TU intern - November 1997 - Forschung

Sachsen-Anhalt aus dem All

Neue Aufnahmegeräte liefern hochwertige Bilder der Erde -
TU-Wissenschaftler nutzen sie für landschaftsbezogene Planung
Priesitz an der Elbe, südöstlich von Wittenberg. Das Satellitenbild zeigt rechts im Bild die Elbe, die mit ihren Buhnen an eine Wirbelsäule erinnert. Die hohe Auflösung der Aufnahme erfaßt sogar einzelne Bäume, die als kleine Punkte links oben zu sehen sind. Die schwarzen Linien sind später im Computer hinzugefügt worden; sie bezeichnen die Grenzen der Biotoptypenkarte von Sachsen-Anhalt, an der die TU-Wissenschaftler derzeit arbeiten.

Täglich präsentieren die Abendnachrichten die Bilder aus dem Weltraum: Aus höchster Höhe blicken Satellitenkameras auf die Welt, zeigen Meere und Kontinente - Bilder, die mittlerweile zu unserem Alltag gehören. Weniger bekannt sind die weiteren Einsatzgebiete von Satelliten und ihren Spezialkameras, etwa die Dokumentation von Waldschäden oder die Erstellung von Biotopkarten. Mit den speziellen Anforderungen und Schwierigkeiten, die dabei auftreten, beschäftigt sich ein Forschungsteam am Institut für Landschaftsentwicklung der TU Berlin.

Bei Wettervorhersagen, bei Landnutzungsinventuren und bei vielen anderen Karten, die anhand von Satellitendaten erstellt werden, handelt es sich heute um Routine. Die Satelliten sind im Orbit, und ihre Kameras liefern Bilder, die für die meisten Fragestellungen ausreichend präzise sind.

Ihre Auflösung ist aber nur begrenzt: Wettersatelliten wie der aus den heute-Nachrichten bekannte Meteosat haben beispielsweise eine Auflösung von ungefähr ein mal ein Kilometer und gröber. Das heißt, ein Bildpunkt ("Pixel") des Satellitenbildes gibt einen Quadratkilometer Erdoberfläche wieder.

Genauer ist der amerikanische Erdbeobachtungssatellit Landsat-TM. Er liefert Bilder, die auf einem Raster von ungefähr 30 mal 30 Meter aufgebaut sind. Aber wenn es um Aufnahmen geht, in denen man zum Beispiel noch einzelne Bäume erkennen will, reicht auch diese Auflösung nicht aus.

"Der Teufel steckt im sprichtwörtlichen Detail", lautet die Erfahrung von TU-Professor Hartmut Kenneweg. Die meisten bisherigen Karten, die man aus Satellitenbildern erstellt, würden nur einen Maßstab von 1:50000 zulassen. "Zu wenig für viele interessante Anwendungen", so der TU-Professor für Landschaftsplanung. Umweltschützer zum Beispiel benötigen Maßstäbe von 1:10000, 1:5000 oder noch größer.

NEUE AUFNAHMEGERÄTE

Deutliche Verbesserungen in dieser Richtung werden durch eine neue Generation von Aufnahmegeräten möglich. Zum Beispiel durch MOMS. Die Abkürzung steht für "Modular Optoelectronic Multispectral Stereo Scanner" und bezeichnet eine Reihe hochauflösender Aufnahmegeräte, die im Auftrage der ehemaligen Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten entwickelt wurden. Zwei MOMS-Exemplare flogen bereits auf Spaceshuttle-Missionen mit. Das dritte Gerät namens MOMS-2P ist seit 1996 in der russischen Raumstation MIR eingebaut. Vom dortigen Forschungsmodul Priroda ("Natur") aus liefert es neben Aufnahmen aus dem sichtbaren Bereich auch Bilder aus dem nahen Infrarotbereich, was insbesondere für die Beobachtung von Pflanzen notwendig ist. Dabei erreicht MOMS-2P eine Auflösung von bis zu fünf mal fünf Metern. Militärische Satelliten sind zwar noch genauer und haben eine Auflösung im Dezimeterbereich. Aber bisher sind ihre Daten nicht erhältlich, und für einige Anwendungen sind sie schon wieder zu genau und zu umfangreich.

Der MOMS-2P-Sensor: Er gehört zu einer neuen Generation von hochaufösenden Satelitenkameras

MOMS-2P und andere neuartige Satellitensensoren stehen deshalb im Mittelpunkt eines Programms des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Ziel ist es herauszufinden, wo und wie die neuen Satellitendaten für landschaftsbezogene Planungen eingesetzt werden können, zum Beispiel für Forst- und Vermessungsbehörden, für Landesumweltämter sowie Planungsbehörden und -büros.

Zwei der 22 Projekte, die die DLR fördert, werden mit Berliner TU-Beteiligung durchgeführt. Unter der Leitung von Professor Hartmut Kenneweg beschäftigen sich Dr. Claudia Werner, Bodo Coenradie und Christoph Roesrath seit Juni mit Satelliten-Daten aus Sachsen und Sachsen-Anhalt. Diese Daten sollten zunächst hauptsächlich von MOMS-2P kommen. Wegen der Pannenserie auf der MIR-Raumstation nutzen die Berliner Wissenschaftler mittlerweile den indischen Satelliten IRS-1C, der Bilder ähnlicher Qualität liefert.

