TU intern - Dezember 1998 - Menschen

Kannibalisierungseffekte finden nicht statt

Dr. Eckhard Cordes über die internationale Kooperation der DaimlerChrysler AG

Eckhard Cordes kam geradewegs aus den USA, um bei der Herbstveranstaltung der Gesellschaft von Freunden der Technischen Universität seinen Vortrag über die ”Notwendigkeit globaler Kooperation am Beispiel der DaimlerChrysler AG" zu halten. Im vollbesetzten Hörsaal der Technischen Universität erläuterte er die Hintergründe für einen der größten Unternehmenszusammenschlüsse der Industriegeschichte. Cordes behauptete zwar, er habe eigentlich nichts Neues zu berichten, dennoch bot sein Vortrag viele interessante Details zur Geschichte der Fusion und zum neuen DaimlerChrysler Konzern.

Zu Beginn seines Vortrags erläuterte Eckhard Cordes die Entwicklung der globalen Automobilindustrie, die für die Fusion zwischen Daimler-Benz und Chrysler ausschlaggebend gewesen sei. In den letzten 35 Jahren habe sich die Anzahl der selbständigen Automobilhersteller von 42 auf 16 reduziert, und diese Entwicklung halte weiter an. Dem habe die DaimlerChrysler AG mit der Fusion Rechnung getragen und den ersten Schritt getan, um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben.

MAN HAT ES AUF DAIMLER ABGESEHEN

Der Grund, warum die Expansion für die Daimler-Benz AG notwendig geworden sei, war, daß die Firma in ihrem Marksegment der sogenannten Premiumfahrzeuge zunehmend von anderen Großkonzernen ,angegriffen' wurde. So habe etwa der VW-Konzern mit seiner Marke Audi keinen Hehl daraus gemacht, daß man es auf den Daimler abgesehen habe. Der entscheidende Unterschied zwischen Daimler-Benz und anderen Großkonzernen lag in der Menge der Fahrzeuge, die die jeweilige Firma herstellen kann. Spitzenkonzerne wie General Motors (8 Millionen Fahrzeuge) oder Ford (7 Millionen) produzieren weit mehr Autos als die alte Daimler-Benz AG mit nur 1,1 Millionen oder Chrysler mit knapp 3 Millionen Fahrzeugen pro Jahr und haben allein dadurch auch im Premiumsegment einen immensen Preisvorteil bei den Zulieferern. Denn, so Cordes, es mache einen großen Unterschied, ob man einem Lieferanten 700000 oder 4,5 Millionen Autositze abnehme. Neben den Preisvorteilen hatten die großen Automobilfirmen auch durch geringere Entwicklungskosten und bessere Vertriebsnetze einen immensen Vorsprung gegenüber der Daimler-Benz AG, den diese durch die höheren Preise für Ihre Premiumprodukte nicht mehr wettmachen konnte. Denn, so betonte Cordes, kein Kunde sei bereit, für einen Mercedes 25% mehr zu bezahlen als für ein gutes Premiumfahrzeug von anderen Herstellern, nur weil der Stern 'drauf ist.

Die nötige Volumensteigerung in der jährlichen Produktion wäre für die Daimler-Benz AG nur durch die Ausweitung ihrer Produktpalette auf billigere Massenfahrzeuge möglich gewesen, was für den Mercedes wahrscheinlich einen großen Imageverlust bedeutet hätte. Daher mußte man sich nach einem geeigneten Fusionspartner umsehen, der weitere Automarken mit in die Ehe bringen konnte. Marktanalysen der Fahrzeuggruppen, Absatzregionen und Preisklassen einzelner Hersteller ergaben bei der Firma Chrysler den besten ”Andockeffekt". Der Chrysler Konzern zeigte sowohl bei den Fahrzeugsegmenten Personenwagen, Minivans, Großraumlimousinen und Geländewagen als auch bei den regionalen Absatzschwerpunkten und den Preisklassen sehr geringe Überlappungen mit Daimler-Benz. Sogenannte ”Kannibalisierungseffekte", bei denen eine Firma die andere auffrißt, konnten bei einer Fusion weitgehend ausgeschlossen werden. Dafür verbesserte die Fusion die Wettbewerbschancen des neuen Unternehmens erheblich und katapultierte es auf der Weltrangliste der Automobilhersteller um einige Plätze nach vorn, wo es mit einem geschätzten Umsatz von 260 Milliarden Mark nun hinter General Motos und Ford an dritter Stelle steht.

