hilfe ist es möglich, ohne Werkzeugwechsel verschiedenste Schrauben zu lösen, die sich in Art und Größe unterscheiden. Er ist sowohl für den Robotereinsatz als auch an manuellen Arbeitsplätzen verwendbar. Nach Designstudien der Kunsthochschule Weißensee wollen die Demontagefachleute jetzt gemeinsam mit einem Werkzeughersteller die Serienfertigung eines derartigen Werkzeuges vorbereiten. Ein ebenfalls sehr anschauliches Ergebnis des Sfb ist der Prototyp eines neuartigen "Spannsystems". Es hält auch schwere Geräte wie Waschmaschinen in einer stabilen Lage und kann sie zum Demontieren in nahezu jeder beliebigen Lage positionieren. Demontage bedeutet jedoch nicht immer, daß ein Altprodukt vollständig in seine Einzelteile zerlegt werden muß. Häufig reicht es aus, schnell Zugang zu wertvollen Bauteilen oder Materialien zu schaffen, um diese zu verwenden, z. B. kann das Gehäuse einer Waschmaschine an den Seiten aufgetrennt werden, um Motor, Pumpe und Trommel freizulegen. Dafür untersuchten die Sfb-Mitarbeiter sowohl konventionelle Verfahren, wie Bohren oder Trennschleifen als auch neuere Verfahren wie das Wasser- oder Plasmastrahlen.

NICHT IMMER NUR ZERLEGEN

Weil es aber nicht ausreicht, neue Werkzeuge und Demontageverfahren zu entwickeln, beschäftigen sich die Sfb-Mitarbeiter auch damit, wie ein Gebäude für eine Demontagefabrik aussehen könnte und wo es stehen sollte. Für das Bundesgebiet und die Region Berlin/Brandenburg wurden verschiedene Standorte analysiert. Ergebnis waren unter anderem eine integrierte Montage/Demontagefabrik an einem zentralen Standort, verteilte dezentrale Fabriken und modulare, mobile "Demontagezellen".

Eine komplette Demontagefabrik kann der Sonderforschungsbereich jedoch nicht errichten - statt dessen wird in den nächsten drei Jahren ein Pilot-Demontagesystem entstehen. In dem System, das am Produktionstechnischen Zentrum am Spreebogen aufgebaut werden soll, werden die bisher erarbeiteten Ergebnisse anschaulich zusammengeführt. Hier werden die Forscher das Zusammenspiel der entwickelten Komponenten erproben und beispielsweise testen, wie automatisierte und manuelle Arbeitsstationen zusammenarbeiten und mit der innerbetrieblichen Logistik verbunden werden.

"PRODUKTION VON NUTZEN"

Trotz ihrer zukunftsweisenden Arbeiten sind sich die Mitglieder des Sfb darüber im klaren, daß es nicht nur um die technische Machbarkeit der Demontage geht. Die heutige Produktionsweise setzt noch immer auf die permanente Herstellung neuer Produkte; die Wiederverwendung führt noch ein Schattendasein. Deshalb, so das Credo der Demontageexperten, gilt es mehr denn je, eine Gesamtstrategie für den öbergang zur rohstoffsparenden Wirtschaftsweise zu schaffen. Anstatt die Produktion materieller Güter zu erhöhen, ist die "Produktion von Nutzen" zu maximieren.

Der am Sonderforschungsbereich entwickelte "Entschrauber". Er kann ohne Werkzeugwechsel verschiedenste Schrauben lösen Als erfolgreiches Beispiel verweisen die Sfb-Experten auf den Aufzughersteller Schindler: Nur noch ein Drittel des Umsatzes wird dort über den Verkauf von Aufzügen und Rolltreppen erzielt; der Großteil entfällt auf den Verkauf der Dienstleistung "horizontaler Transport" durch das Vermieten der Produkte in Verbindung mit Wartungsverträgen. Ähnlich sieht es beim Kopiererhersteller Rank Xerox aus. Neben dem Produkt "Kopiergeräte" wird auch die Dienstleistung "Informationsvervielfältigung" verkauft, ebenfalls über Vermietung von Geräten, die gewartet und betreut werden.

Wie kann man dieses Modell übertragen, so daß es auch bei Waschmaschinen, Möbeln und anderen Produkten funktioniert? Es sollte ähnlich aussehen, so die Antwort der Wissenschaftler. Die Unternehmen müßten ihren Gewinn nicht mehr aus dem Verkauf von Waren, sondern von Dienstleistungen schöpfen. Dann hätten sie ein Interesse an langlebigen Gütern und an der kostengünstigen Demontage und Verwendung gebrauchter, aber noch brauchbarer Komponenten. Denn: Je öfter sie ein Produkt nutzen können, desto höher wird ihr Gewinn. Um zu zeigen, daß die Demontage für die damit zusammenhängenden Unternehmen ein lukratives Geschäftsfeld sein kann, werden am Sonderforschungsbereich in Zukunft auch volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche und umwelttechnische Kompetenzen aus der TU Berlin einbezogen. Untersuchungen der Funktionsweise von Märkten für Demontageerzeugnisse, Prozeßkostenrechnungen und frühzeitige Aussagen zur Umweltverträglichkeit sollen kreislaufwirtschaftliche Potentiale von Demontagefabriken aufzeigen.

Mit den Leistungen der ersten drei Forschungsjahre sind die Wissenschaftler zufrieden: Die TU Berlin, so ihre Einschätzung, konnte sich damit eine führende Position in der Forschung auf dem Gebiet der Demontage erarbeiten. Dies zeige nicht nur die Weiterbewilligung durch die DFG, sondern auch die Organisation eines Doktorandenkolloquiums für wissenschaftliche Mitarbeiter aus ganz Deutschland sowie eine internationale Konferenz von Produktionstechnikern zum Thema "Life Cycle Networks", die in diesem Jahr am Produktionstechnischen Zentrum stattfand.

Katrin Müller/rs


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