TU intern - Februar 1998 - Hochschulpolitik

Alter Wein in alten Schläuchen?

Plädoyer für eine Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät

Die Vorteile der neuen TU-Struktur hebt Prof. Dr. Helmut Schwarz vom Institut für Organische Chemie in seinem Beitrag hervor. Seiner Einschätzung nach bietet sie der Technischen Universität die Chance, in der Berliner Wissenschaftslandschaft ein unverwechselbares Profil zu entwickeln
Konfliktfrei konnte die fremdverordnete Abmagerung der TU Berlin um ca. 40 Prozent nicht auf den Weg gebracht werden, schon beim Start kollidierten die Tagesgeschäfte der Interessenvertreter mit Konzepten, die auf eine nachhaltige, längerfristig wirksame Reform hinausliefen - und an Ratschlägen, Rezepten und Therapieangeboten für das angeschlagene TU-Schiff gab es keinen Mangel. Kein Zweifel, die Technische Universität Berlin hatte ein Binnenproblem zu lösen, um verlorene Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Daß die jüngst vom Akademischen Senat beschlossene Strukturreform ”nicht der große Wurf einer radikalen Neuordnung wird“ (Der Tagesspiegel, 16. Januar 1998), konnte keinen Insider überraschen - die hiermit verbundenen Probleme wären einfach zu groß gewesen. Aber daß die jetzt getroffene Entscheidung nicht ängstlich ist oder gar rückwärts gerichtet sein muß, sondern der TU Berlin eine Chance bietet, in der Berliner Wissenschaftslandschaft ein unverwechselbares Profil zu entwickeln, soll an der Neuordnung der Naturwissenschaften verdeutlicht werden: Chemie und Physik (und verwandte, bisher in Inselbereichen der TU Berlin angesiedelte Gebiete) werden mit der Mathematik zukünftig eine ”Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät“ bilden - alles schon gehabt, oder alter Wein in alten Schläuchen? Keineswegs, denn mit dieser Entscheidung werden nicht nur Probleme gelöst, sondern neue Perspektiven eröffnet.

LEIPZIGER ALLERLEI

Der vernünftigen Forderung nach disziplinverwandter Zusammensetzung einer Fakultät wird entsprochen. Disziplinäre Stärke, die die notwendige Voraussetzung einer funktionierenden inter- oder transdisziplinären Vernetzung von Fachgebieten darstellt, wird organisatorisch ermöglicht. Das drohende Verkümmern oder Verschwinden hervorragender Disziplinen in einer Fakultät, die bestenfalls plakativ eine disziplinäre Homogenität besessen hätte und in Wirklichkeit ein Sammelsurium von Leipziger Allerlei gewesen wäre, konnte verhindert werden.

Die politisch geforderte und auch sachlich begründete Absicht, ingenieur- und naturwissenschaftliche Fächer zu verzahnen, wird sich verwirklichen lassen. Voraussetzung wird sein, jede der beiden ”Säulen“ disziplinär so auszustatten, daß auch langfristig die Besten eines Faches für die TU Berlin zu gewinnen sein werden. Eine Berufungspolitik, die disziplinärer Mittelmäßigkeit keine Chance bietet, wird fachübergreifende Schnittmengen entstehen lassen, aus denen sich Synergien entwickeln können. Ferner, auch in einer primär naturwissenschaftlich definierten Fakultät lassen sich neben der Grundlagenforschung selbstverständlich neue Quervernetzungen leicht realisieren. Für die Etablierung zukunftsträchtiger Querschnittsgebiete (wie Katalyse, Nanowissenschaften, Funktionalisierte Materialien, Chemische Biologie, Molekulare Biotechnologie, Biosensoren, Informationsspeicherung, Molekulare Maschinen - und was sonst noch alles aus dem jetzt schon vorhandenen TU-Potential zu entwickeln ist) müssen keine neuen Organisationsformen gefunden werden, da hierfür bereits an anderer Stelle Konzepte erprobt worden sind. Schnittstellen lassen sich beispielsweise dadurch realisieren, daß nicht alle für ein bestimmtes Fach vorgesehenen Professuren (plus Infrastruktur) automatisch nach klassisch-bewährtem Selbstverständnis des Faches besetzt werden, sondern ein bestimmter Anteil für Entwicklungslinien reserviert wird. Auch an die Einrichtung von dem Präsidenten unmittelbar zugeordneten Kompetenzzentren könnte gedacht werden, deren Mitglieder verschiedenen Fakultäten wie auch außeruniversitären Forschungseinrichtungen (z. B. Fritz-Haber-Institut, Max-Born-lnstitut für Nichtlineare Optik oder Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin) angehören können.

KLEINKARIERTE INTERESSEN

Bei der Neustrukturierung der TU Berlin war ferner zu bedenken, daß Adlershof als Naturwissenschaftliches Zentrum ausgebaut wird, gleichgültig, welche groß- oder kleinkarierten Interessen einige Lobbyisten an den Berliner Universitäten vertreten werden. Realitätsnahe Überlegungen lassen keinen Zweifel, daß eine Humboldt-Universität allein die sich in Adlershof bietenden Möglichkeiten und Potentiale schon numerisch gar nicht nutzen und die mit diesem Projekt verknüpften Erwartungen befriedigen könnte - so wie auch eine geschwächte TU-Naturwissenschaft hierzu nicht in der Lage gewesen wäre. Hier boten sich zwei Szenarien an:

Die TU-Naturwissenschaften werden die ihr durch externe Evaluierung mehrfach bescheinigte Qualität und Stärke auch nach einer TU-Strukturreform behalten, so daß ihr Gestaltungs- und Nutzungsanteil in Adlershof landesweit ernst genommen und berücksichtigt wird.

Eine Neustrukturierung hätte die Naturwissenschaften an der TU Berlin durch ”Zumischen“ fremder Gebiete so weit ausgedünnt und geschwächt, daß die resultierenden Fragmente bestenfalls nur als ”Steinbruch“ zur Deckung TU-interner Löcher gedient hätten. In Adlershof hätte die TU Berlin dann keine ernsthafte Rolle spielen können.

Mit seiner Entscheidung, Chemie und Physik in einer Fakultät zu bündeln, hat der Akademische Senat den organisatorischen Rahmen geschaffen, langfristig die Qualität seiner schon jetzt herausragenden Bereiche zu sichern: Kompetenz und Exzellenz sollten sich in Zukunft an der Technischen Universität Berlin wieder leicht realisieren lassen. Der Weg ist markiert, und die Universität sollte nicht länger in den Startlöchernhocken bleiben.

Helmut Schwarz


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