TU intern - Juni 1998 - Forschung

Beim Schnuppern schlägt die menschliche Nase jede Maschine

Deutschlands erstes Luftqualitätslabor befindet sich an der TU Berlin

Augen zu und tief durchatmen. Im Riechlabor des Hermann-Rietschel-Institutes der TU Berlin wird die menschliche Nase zur Bestimmung der Geruchsstärke eines Stoffes eingesetzt
Ein Glaskasten füllt den Raum, drum herum allerlei Röhren, Schächte und Apparate. Mitten in dem Glaskasten sitzen zehn Menschen. Niemand spricht ein Wort. Ein Mann steht auf, beugt sich über ein trichterförmiges Etwas. Konzentrierter Gesichtsausdruck, geschlossene Augen, die Nasenflügel beben. Er schnüffelt, er saugt geradezu die Luft in sich ein. Dann richtet er sich auf. ”Acht" murmelt er vor sich hin.

”Acht, das ist die Geruchsstärke, die der Kandidat beim Riechen an einer Probe geschätzt hat", erklärt Johannes Kasche. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hermann-Rietschel-Institut für Heizungs- und Klimatechnik der TU Berlin, das von Professor Dr.-Ing. Klaus Fitzner geleitet wird. Das merkwürdige Gebilde mit dem Glaskasten ist das neue Luftqualitätslabor des Instituts. ”Es ist das einzige seiner Art in Deutschland", sagt Kasche.

In dem 350000 DM teuren Labor wird mit Hilfe von ausgewählten Testpersonen die Raumluftqualität untersucht. Dazu werden einzelne Stoffe wie zum Beispiel Teppichreste, Teile von Klimaanlagen wie gebrauchte Filter oder auch Reinigungsmittel in dem geruchsneutralen Glaskasten beschnuppert. ”Uns geht es darum festzustellen, wie stark solche Stoffe riechen", erläutert Kasche. Ohne Versuchspersonen kommen die TU-Wissenschaftler dabei nicht aus, denn kein Meßgerät der Welt kann mit der Empfindlichkeit der Nase mithalten. ”Der Geruchssinn des Menschen ist ungefähr 1000mal besser als das modernste Gerät", schätzt Ulrich Finke, ebenfalls Mitarbeiter am TU-Institut.

Bei der Ermittlung der Raumluftqualität geht es nicht alleine um die Frage des Komforts, sondern auch um die Gesundheit. Die Rede ist vom Sick-Building-Syndrom. ”Rund 90 Prozent seiner Lebenszeit verbringt der Mensch in Innenräumen. Dazu zählen insbesondere die eigene Wohnung, der Arbeitsplatz oder auch Verkehrsmittel wie Bahn oder Auto", hebt Kasche hervor. In Räumen mit Klimaanlage und elektronisch gesteuerter Beleuchtung fühlen sich Menschen nicht selten unwohl oder schlecht. Sie erschöpfen auch schneller.

Daß Trüffelschweine einen guten Riecher haben, weiß jeder. Aber auch die menschliche Nase reagiert sehr empfindlich auf Gerüche
DIE NASE - EIN "GEWOHNHEITSTIER"

Ein Grund für das Unwohlsein kann in der schlechten Raumluftqualität liegen, denn die Menschen sind in Innenräumen unterschiedlichsten Düften und Gerüchen ausgesetzt. Verursacher sind nicht nur Geräte der Klimatechnik, zum Beispiel Filter oder Luftkanäle, auch Teppichböden, Farben oder Kunststoffe sind potentielle Raumluftverpester. Dabei muß berücksichtigt werden, daß sich die Nase sehr schnell an einen Geruch gewöhnt. Bereits nach ungefähr drei Minuten wird der Geruch nicht mehr wahrgenommen, obwohl er immer noch vorhanden ist.

Ein weiterer kritischer Punkt ist oftmals die Frischluftzufuhr. ”Bei Gebäudeuntersuchungen in Berlin haben wir festgestellt, daß teilweise innerhalb einer Stunde nur ein Fünftel des Raumvolumens ausgetauscht wird", bemängelt Finke. Oftmals seien die Fenster so stark abgedichtet, daß kaum ein vernünftiger Luftaustausch stattfinden könne.