In einem Exkurs zur Börsennotierung der Daimler-Benz AG erläuterte Cordes, warum eine Fusion mit Chrysler ohne Nachteile für die Daimler-Benz AG möglich war, obwohl Chrysler die besseren Absatzzahlen hatte. Der Grund lag in der Höherbewertung der Aktien der ehemaligen Daimler-Benz AG (94 Mrd. Mark) gegenüber den Aktien von Chrysler (47 Mrd. Mark) an der Börse. Diese Höherbewertung war auch ausschlaggebend dafür, daß die alten Daimler-Benz-Aktionäre 57% der Aktien des neuen Konzerns erhielten, die alten Chrysler- Aktionäre hingegen nur 43%. Es sei offensichtlich, so Cordes, daß derjenige, der die deutlich höhere Börsenbewertung hat, am Ende in der Mehrheit sein muß. Dennoch, so betonte Cordes immer wieder, handelte es sich bei der Firmenehe um eine Fusion unter Gleichen und nicht um eine Übernahme von Chrysler durch die Daimler-Benz AG. Was den Aktienwert angeht, liegt die DaimlerChrysler AG nun auf Platz zwei der Weltrangliste hinter dem wertvollsten Automobilunternehmen der Welt, Toyota. Aber, so Cordes, wir werden mal gucken, ob wir die Toyotas einholen können.

DAS NEUE UNTERNEHMEN ARBEITET

Gegen Ende seines Vortrags sprach Eckhard Cordes über die internationale Unternehmensstruktur der DaimlerChrysler AG und machte deutlich, daß der neue Megakonzern seine Arbeit bereits aufgenommen hat. Cordes betonte: ”Das neue Unternehmen arbeitet und, wenn ich das unbescheiden sagen darf, wir sind ein kleines bißchen stolz, daß wir es geschafft haben, das in der Zeit so hinzubekommen, ohne daß größere Pannen passiert sind." Obwohl das Unternehmen auf globaler Ebene operiert, ist es aus steuerlichen Gründen eine Aktiengesellschaft auf deutscher Rechtsgrundlage. Es verfügt jedoch über einen internationalen Aufsichtsrat sowie zwei Unternehmenszentralen in Stuttgart und Auburn Hills, USA. Die DaimlerChrysler AG hat zwei Vorstandsvorsitzende, Jürgen Schrempp und Robert Eaton, sowie achtzehn Vorstände (O-Ton Cordes: ”Wir haben ein bißchen viel Vorstandsmitglieder").

DIE EIGENTLICHE ARBEIT LIEGT VOR UNS

Um trotzdem handlungsfähig zu bleiben, wurde aus acht Vorständen ein sogenanntes ”Integration Council" gebildet, das sich um das Automobilgeschäft kümmern soll. Ein weiteres ”Non-Automotive-Council" betreut die anderen Geschäftsbereiche. Damit wäre die erste Hürde ins neue Zeitalter der globalen Kooperation geschafft. Doch Eckhard Cordes blieb realistisch und beteuerte, daß sie eigentlich erst ganz am Anfang stünden: ”Wir sind uns aber bewußt und realistisch genug, daß die eigentliche Arbeit in diesem Unternehmen vor uns liegt, ich meine damit nicht, Kunden zu gewinnen und Produkte zu verkaufen, das ist sozusagen das Tagesgeschäft, die eigentliche Arbeit heißt, aus diesen zwei stolzen Unternehmen (…) ein neues zu machen."

Mirjam Schmidt


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