FRAUEN

Für und Wider der Interdisziplinarität

Geschlechterforschung zwischen disziplinärer Spezialisierung und Interdisziplinarität" - so lautete der Titel eines zweitägigen Sommerkolloquiums, das im Juni an der TU Berlin stattfand. Veranstaltet wurde es vom Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG) am Fachbereich 1 Kommunikations- und Geschichtswissenschaften. Worum es dabei ging, schildert für TU intern die ZIFG-Mitarbeiterin Dr. Ulrike Weckel:

Interdisziplinarität war in der Frauenforschung eine Forderung der ersten Stunde. Mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und einige Wissenschaftler aus Berlin, der Bundesrepublik und dem Ausland folgten der Einladung des Zentrums, nach 25 Jahren einmal gemeinsam und laut über Chancen und Grenzen, das Für und Wider sowie die institutionellen Anreize und Behinderungen fächerübergreifenden wissenschaftlichen Arbeitens nachzudenken.

Kurze Einstiegsreferate beleuchteten schlaglichtartig die inhaltlichen und methodischen Möglichkeiten von Interdisziplinarität, im Anschluß gab es jeweils reichlich Zeit zum Diskutieren. Einleitend erinnerte Gudrun-Axeli Knapp, Professorin für Psychologie und Soziologie an der Universität Hannover, daran, daß die Frauen- und Geschlechterforschung anfangs nicht nur deshalb interdisziplinär ausgerichtet war, weil sich wenige, über die Fächer versprengte feministische Wissenschaftlerinnen zusammenfanden. Die fachlichen Brückenschläge folgten damals auch einem gemeinsamen politischen Erkenntnisinteresse: Sollte das frauendiskriminierende Zusammenspiel von Macht, Ökonomie, Wissensproduktion und -organisation untersucht und kritisiert werden, bedurfte es dazu Experten/innen verschiedenster Wissenschaftsrichtungen. Heute habe sich das Interesse von gesellschaftlichen Strukturen zunehmend hin zur Analyse kultureller Konstruktionen von Geschlecht verschoben. Die feministische Forschung sei vielfältiger und theoretisch anspruchsvoller, aber nicht unpolitischer geworden.

Insgesamt, das machten die Gespräche deutlich, sind die Probleme des Übersetzens und Verknüpfens von Begriffen und methodischen Zugängen unterschiedlichster Provenienz eher größer geworden. Carola Lipp, Professorin für Volkskunde an der Universität Göttingen, konkretisierte dies für die neuerdings so attraktiv erscheinende Integration verschiedenster Fächer zu einer "Kulturwissenschaft" und die darüber hinaus beobachtbare modische Vereinnahmung kulturwissenschaftlicher Konzepte - nicht zuletzt in der Geschlechterforschung. Sie forderte dazu auf, "Kultur" zu definieren und die Verträglichkeit der jeweils eingesetzten Theorien und Methoden kritisch zu reflektieren.

Weitere Diskussionen galten der Frage, welche institutionellen Rahmenbedingungen interdisziplinäres Arbeiten befördern bzw. behindern. Die Brisanz dieses Themas erschöpft sich nicht in der frustrierenden Erfahrung, daß interdisziplinär arbeitende Wissenschaftlerinnen zwar gerne - als schillernde Paradiesvögel quasi - zu Diskussionen eingeladen, dagegen eher selten auf disziplinär definierte Professuren berufen werden. Marlis Dürkop, bis vor kurzem Präsidentin der Humboldt-Universität und jetzt dort Professsorin für Kulturwissenschaft, plädierte in ihrem Referat dafür, sich nicht in abstrakten Debatten zu verzetteln, sondern die "Organisationsfrage" zuerst einmal praktisch anzugehen. Sie erläuterte, wie an der HU in kürzester Zeit der erste Gender-Studies-Studiengang der Bundesrepublik institutionalisiert worden ist. Unter den ganz anderen Bedingungen der TU Berlin wird vom Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung am Fachbereich 1 dagegen die Variante eines offenen Lehrangebots favorisiert. Es bietet mit seinen Veranstaltungen Studierenden aus unterschiedlichsten Studiengängen Gelegenheit, Probleme der Geschlechterforschung zu erörtern und dabei zugleich über Grundlagen und Begrenzungen der je eigenen Disziplin nachzudenken.

Ebenso kontrovers wie über die Möglichkeit, interdisziplinär ausgerichtete Lehre zu institutionalisieren, wurde über die Organisation von Forschung debattiert. Maria Oppen, Soziologin am Wissenschaftszentrum Berlin, berichtete von der geringen Präsenz geschlechterbezogener Fragestellungen in dieser Forschungseinrichtung. Sie stellte zur Diskussion, ob es grundsätzlich vielversprechender sei, eigenständige Forschungseinheiten zu schaffen oder Gender-Studies systematisch in alle einzelnen Forschungsprojekte einzubeziehen.

Am Ende der äußerst lebhaften Tagung zog Karin Hausen, TU-Professorin und Leiterin des ZIFG, kritisch Bilanz: Interdisziplinarität beschränke sich auch in der Frauen- und Geschlechterforschung oft genug auf ein - in Sammelbänden häufig nur zusammengebundenes - Nebeneinander von disziplinär geprägtem Expertenwissen. Um über dieses rudimentäre Stadium hinauszukommen, müsse Interdisziplinarität sehr überlegt organisiert und eingeübt werden.

Ulrike Weckel


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