Auch das Luftqualitätslabor im TU-Institut funktioniert nicht anders als ein Belüftungssystem, wie es heute in Bürogebäuden installiert wird. Entscheidender Unterschied sind einige Speziallösungen: Die Luftkanäle und der Testraum des Labors bestehen, so weit es möglich war, aus Edelstahl und Glas. Das ansonsten übliche Blech hat einen deutlich stärkeren Eigengeruch. Solche zusätzlichen Geruchsbelastungen verfälschen die Testergebnisse: Die Versuchspersonen riechen nicht nur die Probe, sondern auch den Geruch, den die Anlage produziert.

Nicht jeder ist jedoch ein geeigneter Tester. Die Versuchspersonen, fast ausschließlich TU-Studierende, müssen nicht nur einen guten Riecher haben. Sie müssen auch trainieren, um die Geruchsstärke eines Stoffes so genau wie möglich zu schätzen. Für die Probanden heißt das, zuvor kein Parfüm oder Deodorant benutzen, nicht rauchen und keinen Knoblauch essen.

ZUSAMMENARBEIT MIT PSYCHOLOGEN

Beeinflußt wird die Schätzung auch durch das persönliche Empfinden der Versuchspersonen: Was für den einen sehr stark riecht, kann für den anderen kaum wahrnehmbar sein. Zudem beeinträchtigt die Frage, ob der Stoff einen angenehmen Geruch hat oder kaum zu ertragen ist, das Urteilsvermögen. Um das emotionale Verhalten des Menschen besser berücksichtigen zu können, arbeiten die Raumluftforscher eng mit Psychologen zusammen.

Die Einteilung der Geruchsstärke ist für die Probanden nicht ohne Tücken: ”Wenn man einen Raum mit schlechter Luftqualität betritt, kann man schlecht sagen, hier riecht es wie drei Misthaufen", beschreibt Kasche das Problem. Als Hilfsmittel zur Bestimmung der Luftqualität dient den Wissenschaftlern Azeton. Diese organische Verbindung wird unter anderem als Lösungsmittel verwendet. In unterschiedlichen Konzentrationen hat Azeton verschiedene Geruchsstärken. Bei den Versuchen mit ihnen unbekannten Stoffen können die Testpersonen die Geruchsstärke der Probe mit festgelegten Mengen an Azeton in der Stärke von 2, 8, 15 und 20 dezipol vergleichen. Dezipol ist die Einheit für die Geruchsstärke. Nach den geltenden EU-Normen wären 0,7 dezipol eine gute und alles über 2,5 dezipol eine schlechte Luftqualität.

GERÜCHE ADDIEREN SICH NICHT

Ulrich Finke sieht diese Werte, die auf Untersuchungen skandinavischer Forscher beruhen, jedoch nicht als endgültig an: ”Nach unseren Ergebnissen müßten die Grenzwerte auf 2 dezipol für hohe Anforderungen an die Luftqualität und auf 6 dezipol für niedrige Anforderungen korrigiert werden". Das läge unter anderem daran, daß die Wissenschaft bisher davon ausgegangen ist, daß sich Gerüche addieren. Unsere Tests haben ergeben, daß das nicht sein kann", sagt Finke. Der TU-Forscher hat nun eine Formel entwickelt, die der tatsächlichen Situation näherkommt.

Fernziel der TU-Wissenschaftler ist es, feste Kriterien zu entwickeln, mit denen verbindliche Aussagen über die Luftqualität in Räumen und Gebäuden getroffen werden können. Bis dahin muß allerdings noch viel Grundlagenforschung betrieben werden. Ein erster Schritt in diese Richtung ist der Aufbau einer Datenbank. Dort soll sich jeder über die Geruchsstärke von Stoffen, die beim Bau und der Ausstattung von Gebäuden verwendet werden, informieren können. Finke weist aber auch darauf hin, daß jeder einzelne in der Lage ist, Einfluß auf die Raumluftqualität zu nehmen: ”Beim Teppichkauf sollte man einfach mal an dem Teppich schnuppern und nur dann kaufen, wenn der Stoff nicht zu stark riecht".

Christian Hohlfeld


© 6/'98 TU-Pressestelle