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Sind Scientologen eine verfolgte Minderheit?

Professor Wolfgang Benz im Gespräch mit TU intern

Wolfgang Benz ist Leiter
des Zentrums für
Antisemitismusforschung in Berlin


Der offene Brief, der Anfang Januar als Anzeige in der "International Herald Tribune" erschien, war von 33 Prominenten unterzeichnet, unter anderem von den Medien-Stars Dustin Hoffman und Goldie Hawn, Mario Puzo und Constantin Costa-Gavras. Gerichtet war er an Bundeskanzler Helmut Kohl. Die Unterzeichner kritisierten mit harten Worten die Art, wie Mitglieder der Scientology-Kirche in der Bundesrepublik behandelt werden. Große Wellen schlug der Brief dadurch, daß er den Ausschluß von Scientologen aus dem öffentlichen Dienst und Boykotte von Filmen mit Scientology-Schauspielern mit dem verglich, was den Juden im III. Reich angetan wurde.

"Im Deutschland der 30er Jahre machte Hitler religiöse Intoleranz zur offiziellen Regierungspolitik. Juden wurden zuerst an den Rand gedrängt, dann von vielen Tätigkeiten ausgeschlossen, dann diffamiert und schließlich unsagbaren Schrecken ausgesetzt", heißt es in dem Brief. Und weiter: "In den 30er Jahren waren es die Juden. Heute sind es die Scientologen."

TU intern sprach mit TU-Professor Wolfgang Benz über die Scientologen und den umstrittenen Vergleich. Benz ist Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin und beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Ausgrenzung von Minderheiten.

Herr Benz, sind Scientologen heute in Deutschland eine verfolgte Minderheit?

Nein. Ich glaube, im heutigen Deutschland gibt es keine verfolgten Minderheiten. Es gibt vielleicht Minderheiten, die diskriminiert sind. Beispielsweise die Schwulen oder die Sinti und Roma. Ich würde die Scientologen aber eher zu Interessengruppen rechnen als zu Minderheiten.

Die Scientologen verstehen sich auch als Mitglieder einer Kirche ...

In ganz Europa wird ihnen offiziell der Status als religiöse Gemeinschaft mit dem Rechtsstatus einer Kirche bestritten. Wobei auch das noch kein Grund ist, Verfolgung zu konstatieren.

Halten Sie die Scientology-Organisation - wie vielfach angeführt wird - für eine Gruppierung mit kriminellen Machenschaften?

Sie werden als Gruppe eingestuft, deren demokratische Überzeugung nicht gewährleistet ist, und werden deshalb vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Außerdem unterstellt man den Scientologen, daß sie mit teilweise kriminellen Methoden an das Geld der wohlhabenden Bürger herankommen wollen - da gibt es eine ganze Menge von Beweisen und Verurteilungen. Und man hat Grund zur Vermutung, daß innerhalb dieser Gruppierung faschistoide Methoden gegenüber den Mitgliedern angewendet werden. Das stützt sich auf Zeugnisse von ehemaligen Scientologen.

Politiker wie der rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Johannes Gerster setzen sich dafür ein, daß Scientologen nicht in den Staatsdienst eingestellt werden. Das ist einer der Hauptkritikpunkte des offenen Briefes. Ist solch eine Maßnahme des Staates gegenüber den Scientologen gerechtfertigt?

Wenn hinlängliche Beweise vorliegen, daß es sich hier um eine faschistoide Organisation handelt, die mit kriminellen Methoden gegen Bürger aktiv wird, dann halte ich es für eine Präventivmaßnahme, daß diese Leute von staatlichen Stellen ausgeschlossen werden. Ich halte es für gerechtfertigt und für eine Aufgabe des Staates. Ich finde es unter diesen Voraussetzungen legitim, daß der Staat einen Scientologen nicht gerade als Regierungsrat in der Behörde für Inneres oder als Richter sehen möchte.

Die Scientology-Organisation wird außerdem vom Bundesamt für den Verfassungsschutz beobachtet.

Vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet zu werden, bedeutet weder einen wirtschaftlichen Nachteil, noch Verfolgung und kaum Diskriminierung. Deshalb gibt es überhaupt keinen Grund dafür - wie jetzt in Amerika -, aufzuschreien und falsche Parallelen zu ziehen. In der Bundesrepublik hat man nach den Erfahrungen mit der Weimarer Republik die Lehre gezogen, daß man alle demokratiefeindlichen Bestrebungen von Staats wegen unterbindet oder in ihren Aktivitäten behindert.

Die Unterzeichner des offenen Briefes kritisieren aber auch nichtstaatliche Maßnahmen gegen Scientologen, etwa Boykottversuche gegen Auftritte und Vorstellungen von Tom Cruise, John Travolta, Chick Corea und anderen Scientologen. Was halten sie von sol-chen Aktionen?

Ich halte es für ganz absurd, Filme zu boykottieren, in denen bestimmte Schauspieler auftreten.

