NACHGEFRAGT

Gentechnisch veränderte Lebensmittel: Was bringt die Kennzeichnungspflicht?

Ulf Stahl
"Ich bezweifle den Nutzen der Verordnung"

Weitgehend unbemerkt ist am 15. Mai eine EU-Verordnung "über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten" in Kraft getreten. Unter anderem regelt sie die Frage, wann gentechnisch veränderte Nahrungsmittel besonders gekennzeichnet werden müssen. Ziel der Kennzeichnungspflicht ist es, Verbraucherinnen und Verbraucher besser darüber zu informieren, was sie einkaufen und essen. Immerhin ergab eine Umfrage, die im letzten Jahr von Greenpeace in Auftrag gegeben wurde, daß rund 87 % der deutschen Konsumenten gentechnisch veränderte Lebensmittel meiden würden. Zur Kennzeichnungspflicht befragte TU intern Prof. Dr. Ulf Stahl vom Institut für Biotechnologie, der zur Zeit auch Dekan des Fachbereichs 15 Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie ist.

Wo findet man denn in Berliner Supermärkten gentechnisch veränderte Lebensmittel?

Als solches findet man gentechnisch veränderte Lebensmittel bisher gar nicht in unseren Supermärkten. Bei manchen Lebensmitteln sind jedoch Bestandteile von gentechnisch veränderten Pflanzen zu finden, etwa Lecithin oder Dickungsmittel .

Für die Lebensmittel, die schon auf dem Markt sind, gilt die EU-Verordnung nicht, sondern nur für solche, die seit Mai neu angeboten werden. Welche Lebensmittel müssen jetzt gekennzeichnet werden?

Alle Lebensmittel, die gentechnisch verändertes pflanzliches oder tierisches Material enthalten, beispielsweise Tomaten oder Mais.

Wann muß nicht gekennzeichnet werden?

Es muß nicht gekennzeichnet werden, wenn gentechnisch veränderte Mikroorganismen während des Herstellungsprozesse eingesetzt und am Ende des Prozesses wieder entfernt werden. Wenn man bei der Herstellung von Brötchen gentechnisch veränderte Enzyme verwendet, muß man diese Brötchen nicht kennzeichnen. Ein anderes Beispiel ist die gentechnisch veränderte Hefe beim Bierbrauen: Wenn diese Hefe abfiltriert wird, dann muß das Bier nicht gekennzeichnet werden.

Kann es denn passieren, daß nach der Produktion - in der man gentechnisch veränderte Organismen eingesetzt hat - noch gentechnisch verändertes Material im Lebensmittel vorliegt?

Man kann im Endeffekt nicht ausschließen, daß das eine oder andere veränderte DNA-Molekül im Lebensmittel verbleibt. Denn das Trennen der eingesetzten Organismen - zum Beispiel bei der Bierhefe - ist nie hundertprozentig.

Können Lebensmittelanalytiker in jedem Fall herausfinden, ob gentechnisch veränderte Stoffe in einem Lebensmittel sind?

Bei kleinen Anteilen ist das sehr schwierig. Ein Großteil unserer Lebensmittel enthält zum Beispiel Sojabestandteile. Da ist es nicht immer möglich, gentechnisch veränderte Anteile nachzuweisen. Außerdem müssen die Analytiker auch wissen, wonach sie suchen. Sie sind also auf Angaben der Hersteller angewiesen. Prinzipiell ist es jedoch möglich, gentechnisch veränderte Lebensmittelbestandteile nachzuweisen.

Wie schätzen Sie den Nutzen der Verordnung für die Verbraucherinnen und Verbraucher ein?

Ich bezweifle den Nutzen der Verordnung. Der Verbraucher kann meiner Meinung nach gar nichts damit anfangen. Er wird verunsichert und in dem Glauben gelassen, er sei einer Gefahr ausgesetzt, wenn er diese Lebensmittel zu sich nimmt. Solche eine Gefahr besteht aber nicht. Bei Arzneimitteln, die mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen hergestellt wurden, etwa Insulin und Blutinhaltsstoffe, gab es bisher keinerlei Probleme. Ich hätte eine Verordnung begrüßt, nach der die Inhaltsstoffe benannt werden. Mit dem Hinweis auf Nußprotein oder Sojaanteile weiß ein Allergiker beispielsweise, daß er das dann nicht verzehren kann. Die Kennzeichnung "gentechnisch verändert" sagt ja nur etwas über den Produktionsprozeß aus, nichts über die Inhaltsstoffe.


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