TU intern - Juni 1998 - Studium

Nur fliegen ist schöner …

Flugzeuge und Mountainbiking - ein Praktikum bei Boeing

Praktikum bei Boeing in Seattle: Jedes Jahr besteht für vier Studierende der TU Berlin die Gelegenheit daran teilzunehmen
Wer Fliegen hört, denkt oft auch an Lufthansa und Boeing. Doch während man am Zentrum für Flugsimulation in Berlin den Flug mit den großen Vögeln ”nur" simulieren kann, werden sie in Seattle im US-Staat Washington weiterentwickelt und gebaut. Roland Platz, Maschinenbaustudent und Andreas Reinke (Luft- und Raumfahrttechnik) hatten im Rahmen eines TU-Austauschprogramms Gelegenheit, den Ingenieuren und Konstrukteuren dort sechs Monate lang auf die Finger zu schauen. Von ihren Erfahrungen berichtet Roland Platz.

Wie kam es zum Aufenthalt, vom August 1997 bis Februar 1998, bei der Boeing Commercial Airplane Group in Seattle? Ein ehemaliger Student der TU Berlin-Charlottenburg, Reinhard Abraham, ist daran nicht ganz unbeteiligt. Nach seinem Studium von Physik, Wirtschaftsingenieurwesen und Luftfahrttechnik von 1948 bis 1956 begann er seine Karriere bei der Lufthansa. Reinhard Abraham wurde Mitglied des Vorstandes der Deutschen Lufthansa AG und erwarb im Laufe seines erfolgreichen Berufslebens einen weit über die Grenzen Lufthansas hinausreichenden Ruf als Fachmann auf dem Gebiet der zivilen Luftfahrttechnik. 1995 verstarb er im Alter von 66 Jahren. Er hinterließ die Reinhard Abraham Studienförderung (RASf).

Im Rahmen dieser Studienförderung bieten Lufthansa und Boeing, die auch das Startkapital zur Gründung der Stiftung bereitstellten, studienbegleitende Ausbildungsprogramme für Studenten der TU-Berlin und der University of Washington in Seattle an. Andreas Reinke und ich waren die ersten, die in den Genuß dieses Programms kamen.

Drei Tage nach unserer Ankunft in Seattle hatten wir bereits unseren ersten Arbeitstag bei Boeing. Andreas arbeitete während seines gesamten Aufenthaltes in der ”Propulsion Systems Devision"- Abteilung. Dort half er bei der Zertifizierung der Auxiliary Power Unit (APU), eine neben den Triebwerken existierende Gasturbine zur Erzeugung elektrischer Energie und zum Antrieb pneumatischer Systeme im Flugzeug. Für die neuen Boeing 737-Modelle befand sich die APU gerade in der Testphase.

Ich arbeitete in Boeings Strukturorganisation. Im Gegensatz zu Andreas wechselte ich häufiger die Abteilungen. Es gehörten Dauerfestigkeitstests sowie statische und dynamische Berechnungen verschiedener Strukturbereiche, wie beispielsweise die Triebwerksaufhängung, zu meinen Aufgaben. Des weiteren nahm ich u. a. an der Durchführung des dynamischen Stabilitätstests der neuen Boeing 737-600 teil.

Andreas Reinke (r.) zusammen mit einem Boeing-Flugtestingenieur bei der Vorbereitung auf einen neuen Testflug
Die Tätigkeit bei Boeing hinterließ viele interessante und bleibende Eindrücke. Am besten hat uns der persönliche Umgang mit unseren jeweiligen Kollegen gefallen. Es herrschte eine sehr angenehme Art zu kommunizieren, beispielshalber wird jeder, egal auf welcher Führungsebene, per Vornamen angeredet. Hierarchische Strukturen sind nicht so aufgebläht; es war einfach, mit Gruppen- oder gar Abteilungsleitern in Kontakt zu kommen. Teamarbeit wird bei Boeing nicht nur groß geschrieben, sondern auch praktiziert.

Auch das Leben in Seattle hat viel Spaß gemacht. Andreas bezog eine eigene Wohnung in Capitol Hill, ein netter Bezirk mit vielen Einkaufsmöglichkeiten und guten Lokalen. Ich wohnte in einer sehr angenehmen WG in Fremont, eine Nachbarschaft mit deutlichen Spuren aus der Flower-Power-Zeit. Ich trieb viel Sport wie z. B. Mountainbiking, Kunstturnen, Joggen oder Skifahren.

Darüber hinaus hat der Nordwesten der U.S.A. landschaftlich viel zu bieten. Seattle liegt im Puget Sound, ein Sund-Gebiet umgeben von herrlichem Gebirge. Nach einer knappen Stunde Autofahrt war ich abseits von Stadt und Mensch und genoß zahlreiche Wanderungen. In knapp drei Stunden war ich am Pazifik oder im Regenwald am Fuße der Olympic Mountains. Skigebiete sind fast vor der Haustür oder im angrenzenden Kanada.

Seattle selbst ist eine recht dynamische Stadt und hat mit Boeing und Microsoft zwei umsatzstarke Firmen. Es gibt viel Arbeit, die Arbeitslosenquote liegt unter dem US-Durchschnitt, so daß viele, meist junge Leute dorthin ziehen. Die Stadt ist kein Moloch wie New York oder Los Angeles, sondern macht einen entspannten Eindruck. Die Freundlichkeit der Menschen, denen ich ansah, daß sie das Leben dort besonders genießen, machte mir den Aufenthalt in Seattle zur Freude.

Die RASf plant, jedes Jahr vier Studenten der TU Berlin ein Praktikum bei Boeing zu ermöglichen. Voraussetzung dafür ist eine große Begeisterung für zivilen Flugzeugbau. Das Ende des Studiums sollte in greifbarer Nähe und die Studieninhalte mit dem Praktikum verträglich sein. Neben guten Englischkenntnissen fehlt dann eigentlich nur noch das Quentchen Glück bei den Auswahlgesprächen. Ich kann dieses Praktikum jedenfalls wärmstens empfehlen und möchte die intensiven Erfahrungen bei Boeing, mit dem Land und den Leuten nicht missen.

Wer sich für einen Aufenthalt bei Boeing interessiert, kann sich mit Herrn Dr. Alfred Heilhecker in der TU-Planungsgruppe, Tel.: 314-2 54 85, in Verbindung setzen. Dort stehen zusätzlich ausführlichere Erfahrungsberichte von Andreas und mir zur Einsicht zur Verfügung. Bewerbungsschluß für die nächste Runde ist der 31. Juli 1998.


© 6/'98 TU-Pressestelle