FRAUEN

Von "mannlichem Mut" und "teutscher Ehre"

Nation, Krieg und Geschlechterordnung 1806-1815

Ein Beispiel für Männlichkeitsbilder in der Zeit der Befreiungskriege: "Abschied zweier freiwilliger Jäger von ihren Eltern" von Johann Friedrich Jügel

"Nation, Krieg und Geschlechterordnung in der Zeit der antinapoleonischen Erhebung Preußens, 1806-1815" lautet der Titel eines Forschungsprojekts am Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung am Fachbereich 1 Kommunikations- und Geschichtswissenschaften. Worum es dabei geht, beschreibt Dr. Karen Hagemann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum.

"Wer ist ein Mann?" fragte 1813 der Historiker und Publizist Ernst Moritz in einem zu seiner Zeit überaus populären Gedicht. Diese Frage beschäftigte nicht nur ihn, sondern auch seine gebildeten Zeitgenossen in einem für uns heute nicht mehr vorstellbaren Ausmaß. In den Jahren vor und während der Freiheitskriege 1813-1815, in die auch die Anfänge einer deutschen Nationalbewegung fallen, wurde die patriotisch-nationale Mobilisierung für den Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft eng verknüpft mit der Propagierung einer "wehrhaften Mannlichkeit". Darunter wurde allgemein die Bereitschaft und Fähigkeit eines Mannes verstanden, die "Freiheit des Vaterlandes" mit der Waffe in der Hand zu verteidigen und dabei sein Leben zu riskieren.

Zeitungen und Zeitschriften, Flugblätter und Broschüren, ebenso wie Lieder und Gedichte huldigten in der Zeit der Freiheitskriege geradezu einem "Männlichkeitsrausch". Denn ein neuer "patriotisch" gesinnter, "wehrbereiter" Mann war vonnöten, wenn mit einem "Volksheer" von Wehrpflichtigen erfolgreich ein "Nationalkrieg" gegen Frankreich geführt werden sollte. Um dem französischen Gegner mit seiner Grande Armée auf der Basis einer allgemeinen Volksbewaffnung gewachsen zu sein, mußte auch im monarchischen Preußen 1813 die Allgemeine Wehrpflicht eingeführt werden. Hierzu wurden erstmals breitere Schichten von Männern zum Waffendienst herangezogen, die vorher davon befreit waren, nicht nur Adelige, Staatsdiener sowie Bildungs- und Besitzbürger, sondern auch die männlichen Einwohner ganzer Landschaften und großer Städte. Diese Männer mußten für den Befreiungskampf gegen das napoleonische Frankreich mobilisiert werden. Entscheidendes Mittel hierzu war eine breite publizistische Kampagne für eine "patriotische wehrhafte Ermannung".

In der historischen Forschung zu den Jahren der antinapoleonischen Erhebung zwischen 1806 und 1815 hat dieses Phänomen bisher kaum Interesse gefunden. Mit dem Zusammenhang von Nation, Militär, Krieg und Männlichkeit beschäftigt sich seit Anfang diesen Jahres ein Forschungsprojekt, das am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin durchgeführt wird. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert das Projekt mit dem Titel "Nation, Krieg und Geschlechterordnung in der Zeit der antinapoleonischen Erhebung Preußens, 1806-1815" für zwei Jahre.

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht Preußen, das sich als Beispiel anbietet, da es nach der vernichtenden Niederlage gegen die Grande Armée 1806/07 zum Zentrum eines immer intensiver werdenden Diskurses über eine notwendige Formierung der Nation und Reformierung von Staat und Heer wurde, die in den Freiheitskriegen 1813-15 seinen Höhepunkt erreichte. In diesem Zusammenhang entstand ein neuer patriotisch-wehrhafter Männlichkeitsentwurf, in dessen Zentrum die Begriffe Ehre, Freiheitssinn, Frömmigkeit, Kraft, Mut, Patriotismus, Treue und Wehrhaftigkeit standen. Dieser Entwurf verband in seinen vielgestaltigen Ausformungen alte Werte preußischer Soldatenehre, adeliger Offizierstugend und christlich-bürgerlicher Ethik mit neuen Vorstellungen von empfindsam-heroischer Romantik und männlich-staatsbürgerlicher Partizipation. Er wurde als gottgewollt und naturgemäß legitimiert und beanspruchte damit universelle, ständeübergreifende Geltung.

In der Frühphase der deutschen Nationalbewegung wurde offenbar, so die zu überprüfende Hauptthese des Forschungsprojektes, erstmals ein nach allgemeiner Gültigkeit verlangendes Männlichkeitsbild geprägt, das den veränderten politischen und militärischen Anforderungen im entstehenden Nationalstaat entsprach. Es sicherte zugleich unter den aufkommenden Bedingungen einer "nationalen Staatsbürgergesellschaft" auch die männliche Vorherrschaft im Staat, denn die Staatsbürgerrechte wurden an den Wehrdienst gekoppelt. Da dieser nur Männern vorbehalten war, blieben Frauen langfristig aus der modernen Staatsbürgernation ausgeschlossen: Ihnen wurden keine politischen Rechte zugesprochen.

Karen Hagemann


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