TU intern - Februar 1998 - Aktuell

Warum ist Südostasien in der Wirtschaftskrise?

”Die Vorstellung, daß Spekulanten die Ursache der Krise sind, ist völlig abwegig. Unrealistisch fixierte Wechselkurse und ein unsolides Bankensystem sind zentrale Elemente derartiger Wirtschaftskrisen“


Christof Helberger
Die Finanzkrise in Südostasien ist seit Wochen Dauerthema in Zeitungen und Nachrichtensendungen. Täglich gibt es neue beunruhigende Meldungen aus dem Fernen Osten: die Aktienkurse sind im freien Fall, Währungen werden abgewertet. Banken brechen zusammen. Die Volkswirtschaften der ”Tigerstaaten“, die im vergangenen Jahrzehnt weltweit als wirtschaftliche Senkrechtstarter Aufmerksamkeit erregten, scheinen am Boden zerstört. Über Ursachen, Auswirkungen und die weitere Entwicklung der Wirtschaftskrise in Asien sprach TU-intern-Redakteur René Schönfeldt mit Prof. Dr. Christof Helberger. Er ist Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre und beschäftigt sich insbesondere mit Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Herr Helberger, welche Staaten sind von der Wirtschaftskrise in Asien überhaupt betroffen?

Die Krise erfaßte im Herbst letzten Jahres zuerst Thailand. Sie griff dann schnell auf Korea, Indonesien, Malaysia und schließlich Hong Kong über. Sie ließ sogar das sonst so stabile Singapur erzittern. Indien, Taiwan und China wurden kaum berührt. Letzlich ähnelt die Entwicklung der Tigerstaaten in vielem den Vorgängen in Japan, das sich seit 1989 in einer schweren Rezession befindet. Alle diese Länder haben ein sehr ähnliches Entwicklungsmodell befolgt.

Was passiert derzeit mit den Volkswirtschaften dieser Länder?

In Indonesien beispielsweise ist die Rupie um 75 Prozent gefallen, die Aktienkurse um 50 Prozent. Die meisten Banken sind de facto zahlungsunfähig. Die Wirtschaft im Land stürzt in eine schwere Rezession. Die Exportwirtschaft wird von der Abwertung allerdings sehr bald profitieren. In den übrigen Tigerstaaten ist die Entwicklung etwas weniger dramatisch, aber sehr ähnlich.

Was sind die Ursachen dafür?

Die Wachstumsraten des Sozialprodukts und der Einkommen waren in diesen Ländern lange Zeit sehr hoch. Diese Zeit der Prosperität begünstigte allerdings Mißwirtschaft, Korruption und unvorsichtiges Verhalten der Unternehmen. Ein zunehmender Teil der Investitionen floß in unwirtschaftliche Immobilien und Prestigeprojekte. Die Eigenkapitalquote der Unternehmen, auch der Banken , nahm ab und ging vielfach gegen Null. Ein zunehmender Teil der Investitionen wurde durch kurzfristige Auslandsverschuldung finanziert. Dies sind Bedingungen, die zu einem Vertrauensverlust bei den Beteiligten führen müssen, wenn die Situation nicht rechtzeitig korrigiert wird. Typischerweise reagieren die internationalen Geldgeber zuerst. Die Vorstellung, daß Spekulanten die Ursache der Krise sind, ist völlig abwegig. Es zeigt sich immer wieder, auch in anderen Teilen der Welt: unrealistisch fixierte Wechselkurse und ein unsolides Bankensystem sind zentrale Elemente derartiger Wirtschaftskrisen.

Welche Auswirkungen hat die Krise bisher auf Europa und Deutschland?

Der Konjunkturaufschwung in Deutschland und dem übrigen Europa wird etwas gedämpft werden; er wird aber weitergehen. Der Exportabsatz in den Tigerstaaten wird sich verlangsamen, möglicherweise sogar sinken. Diese Mengeneffekte sind aber nicht sehr groß. Gewichtiger sind die Preiseffekte und die Ertragsschmälerungen für die europäischen Unternehmen, soweit sie der Konkurrenz von Unternehmen aus den Tigerstaaten unterliegen. Studierende, die ihren Lebensunterhalt von Familien in den betroffenen Staaten erhalten, werden durch die Wechselkurse hart getroffen.

Was sollten Kleinanleger jetzt beachten?

Die westlichen Wertpapiermärkte haben den Fernost-Crash inzwischen weitgehend ”verarbeitet“. Die Zinsen sind gesunken und werden wohl erst einmal niedrig bleiben. Aktien hatten eine Delle. In der nächsten Zeit werden aber die Nachrichten aus den Unternehmen selbst wieder die Kurse dominieren. Für langfristig orientierte Anleger sind Aktienanlagen in Fernost, am besten über Fonds, ein sicherer und profitabler Tip, selbst wenn man davon ausgeht, daß es fast nie gelingt, den günstigsten Einstiegszeitpunkt zu erwischen.

Können Sie einschätzen, wie sich die Situation weiterentwickeln wird?

Entscheidend ist die Stabilität und Reformfähigkeit der politischen Systeme in den betroffenen Ländern. Das sieht in Thailand und Korea ganz hoffnungsvoll aus. Indonesien wird hoffentlich folgen, andernfalls ist ein Bürgerkrieg sehr wahrscheinlich.

Mit welchen Möglichkeiten sollte man versuchen, die Krise in den Griff zu bekommen?

Die Reformen müssen vor allem die Korruption zurückdrängen und für finanzielle Stabilität in den Unternehmen sorgen. Die Bilanzierungsvorschriften sind hierfür zentral. Für das Bankensystem ist eine darüber hinausgehende regulierende Aufsicht erforderlich. Kurzfristig ist eine Umschuldung notwendig. Der Internationale Währungsfonds IWF als zentrale Reforminstanz strebt all dies an.


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