FORSCHUNG

Wettrennen für die Wiederverwertung

TU-Forscher entwickeln ein Verfahren zur Trennung von vermischten Kunststoffen

Adriane Lawisch vor der Chromatographie-Anlage. Links hinter der Glastür sieht man die Säule, in der Polycarbonat und Polystyrol getrennt werden
An den grünen Punkt und die gelben Tonnen hat man sich in Deutschland mittlerweile gewöhnt. Gelegentlich stellt man aber doch die Frage, was denn aus Plastiktüten, Joghurtbechern und Zahnpastatuben wird. Kunststoffberge zu verbrennen oder sie zu schnöden Parkbänken einzuschmelzen, ist sicherlich nicht das, was man sich von der Grüne-Punkt-Bewegung erhofft hatte. Zudem wurden deutsche Abfälle auch schon mal kurzerhand ins Ausland abtransportiert. Aber echte Recyclingtechniken, die aus Abfällen wieder Rohstoffe machen, sind rar. Am Institut für Verfahrenstechnik entwickelt man derzeit eine solche Methode: Aus einem Plastikmischmasch werden verschiedene Kunststoffe fein säuberlich getrennt und können ohne Qualitätseinbuße wieder als Grundstoff für neue Produkte verwendet werden.

In der chemischen Analytik macht man sich ein faszinierendes Phänomen zunutze, wenn man ein Stoffgemisch auf seine einzelnen Bestandteile hin untersuchen will: Man löst das Stoffgemisch in einer Flüssigkeit auf und gießt diese Lösung von oben in ein längliches Gefäß, das mit einem Pulver gefüllt ist. In dieser sogenannten Säule sickert die Lösung langsam Richtung Boden - vergleichbar dem Wasser, das man in einen Blumentopf gießt. Die Flüssigkeit wandert durch die Erde bzw. durch das Pulver und kommt nach einiger Zeit am Ende heraus. Analytiker nutzen aus, daß die unterschiedlichen Stoffe in der Lösung unterschiedlich schnell durch die Säule wandern. Dadurch kommen im Idealfall alle Stoff des Gemischs getrennt und nacheinander aus der Säule.

750000 TONNEN KUNSTSTOFFABFÄLLE

"Das ist im Prinzip wie ein Wettrennnen", erläutert Professor Dr. Wolfgang Arlt vom Institut für Verfahrenstechnik, der mit diesem Verfahren Großes vorhat. Sein Ziel ist es, dieses "Wettrennen" auch zur großtechnischen Trennung von Kunststoffen einzusetzen. 6,4 Millionen Tonnen Kunststoff werden in Deutschland jährlich verbraucht, 750000 Tonnen Kunstoffabfall aus Verpackungen fallen an, so Arlts Schätzung. Davon würde sich zwar realistischerweise nur ein Teil mit dem erfundenen Verfahren trennen lassen, räumt der Professor ein, es handele sich aber immer noch um Mengen, die eine Großtechnologie benötigten.

Die Trennmethode, die die Fachleute unter dem Namen Säulen-Chromatographie kennen, wird bereits seit den 60er Jahren im großen industriellen Rahmen eingesetzt, und zwar für sehr billige Produkte wie in der Erdölindustrie und zur Trennung von verschiedenen Arten von Zucker. Um das Verfahren für die Kunststofftrennung zu nutzen, untersuchten Arlt und seine wissenschaftliche Assistentin Adriane Lawisch zunächst zwei Kunststoffe: Polycarbonat (PC), das als Grundstoff zum Beispiel für CDs genutzt wird, und Polystyrol (PS), aus dem beispielsweise Joghurtbecher hergestellt werden.

Ihr Ziel war es, ein passendes Lösungsmittel und ein geeignetes "Wanderpulver" zu finden. Die Fachleute nennen den Stoff, durch den die Lösung sickert, in diesem Zusammenhang übrigens stationäre Phase. Ihr molekularer Aufbau und die Oberflächenstruktur ihrer körnigen Einzelteile müssen besondere Eigenschaften aufweisen: PC-Moleküle und PS-Moleküle sollen beim Kontakt mit den mikroskopisch kleinen Körnern der stationären Phase unterschiedlich lange haften bleiben, damit sie unter dem Strich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch das Pulver wandern.

Nach zweijährigem, zähem Experimentieren mit verschiedenen Lösungsmitteln und Pulvern hatten Adriane Lawisch und Wolfgang Arlt Erfolg: Die besten Lösungsmitteleigenschaften zeigte ein Gemisch aus organischen Lösungsmitteln, wie es auch bei der Herstellung von Kunststoffen gebraucht wird. Als geeignete stationäre Phase erwies sich ein Stoff mit dem Markennamen ZORBAX. Dieses Pulver, das äußerlich wie Mehl aussieht, wird von PC wesentlich schneller durchwandert als von PS. Es wird in den USA hergestellt und für Trennungen von Molekülen aus dem medizinischen Bereich eingesetzt. Weil es dafür nur in geringen Mengen benötigt wird, ist das Pulver jedoch sehr teuer: 10000 DM kostete die für die Versuche notwendige Menge von 500 Gramm. Bei einer entsprechenden Nachfrage könnte der Stoff natürlich auch bedeutend billiger werden, betont Arlt: "Eine so große Menge hat die Firma wohl noch nie an eine Einzelperson verkauft."

ZU WERTVOLL ZUM VERBRENNEN

Im Vergleich zu anderen Verfahren der Kunststoffverwertung hat die Säulenchromatographie einen großen Vorteil: Die getrennten Kunststoffe werden in ihre ursprüngliche Form gebracht und können säuberlich getrennt als Grundstoffe für eine neue Produktion verwendet werden. Andere Methoden, die zur Weiterverwertung von Plastikabfällen eingesetzt werden, überführen die Kunststoffe nur in minderwertige Formen, etwa Parkbänke oder Flaschenkästen. Bei der thermischen Verwertung, wie das Verbrennen oft genannt wird, werden die Kunststoffe sogar vollständig zerstört. "Keine Frage, Kunststoffe sind sehr gute Brennstoffe", sagt Wolfgang Arlt, "allerdings viel zu wertvoll."

Jetzt will der TU-Professor Kontakt mit Recyclingfirmen aufnehmen und sein Verfahren für die Praxis weiterentwickeln. Ziel ist es, das Verfahren auf andere Kunststoffe - etwa die weiterverbreiteten Polyethylen oder Polypropylen - anzuwenden und für Gemische von mehr als zwei Kunststoffarten zu erweitern. Zudem kann man dann bestimmen, bei welchen Preisen für Lösungsmittel, Pulver und recycelten Rohstoffen ein Betrieb rentabel ist.

René Schönfeldt


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