WISSENSCHAFT

"Evaluation in Berlin ist zu tierisch ernst"

Herbert Weber
ist TU-Professor
und ISST-Chef

Informatik-Professor Herbert Weber, Jahrgang 1940, kam 1992 von der Universität Dortmund an das Institut für Kommunikations- und Softwaretechnik der TU Berlin, wo er das Fachgebiet "Computergestützte Informationssysteme" vertritt. Im gleichen Jahr wurde er Leiter des neugegründeten Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik (ISST) in Berlin. TU-intern-Redakteur René Schönfeldt sprach mit Herbert Weber über das TU-Informatik-Studium, über die Evaluation der Lehre und über die Doppelfunktion als Professor und FhG-Institutsleiter.

Herr Weber, Sie haben an verschiedenen Hochschulen in Deutschland, Frankreich und den USA geforscht und gelehrt. Was halten Sie vom Informatik-Studium an der TU Berlin?

Die Ausbildung in der Informatik ist hier sehr stark geprägt durch die Außenbeziehungen des Fachbereiches, das sind die Beziehungen zu den Forschungsinstituten wie FIRST und FOKUS von der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung und die Fraunhofer-Institute, aber auch Institute anderer TU-Fachbereiche, etwa die Kraftfahrzeugtechnik. Auffallend sind außerdem die vielen Freiräume, die die Prüfungsordnung bietet, mehr Freiräume, als ich je irgendwo an einer anderen Universität gesehen haben. Manche Studenten nutzen diese Freiräume sehr, sehr gut und effektiv; andere gehen in diesen Freiräumen verloren. Grundsätzlich glaube ich: Wer in Berlin ein guter Informatiker werden will, hat alle Chancen dazu - soweit man im Studium nicht die Orientierung verliert.

Wie wirkt sich eigentlich die Doppelfunktion als TU-Professor und FhG-Direktor auf ihre Tätigkeit in Lehre und Forschung aus?

Was die Lehre angeht: Ich habe ein volles Lehrdeputat von acht Semesterwochenstunden an der TU Berlin und kann das nur erbringen, indem ich mich durch Mitarbeiter aus dem Institut unterstützen lasse. Alles in allem profitiere ich von der Doppelfunktion und auch das Institut. Wir können sehr viel für unseren eigenen Nachwuchs tun, und ich profitiere insbesondere davon, daß ich immer wieder den Kontakt zu jungen Leuten mit Forschungsambitionen habe. Nur über diese Schiene können wir das Innovationstempo an unserem Fraunhofer-Institut aufrechterhalten.

Es gibt gelegentlich Vorschläge, daß die Lehr- und Forschungstätigkeiten von Professoren und Professorinnen je nach Schwerpunkt verschieden gewichtet werden, daß zum Beispiel ein Professor, der mehr forschen will, weniger Lehrverpflichtung bekommt. Wie finden Sie solche Überlegungen?

Eine Entlastung ist sicherlich etwas feines, zum Beispiel, wenn ein Forscher sich temporär entlasten kann, weil er in einem Semester ein großes Vorhaben im Institut hat. Auf der anderen Seite steckt man die acht Stunden auch manchmal ganz glatt weg. Und manchmal ist es auch einfach schön, eine Vorlesung komplett neu zu gestalten oder umzugestalten. Ich persönlich muß nicht unbedingt acht Stunden machen; ich würde auch mit vier Stunden zufrieden sein.

Was halten Sie von Evaluation der Lehre?

Viel. Ich bin das seit langem gewöhnt. In Dortmund gab es für Hochschullehrer den "Lehrer Lempel-Pokal", ein Wanderpokal, der nach einer studentischen Befragung in jedem Semester vergeben wurde und an denjenigen ging, der in der Beliebtheit der Studenten ganz hinten stand. Was mich an der Berliner Vorgehensweise stört, ist, daß das so tierisch ernst gemacht wird und daß jedes Moment des Ironischen oder des Schmunzelns fehlt. Ich kenne das aus meiner Zeit am MIT in Boston: Wenn man mal schlecht abgeschnitten hatte, dann ist man nicht gleich vor Scham in den Boden versunken. Das haben die Studenten ja auch nicht erwartet. Es sollte ja der Anlaß sein, sich mit den Studenten zu unterhalten, wie es denn besser sein könnte. In Berlin findet das zu tierisch ernst statt.


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