TU intern - Dezember 1997 - Wissenschaft

Dünn ist nicht dünn genug

TU-Wissenschaftler wollen Solarzellen dünner und preiswerter machen

Wer aus Licht Strom machen will, braucht Solarzellen. Die Exemplare, die man von Taschenrechnern, Hausdächern oder Parkscheinautomaten kennt, bestehen in der Regel aus einer Siliziumscheibe, die gerade mal einen halben Millimeter dick ist. Weil das hochreine Silizium aber teuer ist, versuchen Forscher Solarzellen zu entwickeln, die mit einer noch dünneren Schicht auskommen. Wie solch eine Dünnschicht-Solarzelle aussehen kann und wie sie den Wirkungsgrad herkömmlicher Solarzellen erreichen könnte, daran forschen derzeit Wissenschaftler am TU-Institut für Mikroelektronik und Festkörperelektronik.

Häufig scheitert der Einsatz von Solarzellen am hohen Preis. Ein Grund dafür ist die Halbleiterschicht, in der die Energie des Lichts in elektrischen Strom umgewandelt wird; sie wird aus hochreinem und daher teurem Silizium hergestellt. Der Ansatz der TU-Wissenschaftler um Professor Hans Günther Wagemann ist daher einleuchtend: Man verringert die Schichtdicke und spart Silizium. Der Haken an der Sache: Je dünner die Schicht, desto kürzer ist der Weg, den das Licht darin zurücklegen kann, und desto geringer ist der Strom, der dadurch erzeugt wird - der Wirkungsgrad sinkt.

Mit allerlei technischen Tricks und viel Experimentierarbeit versuchen Wissenschaftler deshalb, Dünnschicht-Solarzellen mit einem Wirkungsgrad zu entwickeln, der dem herkömmlicher Solarzellen entspricht. Das Bundesforschungsministerium sieht darin einen guten Ansatz und fördert mehrere Projekte dieser Art; das TU-Projekt beispielsweise drei Jahre lang mit rund zwei Millionen DM. Das Berliner Forscherteam hofft, daß der Preis der Solarzellen mit dieser Technik langfristig um etwa 40 Prozent gesenkt werden kann.

Im TU-Reinraumlabor in der Jebensstraße werden die dünnen Siliziumschichten auf Keramikträger "aufgewachsen". Später sollen sie dann zu funktionsfähigen Solarzellen weiterverarbeitet werden
Im Rahmen des Projekts stellen die TU-Halbleiterexperten seit knapp zwei Jahren in ihrem Reinraumlabor in der Jebensstraße, direkt hinter dem Bahnhof Zoo, Siliziumschichten für Solarzellen her. Sie sind statt einem halben Millimeter (500 Mikrometer) nur noch rund 50 Mikrometer dick - genauso dick wie ein menschliches Haar. Bei solch dünnen Siliziumschichten liegen gerade noch 100000 Atomlagen übereinander.

Die Siliziumschichten werden mit Hilfe der sogenannten Gasphasen-Expitaxie hergestellt. Dazu benutzen die Forscher einen speziellen Ofen, in dem auch andere Halbleiterbauelemente, etwa für Computer hergestellt werden. In den Ofen, in dem sich ein mehrere hundert Grad heißes, siliziumhaltiges Gas (Dichlorsilan - SiH2Cl2) befindet, geben sie eine flache Scheibe, die als Unterlage für die dünne Siliziumschicht dient - das sogenannte Substrat. Die dünne Schicht entsteht dadurch, daß sich Siliziumatome auf der Unterlage niederschlagen (ähnlich dem Morgentau auf Blättern) und dabei kleine Kristallformationen bilden. Die Kristalle, die auf diese Weise auf dem Substrat wachsen, ergeben dann die gewünschte dünne Schicht.

NADELN MESSEN BERGE UND TÄLER

Diese Kristallschichten untersuchen die Wissenschaftler mit unterschiedlichen Methoden: Zum Beispiel mit der Elektronenmikroskopie. Oder mit der dünnen Nadel eines Oberflächenprofilmeßgerätes, die die winzigen Berge und Täler der Schichtoberfläche abtastet und mikrometergenau bestimmt. Mit der Messung des sogenannten Ausbreitungswiderstandes erfahren sie Details über die Verunreinigung mit Fremdatomen. Aus all diesen Analysen ziehen siedann Schlüsse, wie der Herstellungsprozeß weiter verbessert werden kann.

Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist das Substrat, jenes Material, auf dem die Siliziumschicht wächst. Während einige Wissenschaftler Glas als Unterlage bevorzugen, konzentriert man sich in anderen Forschergruppen auf Graphit oder auf Scheiben aus unreinem und damit preiswerten Siliziumpulver. Aber Glas läßt sich nur bei Temperaturen unter 600 ßC behandeln, weil es sonst weich wird. Graphit hat die unangenehme Eigenschaft, daß es das Silizium verunreinigt und dessen elektrischen Eigenschaften verschlechtert. Und bei den Siliziumpulver-Scheiben wird die Welligkeit der Oberfläche und die mangelnde Reinheit zum Problem.

