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Protestieren, ohne das Semester zu verlieren

TU intern fragt: Was brachten die Proteste, wie sollen sie weitergehen?

Seit Ende November wird an den Berliner Hochschulen protestiert. Die Studierenden ziehen alle Register, um die Öffentlichkeit auf die Mißstände im Bildungssystem hinzuweisen: Boykott der Lehrveranstaltungen, öffentliche Vorlesungen, Verkehrsblockaden, Demonstrationen. Und ab und zu wird auch mal das TU-Hauptgebäude besetzt. Für die meisten Aktionen gibt es von allen Seiten Verständnis und gute Worte. Die Bildungsmisere aber bleibt. Etwas frustriert wurde der TU-Streik am 14. Januar abgebrochen. Bereits zuvor schien die Luft raus. Anfang Januar hatte TU intern Studierende gefragt, was Streik und andere Aktionen bisher gebracht haben. Und: Wie sollen die Proteste weitergehen? Sollen sie noch lauter werden, oder soll man Transparente und Flugblätter in die Ecke schmeißen?

Matthias Müller-Lindenberg,
10. Semester
Betriebswirtschaftslehre

Für mich persönlich hat sich nichts getan. Ich bin in einem halben Jahr mit meinem Studium fertig und deshalb auch froh, daß nicht so radikal durchgestreikt wurde und daß die Kommilitonen in Ruhe gelassen wurden, die trotz des Streiks zur Vorlesung gehen wollten. Die Proteste haben bei mir insofern etwas bewirkt, daß ich bei der nächsten Wahl darauf achten werde, welche Partei das Thema Uni und Bildung weit nach oben bringt. Und das finde ich auch gut an den Protesten, daß nämlich das Thema bundesweit an die Öffentlichkeit gekommen ist. Jetzt sollten wir weitermachen mit den Protesten, aber nicht streiken! Ich sehe sowieso nicht die Verbindung, daß man Vorlesungen boykottieren muß, wenn man protestiert. Proteste finde ich gut und wichtig. Den Streik halte ich für eine unnötige Erschwerung des Studierens.

Stefan Stamminger,
3. Semester
Architektur

Ich sehe nicht, daß dabei viel herausgekommen ist. Das einzige ist, daß in meinem Fachbereich eine Diskussion angefangen hat, wie man den Fachbereich anders organisieren kann. Da diskutiert eine größere Zahl von Studenten mit. Die Lust am Streik ist jetzt völlig verloren gegangen. Das Programm ist ziemlich eng geworden; wir haben schon Termine für Blockseminare, um die Veranstaltungen in der verbleibenden kurzen Zeit zu schaffen. Wir werden jetzt weiterstudieren. Wenn noch weiter gestreikt wird, muß das nebenher laufen.

Constantin Otto,
1. Semester
Chemie

Ich bin eher unzufrieden, mit dem was bisher herausgekommen ist. Die Spannungen, die bei den Studenten über die Frage "Streiken: ja oder nein?" entstanden sind, haben die Atmosphäre verschlechtert: Die Streikenden sind sauer auf die Nichtstreikenden und umgekehrt. Jetzt sollte man weiterprotestieren und auch weiterstudieren, aber nicht unbedingt streiken. Das macht mehr Arbeit, hat aber auch eine größere Aussage.

Kerstin Hain,
1. Semester
Bauingenieurwesen

Wenn man sich anschaut, was in der Politik geschieht, ist im Grunde genommen nicht viel herausgekommen. Zur Zeit haben sich die Politiker kein Stück bewegt. Es wäre schön, wenn die Proteste weitergehen würden, aber auch die Vorlesungen sollten weitergehen. Was mir nämlich überhaupt nicht gefallen hat, ist, daß meine Vorlesungen ausgefallen sind. Besser fände ich es, Aktionen am Nachmittag zu machen, zum Beispiel mit Demos. Ich bin froh, wenn ich mein erstes Semester hinbekomme und es nicht zu einem Streiksemester wird.

Diana Reinke,
7. Semester
Bauingenieurwesen

Der Streik hat bis jetzt nicht so viel gebracht. Das einzige, was wir erreicht haben, ist, daß die Öffentlichkeit aufmerksam gemacht wurde. Man kann nur hoffen, daß die Politiker durch die anstehenden Bundestagswahlen ebenfalls aufmerksam werden und daß die Bildungspolitik zu einem Thema im Wahlkampf wird. In Berlin wird sich wohl nicht viel tun, eher auf Bundesebene. Was das Weiterprotestieren angeht: Vielleicht würde es am meisten bringen, wenn man im nächsten Semester richtig stark und intensiv drei Wochen streikt. Im Moment gehen einige zur Vorlesung, einige wieder nicht. Das bringt nicht viel.

Marian Scherz,
8. Semester
Betriebswirtschaftslehre

Die Forderungen und Motive, für die gestreikt wird, sind ja ganz nett. Im Endeffekt ist aber nicht viel herausgekommen. Und es wird wohl auch nichts herauskommen. Weiterprotestieren sollten wir schon. Meine persönliche Meinung ist, nicht mehr die Veranstaltungen zu bestreiken oder zu sprengen, sondern öffentlichkeitswirksam auftreten, zu Zeiten, wo keine Veranstaltungen sind. Wichtig ist mir, daß man kein Semester verliert.

Tanja Michel,
4. Semester
Psychologie

Bei dem Streik vor drei Semestern hatten wir ein konkretes Ziel: gegen die Studiengebühren zu protestieren. Jetzt ist das diffuser, schlechter greifbar. Daß sich jeder mit uns solidarisiert, hat uns natürlich auch den Wind aus den Segeln genommen. Und nun stehen wir da und eigentlich ist nichts passiert. Die 40 Millionen Mark für die Bibliotheken und die Bafög-Reform sind ja eher Tropfen auf den heißen Stein. Ich finde es okay, daß die Proteste waren, aber jetzt ist die Luft auch raus.


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