HOCHSCHULPOLITIK

Zukunft verspielt?

Berliner Hochschulchefs kritisieren Radunski-Papier

Kenner haben es schon lange gewußt: Aufgrund der drastischen Sparmaßnahmen des Berliner Senats für die Hochschulen ist die Zahl der ausfinanzierten Studienplätze für Berlin in Gefahr. 85 000 sind gesetzlich vorgeschrieben, das Geld wird aber ab dem Jahr 2000 nur noch für 75 000 Studienplätze reichen. Gegenwärtig verfügt Berlin über 100000 Studienplätze, auf denen sich 130860 Studentinnen und Studenten drängeln. Eine kritische Entwicklung für Berlin, denn mit so wenigen Studienplätzen kann nicht einmal die Nachfrage der eigenen Landeskinder nach Studienplätzen befriedigt werden.

Was inoffiziell in den vergangenen Monaten die Spatzen von den Dächern pfiffen, wurde nun erstmalig in einem Papier deutlich, das Wissenschaftssenator Radunski im September vorlegte. Sein Titel: "Hochschulstandort Berlin - Eckdaten und Rahmenvorgaben für die Entwicklung und Struktur zu Beginn des nächsten Jahrhunderts".

Ziel der Berliner Hochschulpolitik sei es trotz der Sparmaßnahmen - so betont der Wissenschaftssenator - die gesetzlich festgelegte Zahl von 85000 Studienplätzen zu sichern. Das Radunski-Papier listet hierzu einen Katalog von Maßnahmen auf, bei denen besonders die Hochschulen gefordert sind.

KEIN "MASTERPLAN"

Erinnern wir uns: Das Papier des Senators resultiert aus einem Auftrag des Haushaltsstrukturgesetzes 1996; darin wurde der Senat beauftragt, einen Entwicklungsplan für die Berliner Hochschulen vorzulegen. Dieser Auftrag erübrigte sich zwar durch die Verträge zwischen den Hochschulen und dem Berliner Senat, in denen festgeschrieben wurde, daß die Hochschulen bis Ende März 1998 Entwicklungspläne auf der Basis des Budgets für das Jahr 2000 vorlegen. Diese Pläne sollten dann auf Landesebene begutachtet und in einen Entwicklungsplan für das Berliner Hochschulsystem umgesetzt werden.

Dies ist auch der Hintergrund dafür, daß sich der von Radunski vorgelegte Plan ganz bewußt nicht als ein hochschulpolitischer "Masterplan" versteht, der schon jetzt die Ergebnisse der Hochschulentwicklung der nächsten Jahre vorwegnehmen will. Er versteht sich vielmehr als "Kompaß", der anhand von Eckwerten und Rahmendaten Orientierungs- und Entscheidungshilfen für die zukünftige Entwicklung des Hochschulstandortes Berlin gibt. Die Lektüre des 167 Seiten starken Papiers ist für den Chronisten daher von größtem Interesse, denn es dokumentiert ausführlich die Streichmaßnahmen im Berliner Hochschulbereich.

85 000 STUDIENPLÄTZE, ABER WIE?

Im wesentlichen aber kreist das Papier um die eine Frage: Kann man nach Abarbeitung der Streichmaßnahmen, die ja auch nach dem Jahr 2000 noch zu Kürzungen führen, die Zielzahl von 85000 Studienplätzen in Berlin einhalten oder nicht? Aus dem Papier wird deutlich, daß man mit den Hochschulbudgets auf mittlere Sicht nur noch 75000 garantieren könne. Gleichzeitig suggerieren die Autoren des Papiers, daß die Hochschulen noch genügend Reserven hätten, um die 10000 Studienplätze, die für die Zielzahl 85000 fehlen, durch kapazitätswirksame Rationalisierungsmaßnahmen herauszusparen.

Insbesondere diese Aussage rief die Berliner Präsidenten und Rektoren auf den Plan und war Anlaß für heftige Kritik, die sie in einer eigenen Stellungnahme auch an die Öffentlichkeit gegeben haben. Hier heißt es: "Schon zur Errechnung der 75000 Studienplätze müssen in dem Papier Annahmen getroffen werden, die die Geschäftsgrundlage für den Abschluß der Hochschulverträge in Frage stellen. So wird z. B. die Zahl der Studienanfänger bei den Fachhochschulen dadurch künstlich erhöht, daß das praktische Studiensemester bei gleicher finanzieller Ausstattung nicht mehr kapazitätswirksam berücksichtigt wird und die Kapazität damit fiktiv um ein Achtel steigt. Mit Hilfe solcher - im einzelnen durchaus angreifbarer - Annahmen werden 82000 Studienplätze für das Jahr 2000 und ein weiteres Abbröckeln bis auf 75000 nach dem Jahr 2000 prognostiziert."