Eine Vertreterin der Scientology-Kirche berichtete in einer Talk-Show, daß Scientologen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Scientology aus Vereinen ausgeschlossen bzw. nicht aufgenommen wurden. Wie schätzen Sie solche Maßnahmen ein?

Jeder Verein hat die Möglichkeit, Leute auszuschließen oder nicht aufzunehmen, die nach dem Befinden der Mehrheit der Mitglieder in dem Verein nicht erwünscht sind. Darüber braucht man sich nicht weiter zu erregen.

Aber man denkt schon an den Arierparagraphen von 1933, der von Sport- und anderen Vereinen gegen Juden angewendet wurde.

Gegenüber den Scientologen besteht aber ein - wie ich glaube berechtigtes - Mißtrauen, was ihre Seriosität angeht. Und dagegen darf sich jeder so gut schützen, wie er kann. Das kann auch ein Vereinspräsident sein, der seine Mitglieder zusammenruft und die Mitgliedschaft von Scientologen in Frage stellt, wenn er Anhaltspunkte dafür hat, daß sie nur eintreten wollen, um an die Adressen und Vermögen der betuchten Mitglieder zu kommen.. Das kann man mit den Juden nicht vergleichen. Man hat den Juden die Bürgerrechte genommen, man hat sie verfolgt und sie vernichtet. Da gibt es nicht die geringste Parallele.

Warum ziehen die Unterzeichner des Briefes ihrer Meinung nach den Vergleich mit den Juden im Deutschland der 30er Jahre heran?

Weil dieser Vergleich das größte Totschlagsargument ist, das es gibt. Danach kann man eigentlich nichts mehr sagen; da stehen die Deutschen beschämt und beschmutzt in der Ecke und können nur noch konstatieren, daß Hitlers Schatten sie wieder eingeholt hat. Und die simple Erklärung für die übrige Welt ist: "Die Deutschen diskriminieren halt immer ihre Minderheiten". Da ist billiger Beifall immer ganz schnell zur Stelle.

Wie kann man denn auf solch eine Argumentation antworten?

Man kann da nur sachlich und besonnen reagieren. Man kann nur unbeirrt auf die Tatsache hinweisen und sagen, der Vergleich zwischen Scientologen 1996 und den Juden 1936 ist eine unglaubliche Frechheit, ist eine Verhöhnung. Aber nicht der Deutschen, sondern der Juden.

Trotzdem gibt es auch Juden, die die Scientologen in ihrer Kritik an der Bundesrepublik unterstützen. Bertram Fields, der Initiator des offenen Briefs beispielsweise. Und auch der ehemalige US-Außenminister Michael W. Blumenthal: Er war vor kurzem an der TU Berlin und sprach in Ihrer Veranstaltung "Die Erfahrung des Exils". Er zeigte sich erstaunt über die seiner Meinung nach übertriebene Vorsicht gegenüber den Scientologen.

Das stimmt. Es gibt prominente amerikanische Juden, die Scientologen in Schutz nehmen. Einer fragte "Warum müßt Ihr eigentlich so eine Aufregung um die Scientologen machen?" Dahinter steht aber die ganze Naivität, Scientology sei nur ein religiöses Bekenntnis. Und Michael Blumenthal nimmt weniger die Scientologen in Schutz, als daß er sich für Intoleranz in Deutschland interessiert.

Gibt es überhaupt etwas, das man mit der Verfolgung der Juden vergleichen kann? Oder verbietet sich jeder Vergleich wegen der Einzigartigkeit des Holocaust von vornherein?

Ich kenne keinen angebrachten Vergleich. Es gibt aber immer einzelne Teilaspekte, die man betrachten kann. Man kann beispielsweise die Entrechtung durch die Nürnberger Gesetze im Jahre 1935 mit ähnlichen Vorgängen in einem anderen Land vergleichen. Man kann den Novemberpogrom von 1938 mit einem russischen Pogrom Ende des 19. Jahrhunderts vergleichen. Aber man kann nicht den ganzen Ablauf, die ganze Inszenierung, Planung und Durchführung der Ausgrenzung und Vernichtung der sechs Millionen Juden mit irgendetwas anderem vergleichen.

Heißt das bezogen auf den Scientology-Brief: Wenn man vergleichen will, dann muß man die heutige Beobachtung der Scientologen durch Verfassungsschutzbehörden den staatlichen Maßnahmen gegenüberstellen, die 1936 gegen die Juden in Kraft gesetzt waren?

Ja. Und dann sieht man, daß den Juden 1936 schon die wesentlichen Bürgerrechte aberkannt worden waren. Sie konnten beispielsweise nicht mehr wählen. Bei den Scientologen ist davon keine Rede. Das, was den Scientologen in diesem Lande heute entgegenschlägt, ist Mißtrauen und eine Abwehr auf von den Scientologen praktizierte Methoden. Und auch von daher ist das ganz unvergleichbar. Denn es gab nicht im mindesten irgendwelche Aktivitäten der Juden 1933, die mit denen der Scientologen vergleichbar wären.

Das Gespräch führte René Schönfeldt


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