Im ersten Projekt arbeitet das TU-Team gemeinsam mit dem Landesumweltamt Sachsen-Anhalt und dem mittelständischen "Büro für Umweltplanung" in Wernigerode an der landesweiten Biotoptypenkartierung im Maßstab 1:10000. "Dabei handelt es sich um sehr genaue Katalogisierungen der verschiedenen Bedeckungsarten der Erdoberfläche", erläutert Projektleiter Kenneweg. So werden alleine 300 Arten von Wald in der Systematik der Biotoptypenkarten unterschieden. Zum Vergleich: Die sonst als Kartengrundlagen in ähnlichen Maßstäben gebräuchlichen topographischen Karten unterscheiden gerade mal in Nadel-, Laub- und Mischwald.

Die Biotoptypenkarten wurden seit 1993 in den neuen Bundesländern erstellt und sind eine wahre Fundgrube, nicht nur für Naturschützer. Auch Verkehrsplaner, Bauplaner und andere greifen gerne auf das genaue und aktuelle Kartenwerk zurück. "In den alten Ländern gibt es diese Biotoptypenkarten nicht", erläutert Hartmut Kenneweg, "deshalb schaut man auch mit viel Neid auf die neuen Länder und ihr geographisches Material."

Aber auch dieses Material veraltet schnell. Wo vor fünf Jahren noch eine bewachsene Fläche war, kann heute eine Kiesgrube sein. Die Frage ist nun: Wie kann man die Karten preiswert aktualisieren, ohne - wie bei der Erstkartierung - Luftbilder zu machen und sie visuell auszuwerten.

KOSTENGÜNSTIGES KARTENWERK

Das Kartenwerk, das für Sachsen-Anhalt bereits flächendeckend vorliegt, könnte mit den neuen Daten vergleichsweise kostengünstig weitergeführt werden. Ob und unter welchen Bedingungen das möglich ist, wollen die Fachleute in dem DLR-Projekt beantworten. Gleichzeitig soll geprüft werden, wie die neuen Daten auch für Zwecke der Landschaftsrahmenplanung, der Bauleitplanung, Verkehrsplanung und Forsteinrichtung genutzt werden können.

Die Erstellung der Biotoptypenkarte in Sachsen-Anhalt hat nach Schätzungen von Professor Kenneweg rund 10 Millionen DM gekostet. Eine Aktualisierung mit neuen Satellitendaten soll auf jeden Fall billiger werden. Ziel der Wissenschaftler ist es, in dem sachsen-anhaltinischen Projekt zu klären, wo die Satellitendaten zur Aktualisierung reichen und wo man vielleicht noch einzelne Bilder per Flugzeug machen muß.

Im zweiten MOMS-Projekt arbeiten die TU-Wissenschaftler mit dem Sächsischen Landesamt für Forsten zusammen. Das Amt hat bereits mehrere Jahre Erfahrung mit Satellitendaten, mit denen immissionsbedingte Waldschäden erkannt und auf Karten erfaßt werden. Aber das Ausmaß der Waldschäden ändert sich schnell: Im Erzgebirge hat sich die Luftbelastung durch Schadstoffe, insbesondere Schwefeldioxid, in den letzten Jahren nach vorübergehender Besserung wieder verschlimmert. Erneut sind große Waldflächen abgestorben. Mit den TU-Wissenschaftlern wollen die sächsischen Forstfachleute ihre bisherige Arbeit mit den neuen und genaueren Satellitendaten auf dem Laufenden halten. Im Kern geht es um die Frage, inwieweit der Waldschadensverlauf mit den neuen Daten dokumentiert werden kann. Außerdem werden die Forscher die Weltraumdaten nutzen, um Waldstrukturen und Baumartenanteile in Mischbeständen zu erkennen.

Die Pannen auf der Raumstation MIR, die den Wissenschaftlern Probleme mit den MOMS-Daten bereiteten, werden übrigens bald vergessen sein: Weitere Satellitensensoren, die für Erderkundungszwecke eingesetzt werden, werden im kommenden Jahr in den Orbit gehen und neue, hochwertige Aufnahmen liefern.

René Schönfeldt


Für ihre Ausschreibungen zu den MOMS-Projekten hat sich die ehemalige Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten (DARA, heute Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR) etwas besonderes ausgedacht: Nicht Forschungsinstitute oder Technolgieunternehmen sollten im Mittelpunkt des Förderprogramms stehen, sondern die Anwender, also in diesem Fall Umweltbehörden, Forstbehörden oder Planungsbüros. Sie durften als sogenannte "Bedarfsträger" alleine die Anträge stellen. Universitäten und andere Forschungseinrichtungen konnten nur als Partner fungieren.

Im Gegensatz zu anderen Bewilligungsprozeduren gab es keine fachliche Begutachtung als Voraussetzung für Fördermittel. Kriterium war statt dessen die Bereitschaft der Antragsteller, 50 Prozent der Projektkosten zu tragen. Die andere Hälfte fördert die DLR.

Da viele der Bedarfsträger nicht über das nötige Know-how zur Auswertung von Satellitendaten verfügen, taten sie sich häufig mit Universitätsinstituten zusammen. Insgesamt 84 Teams aus Forschung und Anwendungspraxis stellten schließlich Anträge. Bewilligt wurden davon 22 bei einem gesamten Fördertopf von rund 15 Millionen DM.

Für die Wissenschaftler vom TU-Institut für Landschaftsentwicklung lohnte sich die Kooperation: Sie warben in zwei MOMS-Projekte insgesamt rund 800000 Mark Drittmittel ein.

rs


SATELLITENFOTOS IM NETZ

Mehr Informationen zum MOMS-2P-Projekt gibt es über die WWW-Seiten der DLR-Außenstelle in Neustrelitz: http://www.nz.dlr.de/moms2p Dort erfährt man, daß die ersten Aufnahmen im November und Dezember 1996 über Deutschland, Spanien und Rußland gemachte wurden. Und man kann sich ein MOMS-Satellitenbild von Augsburg ansehen.


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