Weiter heißt es in der Stellungnahme: "Gleichzeitig wird freilich angenommen (bzw. postuliert), daß die Hochschulen das Absinken der Studienplatzzahlen unter 85000 durch eine Reihe in ihrem Erfolg äußerst zweifelhafter Rationalisierungsmaßnahmen verhindern könnten, wenn sie nur wollten."

EMPÖRTE HOCHSCHULCHEFS

Besonders empören sich die Hochschulchefs über den Vergleich mit den Kosten an anderen deutschen Hochschulen: "Dabei wird - wider besseres Wissen - immer noch die leichtfertige Vermutung der Finanzsenatorin gehegt, die Berliner Hochschulen seien im Vergleich zu anderen Hochschulen des Bundesgebietes sehr teuer (etwa gemessen an den Kosten pro Studienplatz oder den Kosten pro Absolvent). Es ist noch nicht so lange her, daß die Finanzsenatorin allein aus dem 'Zurückschneiden' der Berliner Hochschulbudgets auf bundesdeutsche Durchschnitte Einsparungen von bis zu 100 Millionen DM erwartete. Die in den vergangenen Jahren auf den Tisch gelegte empirische Evidenz etwa des Hochschulinformationssystems (HIS) verweist jedoch exakt in die umgekehrte Richtung. Selbst auf der Basis von 94er Zahlen erwiesen sich beim Vergleich ausgewählter Studiengänge die Berliner Hochschulen als besonders billig. Dabei sind die Kürzungsrunden 1995, 1996 und 1997 noch nicht berücksichtigt. Jeder weiß inzwischen, daß die Finanzsenatorin erheblich Geld drauflegen müßte, wollte sie wirklich die Berliner Hochschulen auf die durchschnittlichen Ausbildungskosten an deutschen Hochschulen bringen. Daß die Fachverwaltung, die dieses alles weiß, in diesem Zusammenhang immer noch Rationalisierungsreserven in einem hochschulpolitischen Papier vermutet, gibt wirklich zu denken."

Von ähnlicher Qualität seien, so die Präsidenten und Rektoren einmütig, die meisten der im "Hoffnungsszenario" zur Absicherung der 85000 Studienplätze dokumentierten Maßnahmen zur Gewinnung zusätzlicher finanzieller Handlungspielräume, z. B. Entgelte für Weiterbildungsmaßnahmen, Anpassung der Tarifverträge für studentische Hilfskräfte an die in den übrigen Ländern üblichen Vereinbarungen.

VORSPIEGELUNG VON ENTLASTUNGSPOTENTIALEN

Als besonders ärgerlich empfinden die Präsidenten und Rektoren jene Vorschläge, die der Öffentlichkeit Entlastungspotentiale vorspiegeln, die es aus faktischen oder politischen Gründen nicht gibt. Auf eine faktische Unmöglichkeit stoße z. B. der Vorschlag, "weitere Reduzierungen des nichtwissenschaftlichen Personals der Hochschulen für den Zeitraum 1998 bis 2003 _ zu prüfen". Insinuiert werde damit der Öffentlichkeit, solche Reduzierungen könnten im genannten Zeitraum auch finanzwirksam werden. Der Senat von Berlin aber habe sich in einer Vereinbarung mit den Gewerkschaften auf den Verzicht betriebsbedingter Kündigungen festgelegt. Fordere Senator Radunski jetzt die Hochschulen auf, das Gegenteil zu tun? Auch die Einbeziehung von Studiengebühren in das Hoffnungsszenario sei angesichts des gesetzlichen Verbots in Berlin alles andere als seriös.

Außerdem lasse das Papier die Hochschulen in wesentlichen Fragen allein, z. B. ob man in NC-Fächern die Kapazitäten kürzen kann oder nicht. Ebenso enthalte es keine fundierten Aussagen bezüglich der anwendungsorientierten Forschung an den Fachhochschulen, deren tatsächliche Bedeutung und tatsächlicher Umfang konstant ignoriert wird.

Kristina R. Zerges


Das Radunski-Papier "Hochschulstandort Berlin" sowie die Entgegnung der Hochschulchefs sind in der TU-Pressestelle, Raum H 1004, einzusehen.
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