TU intern - Dezember 1998 - Wissenschaft

Mathematikausbildung im Vergleich

Das Berufsbild der Ingenieure hat sich dramatisch verändert, ohne daß sich die Mathematikausbildung dem in angemessener Weise angepaßt hat
Das Lehrkonzept an unseren Universitäten ist zur Zeit von besonderem Interesse, da dem beginnenden Informationszeitalter auch im universitären Unterricht Rechnung getragen werden muß. Dies gilt auch und in besonderem Maße für die mathematische Ausbildung der Ingenieure.

Deren Berufsbild hat sich in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verändert, ohne daß sich die Mathematikausbildung dem in angemessener Weise angepaßt hätte. So werden die meisten Berechnungen in der Bauplanung heute längst mit entsprechenden Softwarepaketen durchgeführt. Heutige Ingenieure müssen beispielsweise in der Lage sein, einen Verbrennungsvorgang in einem Dieselmotor zu modellieren oder eine Kurbelwelle auf dem Monitor darzustellen und zu optimieren. Solche Aufgaben verlangen gute Kenntnisse darüber, wie Probleme mathematisch zu modellieren sind und sie erfordern die Fähigkeit, mathematische Algorithmen zu verstehen und zu erstellen.

Mit dieser Problematik befaßten sich Ende November die Teilnehmer des Workshops ”Mathematikausbildung für Ingenieure", auf dem die Unterschiede der Mathematikerausbildung an deutschen Universitäten, an der ETH Zürich und am Georgia Institute of Technology in Atlanta, USA, herausgearbeitet und neue Methoden des Unterrichts vorgestellt wurden.

Prof. Carlen vom Georgia Institute of Technology (Atlanta) zeigte auf, welche praktische Auswirkung die Präzision im Umgang mit mathematischer Theorie hat. So liege der Unterschied zwischen einem durchschnittlichen und einem herausragenden Produkt ingenieurwissenschaftlicher Arbeit in den letzten 10% der Optimierung. Eine an diesen Maßstäben ausgerichtete Ausbildung, dies betonte Prof. Carlen, sei Ursache des Ausbildungserfolges in Atlanta. Eine solche Ausbildung erfordert eine intensive Arbeit mit den Studierenden ab dem ersten Semester in kleinen Gruppen von ca. 45 Personen ebenso wie eine langfristige Beschäftigung der Studierenden mit der Mathematik. Eine ähnliche Vorgehensweise läßt sich an der ETH Zürich erkennen, in der ein Ingenieur während seines Studiums 22 Vorlesungsstunden in verschiedenen mathematischen Disziplinen zu absolvieren hat - Übungen und Selbststudium nicht mitgerechnet. An der TU Berlin sind im Vergleich dazu in den Ingenieurstudiengängen 16, oft auch nur zwölf oder acht Vorlesungsstunden Mathematik vorgesehen.

Der Fachbereich Mathematik der TU Berlin will die Organisation, den Inhalt und das didaktische Konzept der Lehrveranstaltungen in einer Weise überarbeiten, daß sie den modernen Anforderungen des Ingenieurberufsbildes genügen. Dies ist allerdings ohne Unterstützung aus Universität und Politik nicht möglich. Die Sparvorgaben der Stadt Berlin haben an der TU Beschränkungen erzwungen, die sich vor allem in der Lehre sehr negativ auswirken. Das Verhältnis Dozenten- Studierende ist an der hochangesehenen staatlichen technischen Hochschule von Georgia fünfmal höher als an der TU. Ähnliches gilt auch für den Vergleich mit dem Technion in Haifa/Israel oder der ETH Zürich. Dies ermöglicht eine mathematische Ausbildung der zukünftigen Ingenieure, die weit über das hinaus geht, was hier an der TU geleistet werden kann. Wenn den Studierenden der Ingenieurwissenschaften an unserer Universität eine Erfolgschance in einer Welt der Hochtechnologie gegeben werden soll, dann muß dringend eine qualitative Änderung eintreten, denn - und hier zitieren wir den berühmten Davis Report der Vereinigten Staaten - ”Technischer Erfolg ist mathematischer Erfolg". Politiker und die Technische Universität Berlin sind aufgefordert, ihren ingenieurwissenschaftlichen Studierenden eine exzellente Mathematikausbildung anzubieten.

Sabina Jeschke, Lars Oeverdieck,
Prof. Ruedi Seiler, Dekan des Fachbereichs Mathematik


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