KERAMIK IST TRUMPF

Das TU-Team setzt deshalb auf Keramikwerkstoffe. Sie sind in großen Mengen preiswert herzustellen, können auch bei Temperaturen über 1000 ßC verarbeitet werden und haben weniger störende Einflüsse. Seit das Projekt Anfang 1996 seinen Betrieb aufnahm, probiert das TU-Team verschiedene Keramikwerkstoffe aus. Als besonders interessant hat sich Aluminiumoxid (Al2O3) erwiesen. "Dieses Keramikmaterial bietet theoretisch zwar nicht die besten Voraussetzungen für das Schichtwachstum", erläutert Projektleiter Wagemann, "aber es ist sehr preiswert und deshalb interessant, denn unser Ziel ist langfristig eine preiswerte, marktfähige Herstellungsweise." Die TU-Forscher konzentrieren sich derzeit darauf, wie auf dem Aluminiumoxid Siliziumschichten wachsen, die eine gute Ausbeute der Lichtenergie erlauben.

Unter dem Elektronenmikroskop sehen die Siliziumschichten wie eng aneinander gestellte Säulen aus. Diese vom Substratboden nach oben wachsenden Kristalle haben bei den derzeitigen Versuchen einen Durchmesser von rund zwei Mikrometern. "Wir wollen die Substratoberfläche und das Aufwachsen so verbessern, daß die einzelnen Säulen bis zu 100 Mikrometer dick werden", beschreibt Projektleiter Wagemann das nächste Ziel. Denn je dicker die Kristallsäulen sind, desto leichter fällt es Elektronen, in der Siliziumschicht zu wandern - und das bedeutet einen hohen Wirkungsgrad. Viel Zeit und Kreativität nehmen die Experimente zur Vorbehandlung der Substratoberfläche ein. Beispielsweise testen die Forscher unterschiedliche Ofentemperaturen und deren Auswirkungen auf das Kristallwachstum. In Zukunft wollen sie außerdem untersuchen, wie gut man die Substratoberfläche mit Laserstrahlen oder mechanischem "Ritzen" strukturieren kann. Dadurch sollen geometrische Muster im Mikrometerbereich entstehen, die das Kristallwachstum positiv beeinflussen.

"LICHTFALLEN" REFLEKTIEREN

Ein weiterer Trick der Forscher: Um das Licht möglichst lange in der Siliziumschicht zu halten, konstruieren sie sogenannte "Lichtfallen-Strukturen" auf dem Substrat. Dadurch werden die einfallenden Lichtstrahlen so reflektiert, daß sie einen längeren Weg zurücklegen - und das erhöht den Wirkungsgrad.

Bis zum Projektende im Dezember 1998 werden die TU-Wissenschaftler noch viele Substrate bedampfen, analysieren und das Herstellungsverfahren weiterentwickeln. Bis dahin soll außerdem eine funktionsfähige Solarzelle entstehen. Sie wird zeigen, ob die Dünnschicht-Solarzellen die Konkurrenz mit den "dicken" Solarzellen aufnehmen können - nicht nur in puncto Kosten, sondern auch im Wirkungsgrad. Zu schlagen sind Werte von 15 Prozent bei herkömmlichen Solarzellen. In der verbleibenden Projektlaufzeit wird das wahrscheinlich nicht mehr möglich, so die Einschätzung der Wissenschaftler. Projektleiter Hans Günther Wagemann: "Wir wollen versuchen, an einen Wirkungsgrad von ungefähr zehn Prozent zu kommen."

René Schönfeldt / Matthias Nell


Hintergrund

FUNKTIONSWEISE: Will man mit den Siliziumschichten Solarstrom erzeugen, muß man sie zuvor gezielt mit verschiedenen Fremdatomen, z. B. Phosphor und Bor, bestücken ("dotieren"). Zwischen Schichten verschiedener Dotierung entsteht dann eine sogenannte Grenzschicht, die für die Stromentstehung wesentlich ist. Denn: Wenn Licht auf eine Solarzelle auftrifft, dringen die Photonen in das Silizium ein und erzeugen freie Ladungsträger (Elektronen oder Löcher), die sich im Inneren des Materials relativ frei bewegen können. Ohne Dotierung und Grenzschicht würde dieseBewegung ungerichtet bleiben; wegen der Grenzschicht kann ein Teil der erzeugten freien Ladungsträger einen gerichteten elektrischen Strom erzeugen.

WIRKUNGSGRAD: Der Wirkungsgrad einer Solarzelle ergibt sich aus dem Verhältnis von erzeugter elektrischer Leistung zur eingebrachten Leistung des Lichts. Die elektrische Leistung wird über den Strom und die Spannung berechnet, die man direkt an der Solarzelle messen kann. Die Leistung des Lichts stellen die Forscher beim Versuchsaufbau auf einen normierten Wert von 100 Milliwatt pro Quadratzentimeter ein. Der Quotient von gemessener elektrischer Leistung und Lichtleistung ergibt den Wirkungsgrad.

KOOPERATION: Bei der Analyse und Weiterverarbeitung der dünnen Siliziumschichten arbeiten die Wissenschaftler aus der Arbeitsgruppe von Hans Günther Wagemann mit mehreren Partnern innerhalb und außerhalb der TU Berlin zusammen: Institut für Nichtmetallische Werkstoffe (Prof. Helmut Schubert), Institut für Festkörperphysik (Prof. Dieter Bimberg), Zentraleinrichtung Elektronenmikroskopie (Priv.-Doz. Heinrich Helfmeier) sowie Hahn-Meitner-Institut Berlin (Prof. Walther Fuhs).


© 12/'97 TU-Pressestelle [ ]